Notizen zur Internationalistischen Presse
Der bescheidene Kommentar seitens A Free Retriever’s Digest vom 9. Juli über die sich entfaltende politische Krise der deutschen Bourgeoisie (1), bzw. die letztgenannte Situation selbst, haben kaum ein Echo gefunden, trotz einer ausführlichen Antwort von Fredo Corvo (2) und der kontinuierlichen Bemühungen des spanischen Blogs Nuevo Curso, mit der Entwicklung der Situation in seinen Artikeln Schritt zu halten. (3) Bemühungen eine aktuelle Analyse der Situation des Zentralstaates des europäischen Kapitalismus zu erarbeiten, scheinen im internationalistischen Milieu nur spärlich unternommen zu werden, oder vielerorts gar abwesend zu sein.
Vor diesem Hintergrund weckt die Veröffentlichung der Deutschsprachigen Sektion der Internationalen Kommunistischen Strömung (I.K.S.) anläßlich „der jüngsten Krise in der Bundesregierung (zwischen der Christlich-Demokratischen Union von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrer „Schwesterpartei“, der bayerischen CSU)“ von großen Auszügen ihres jüngsten Deutschlandberichts (Frühjahr 2018) Neugierde. (4) Ohne die übliche Leier zu ihrer Theorie der „Dekomposition, die höchsten Stufe der Dekadenz des Kapitalismus“, „glaubt“ die IKS bescheiden „eine Analyse und einen Hintergrund“ zu liefern, die „zum Verständnis der gegenwärtigen politischen Krise im zentralen Land des europäischen Kapitalismus beitragen kann.“.
Eine ausführliche Analyse der nationalen Lage Deutschlands schließt mit einer Beurteilung der jüngsten Manöver um Massenentlassungen durch Siemens ab, die wahrscheinlich auf die Verlagerung seiner Gasturbinenproduktion abzielen (diese hat ihren Haupstandort im Osten Deutschlands, insbesondere in Görlitz), und beschreibt das aktuelle Dilemma für das Proletariat wie folgt:
„Ohne die geringste Hoffnung, den Kapitalismus in Frage stellen zu können, wird es für die „wirtschaftlichen“ Kämpfe gegen Ausbeutung schwieriger, sich zu entwickeln und vor allem auf einem Klassenterrain zu bleiben, um die Fallstricke einer bürgerlichen Politisierung zu vermeiden. Die Situation erfordert daher eine proletarische Politisierung der Arbeiterkämpfe. Um den gegenwärtigen Rückzug des Proletariats zu stoppen, ist auch eine Entwicklung der politischen und theoretischen Dimensionen seines Kampfes erforderlich.“
Da in diesem Artikel kein umfassender Rahmen bezüglich der implizierten imperialistischen Einsätzen erkennbar ist, vermuten wir, daß dieser Rahmen selbst Gegenstand der ‚internen Diskussion‘ der IKS geworden ist. Die vorgestellten Auszüge sind die Mühe einer ausführlicheren Prüfung wert, doch für eine Aktualisierung der Analyse zu den jüngsten Ereignissen die den politischen Betrieb der Bourgeoisie aufrütteln muß man kommende Artikel abwarten.
Ihrerseits war auch die Internationale Kommunistische Tendenz (I.K.T.) war nicht besonders pro-aktiv bei der konkreten Beurteilung der sich in Deutschland entwickelnden beispiellosen Situation. Wie wir im Laufe des vergangenen Sommers vernahmen, hielt die GIS, ihr Zusammenschluß in Deutschland, es gar für „vorzeitig“, von einer Regierungskrise zu sprechen. Anläßlich der in den Medien breit veröffentlichten ultra-nationalistischen Mobilisierungen in Chemnitz und Köthen (Sachsen), eines Ausbruchs sozusagen pogromistischer Wut gegen „Einwanderer“ nach zwei Straßenmorden, den Gegenmobilisierungen, und einer erneuten Regierungskrise um CSU-Innenminister Seehofer, (5) hat die GIS schließlich ein Flugblatt herausgegeben mit dem Titel: „Gegen Rassismus und autoritäre Formierung: Das Problem heißt Kapitalismus!“ (6)
Dieses greift wichtige Elemente der aktuellen Situation auf, wie die Anziehungskraft der AfD auf ultrarechte und neonazistische Strömungen und Milieus und die Rolle der Staatssicherheitsorgane der B.R.D. in deren Aufstieg, und widerspricht zu Recht einer Qualifizierung dieser rechts-populistischen Partei als nichts Anderes als eine neonazistische Partei. In dieser Hinsicht in Übereinstimmung mit der IKS, grenzt die GIS ihre Position, in Kontinuität mit der historischen italienischen kommunistischen Linken, richtig ab von einer „antifaschistischen“ Verteidigung der bürgerlichen „Demokratie“ und von Taktiken der „Einheitsfront“, die derzeit von allen Schattierungen der bürgerlichen Linken propagiert werden.
Dennoch zeigt ihre Erklärung unter der Überschrift „Faschismus, Antifaschismus und die Perspektive des Klassenkämpfes“ (7), in der sie zu Recht jeden wesentlichen Antagonismus zwischen bürgerlicher Demokratie und „Faschismus“ ablehnt, eine gewisse Zurückhaltung, Letzteren (8) eindeutig zu qualifizieren als eine Variante der diktatorischen Regime der bürgerlichen Konterrevolution, die im gesamten kontinentalen Europa an die Macht gebracht wurden nach der historischen Niederlage der revolutionären Aufstände des Proletariats gegen den Ersten Weltkrieg, insbesondere in den Ländern, in denen diesen Bewegungen am meisten zu Stande gebracht hatten, wie Deutschland, Italien und Ungarn.
Der folgende Abschnitt aus dem Abschluß des Hauptartikels („Was tun?!“) faßt die eingeschlagene Richtung zusammen und liefert wesentliche Punkte für eine Diskussion:
„Nationalismus, welcher Spielart auch immer bedeutet stets Unterordnung der Lohnabhängigen unter die eigene Bourgeoisie. Eine Perspektive gegen rassistische Spaltung und Ausbeutung kann nur im politischen Kampf für die vollständige Abschaffung aller gegen Migranten gerichteten Ausnahmegesetze, Verordnungen und den entsprechenden Verwaltungspraxen liegen. Oder wie es Karl Liebknecht formulierte: „Fort mit dem Damoklesschwert der Ausweisung! Das ist die erste Voraussetzung dafür, daß die Ausländer aufhören, die prädestinierten Lohndrücker und Streikbrecher zu sein.“ Ohne die Verteidigung und Organisierung von Geflüchteten und MigrantInnen wird kein erfolgreicher Kampf für mehr Lohn, günstigere Wohnungen, bessere Bildungs- und Gesundheitsversorgung etc. möglich sein“.
H.C., October 22, 2018
1 ‚A comment on the political crisis in Germany‘, Blog und in: A Free Retriever‘s Digest Vol. 2 Issue #4, August – September 2018, PDF.
2 The zigzag course of German imperialism: A few main points. Deutsche Übersetzung bei Arbeiterstimmen: Der Zickzackkurs des deutschen Imperialismus.
4 Die Auszüge stellen den Leitartikel von Weltrevolution Nr. 182, Herbst 2018, dar.
5 Seehofer unterstützte unter anderem Spionagechef Maaßen bei der Verleumdung einer kurzen Video-Veröffentlichung , die ein versuchten Straßenmobbing von „Immigranten“ in Chemnitz zeigt, als Ausdruck einer „linken Verschwörung“. Da Maaßen sich als Chef des „Bundesverfassungsschutzes“ damit endgültig als politisch unhaltbar herausstellte, eskalierte der Skandal weiter, als die SPD-Spitze dessen amtliche Beförderung zum Staatssekretär des Innenministeriums zustimmte, bemerkenswerterweise gar auf Kosten des einzigen SPD-Sekretärs.
6 Gerade rechtzeitig zur Großdemonstration des Bündnis „Unteilbar“ am 13. Oktober in Berlin erschien Germinal Nr. 14, 12. Oktober 2018.
8 Im deutschen Kontext vielleicht genauer bezeichnet als „Nationalsozialismus“.
Zuerst erschienen als „Echoes on the political crisis of the German bourgeoisie“ in „A Free Retriever’s Digest #5“ (Oktober – November 2018). Leicht ergänzte Übersetzung vom Autor.
Inhalt von ‚A Free Retriever‘s Digest‘ nr.5
(Oktober – November 2018)
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From the Editor
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Selected Articles & News Feeds August 13 – October 7, 2018 (week no.’s 33 – 40)
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On the Bookshelves ‘Lenin’s Testament and the Legacy of Rosa Luxemburg’ ‘A Happy Future is a Thing of the Past’
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Documents of the historical Communist Left: Two Articles from ‘Kommunist’ (April 1918) – CWO Introduction
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How to understand ‘May 1968’ in France? The significance of the struggles from 1966 to 1972 (Part 1)
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With special Attention. Reader’s notes on internationalist press releases
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An Invitation to a Discussion: Reply to an appeal for an internationalist meeting
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Proletariat, Xenophobia and Lumpenization. A discussion of the causes for the upsurge of right wing populism
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Class combativity in the Middle East: ‘Échanges et Mouvement’ on the mass revolt in Iraq
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A perfect Storm. ‘Nuevo Curso’ on the upcoming economic recession