Oft wird das Bewußtsein der Arbeiter, insbesondere das revolutionäre proletarische Bewußtsein, als etwas angesehen, das von außerhalb der Arbeiterklasse kommt, nämlich der wissenschaftliche Sozialismus, seit Mehring Marxismus genannt. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass der wissenschaftliche Sozialismus in die Arbeiterklasse hinein getragen werden muss. Vielleicht liegt der Grund für dieses Missverständnis darin, dass Marx und Engels dem Bewußtsein wenig Aufmerksamkeit geschenkt haben und auch in diesem Bereich praktisch nicht mehr Theorie gebildet haben, als in der deutschen Ideologie und den Thesen über Feuerbach zu finden ist.
Insbesondere die Bewegungen, die sich auf Lenin beziehen, stützen sich oft (zu Recht oder zu Unrecht) auf das folgende Zitat, in dem er sagt, dass das sozialistische Bewußtsein außerhalb der Arbeiterklasse, innerhalb des bürgerlichen Intellekts, entstanden ist und dass es im Klassenkampf hineingetragen ist:
„Die Geschichte aller Länder zeugt davon, daß die Arbeiterklasse ausschließlich aus eigener Kraft. nur ein trade-unionistisches Bewußtsein hervorzubringen vermag, d.h. die Überzeugung von der Notwendigkeit, sich in Verbänden zusammenzuschließen, einen Kampf gegen die Unternehmer zu führen, der Regierung diese oder jene für die Arbeitet notwendigen Gesetze abzutrotzen u.a.m. (….)“ (Was Tun)
Lenin zitiert dann Karl Kautsky:
„In diesem Zusammenhang erscheint das sozialistische Bewußtsein als das notwendige direkte Ergebnis des proletarischen Klassenkampf es. Das ist aber falsch. Der Sozialismus als Lehre wurzelt allerdings ebenso in den heutigen ökonomischen Verhältnissen wie der Klassenkampf des Proletariats, entspringt ebenso wie dieser aus dem Kampfe gegen die Massenarmut und das Massenelend, das der Kapitalismus erzeugt; aber beide entstehen nebeneinander, nicht auseinander, und unter verschiedenen Voraussetzungen. Das moderne sozialistische Bewußtsein kann nur erstehen auf Grund tiefer wissenschaftlicher Einsicht. In der Tat bildet die heutige ökonomische Wissenschaft ebenso eine Vorbedingung sozialistischer Produktion wie etwa die heutige Technik, nur kann das Proletariat beim besten Willen die eine ebensowenig schaffen wie die andere; sie entstehen beide aus dem heutigen gesellschaftlichen Prozeß. Der Träger der Wissenschaft ist aber nicht das Proletariat, sondern die bürgerliche Intelligenz (hervorgehoben von K.K.); in einzelnen Mitgliedern dieser Schicht ist denn auch der moderne Sozialismus entstanden und durch sie erst geistig hervorragenden Proletariern mitgeteilt worden, die ihn dann in den Klassenkampf des Proletariats hineintragen, wo die Verhältnisse es gestatten. Das sozialistische Bewußtsein ist also etwas in den Klassenkampf des Proletariats von außen Hineingetragenes, nicht etwas aus ihm urwüchsig Entstandenes.“.
Quelle: Lenin „Was tun“ 1902.
Für diejenigen, die jedoch der Ansicht sind, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiter selbst sein kann, lässt sich die Frage nicht einfach mit dem obigen Zitat von Lenin lösen. Dann stellt sich die Frage, wie sich das Bewußtsein der Arbeiter zu einem revolutionären Bewußtsein entwickeln kann. Wissenschaftlicher Sozialismus (oder historischer Materialismus) und Arbeitsbewußtsein sind dann zwei verschiedene Sachen, deren Beziehung bestimmt werden soll. Anton Pannekoek geht im nächsten Artikel auf dieses Thema ein.
Die Intellektuellen und der historische Materialismus
„Nach der großen französischen Revolution, als sich das Motto Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit als Freiheit der Ausbeutung, gleiche Pflichten für Reiche und Arme, d.h. für Ungleiche, herausstellte und die Bruderschaft durch den mörderischen Wettbewerb erstickt wurde, musste ein damaliger Intellektueller den Eindruck erwecken, als wäre die Revolution gescheitert. Krise, übermäßige Arbeit von Erwachsenen und Kindern, Alkoholismus, Arbeitslosigkeit und verzweifelter Widerstand gegen Ausbeutung sorgten für Aufregung und Kritik an den bestehenden Beziehungen einerseits und führten andererseits zum Streben nach einer mehr harmonischen Gesellschaft, in der die oben genannten Missstände unbekannt wären. Es war die Zeit der Aufführung der großen Utopisten Saint Simon, Fourier und Robert Owen.
Das Denken und Streben nach einer so harmonischen Gesellschaft kam nicht in erster Linie von den Massen, von den Enteigneten. Eine sozialistische Ideologie hatte sie kaum erfasst. Der Sozialismus, den diese Aufgeklärten predigten, war ein Sozialismus, der von den Weisen, den Rationalen, den Adligen des Geistes eingeführt werden sollte. Die kurze Herrschaft der Massen während der Französischen Revolution, der Terror, hatte ihnen Ekel bereitet, obwohl sie (Saint Simon) die Revolution als Klassenkampf erkannt hatten, zögerten sie, den zukünftigen Sozialismus als Ergebnis der Bewegung und des Kampfes der proletarischen Massen zu sehen.
Der utopische Sozialismus war daher ein vom Staat eingeführter Top-Down-Sozialismus. Ihre Ideologie war kein historischer Materialismus, sondern der aufgeklärte Materialismus des Endes des 18. Jahrhunderts, kurz zusammengefasst in den Worten, die Umstände bilden den Menschen, die dann als Erklärung und Entschuldigung für die Degeneration dienen mussten, die der junge Kapitalismus mit seiner unerbittlichen Ausbeutung den Massen gebracht hatte und welche die Sozialisten von damals nicht als eine unterdrückte, leidende Klasse sahen, die völlig unfähig war, sich selbst zu helfen. Diese Umgebungstheorie diente dem utopischen Sozialismus als ideologische Grundlage.
Wie viel Wahrheit übrigens steckte in der Behauptung, dass der Charakter des Menschen einerseits das Ergebnis einer angeborenen Veranlagung und andererseits seiner Umgebung war, bewies Robert Owen, der große Reformator, der in Schottland eine blühende Kolonie gründete, hauptsächlich von Webern, wo Trunkenheit, Strafrecht, Prüfungen und Fürsorge unbekannt waren, während das Ganze aus den verschiedensten, oft stark demoralisierten Elementen bestand.
Als die Bourgeoisie Mitte des letzten Jahrhunderts in mehreren Revolutionen die volle Macht gewann, wurde der Kontrast zwischen ihr und der Arbeiterklasse deutlicher. Die Vereinigung von Arbeitern und Bourgeoisie gegen die Überreste der alten Adelsmächte machte es unvermeidlich, dass auch die Arbeiterklasse sich ihrer eigenen Bedeutung bewusst werden musste.
Zahlenmäßig hatte die Arbeiterklasse ein wichtiges Wachstum erlebt. Gewerkschaften waren in England bereits entstanden, und Streiks für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten, begleitet von Demonstrationen, hatten deutlich gezeigt, dass hier eine neue Klasse mit neuen Widersprüchen entsteht. Dies gab der Lösung der sozialen Probleme ein anderes Ansehen. Die industrielle Revolution mit ihrem wachsenden Proletariat, die rasante Entwicklung ließ die Menschen fragen“wohin“, und diese Frage wurde auch an den sich entwickelnden Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat gestellt.
Die „Umstände formen den Menschen“, die eine Entschuldigung für die demoralisierte Arbeiterklasse waren, können einer Klasse, die ihre Rechte in Anspruch nimmt, nicht dienen. Um die Vergänglichkeit des Gesetzes und die Macht der herrschenden Klasse zu demonstrieren, muss sie auch die Vergänglichkeit ihrer Vorstellungen von Recht und Moral demonstrieren, denn ein Kampf, in dem materielle Dinge verfolgt werden, erweist sich immer auch als ein Kampf für moralische Werte. Die besitzende Klasse ist immer gezwungen, diese selbst heranzuführen. Aus dieser Ideenkampf entstand der historischen Materialismus. Die Frage war nicht mehr, ob der Mensch als Dieb, Faultier oder Trunkenbold geboren wurde, aber woher kommen die allgemeinen Vorstellungen von Recht, Moral, Sittlichkeit, Kunst, Religion? Und es waren wieder Intellektuelle, die diese Frage stellten und lösten, wobei die unabhängige Rolle des Proletariats als Säulen ihrer Lehre diente.
Der historische Materialismus ist nur am Rande mit der begrenzten Umgebungstheorie verbunden. Der Mensch lebt nicht nur in seiner begrenzten materiellen Umgebung, er lebt auch in einer Gesellschaft, in der bestimmte allgemeine Ansichten und Ideen vorherrschen. Er kann betrunken und faul sein und sich an die vorherrschenden Ansichten halten, er kann nüchtern und fleissig sein, aber er kann doch in scharfem Gegensatz zu den Ansichten seiner Zeit stehen. Indem man den Wandel des Zeitgeistes demonstrierte und auf die sich entwickelnde Technik verwies, die sich hinter dem Rücken des Volkes abspielt, wurde das Denken der Bourgeoisie wie auch des Proletariats erklärt, die Vergänglichkeit des einen wurde hergestellt und die Zukunft des anderen demonstriert. Sicherlich sind es auch die Menschen selbst, die die Technik ändern, aber weil die Verbindung zwischen der Technik, die verändert wird, und den Ideen, die sich ändern, von der herrschenden Klasse nicht akzeptiert wird – für sie ist dies das Läuten einer Totenglocke -, regiert die Technik als blinde Kraft über uns. Nur die Klasse, deren Interesse darin besteht, diesen Vorschlag anzunehmen, kann aktiv an der Vorauswahl des Ergebnisses beteiligt sein. Um es von einem Fluch in einen Segen zu verwandeln.
Wenn einer unserer Leser sagt, dass er den Einwand, dass es noch Menschen bürgerlicher Herkunft gibt, die dem Kampf der Arbeiterklasse dienen, nicht beantworten kann, antworten wir, dass diese Frage deutlich zeigt, dass das Denken des Fragestellers im bürgerlichen Materialismus, der Theorie der Umgebung, feststeckt. Als Klasse kann die Bourgeoisie oder jeder herrschende Stand, jede Kaste oder Schicht niemals den historischen Materialismus akzeptieren, aber in Ausnahmefällen als Individu kann sie das. Wir müssen jedoch vorsichtig sein mit diesen Menschen, die ihr Leben in den Dienst des Befreiungskampfes des Proletariats stellen. Die Geschichte der Arbeiterbewegung zeigt allzu oft, dass sie nichts anderes waren als soziale Philanthropen, die für sie, sei es denn mit Hilfe der Arbeiterklasse, die Kastanien aus dem Feuer holen wollten. In ihrem Eifer und ihrer Ungeduld enttäuschte die Arbeiterklasse sie oft und schien dann wieder die Klasse der dummen, unglücklichen Kreaturen zu sein, die nie in der Lage sein würden, sich selbst zu helfen.
In einer früheren Zeit, als die sozialistischen Parteien im Sturm voranschritten, wurden die Proletarier außerordentlich verherrlicht, desto weniger wurden sie in einem vorübergehenden Niedergang geschätzt, und die Konzeption fand wieder ein Echo auf einen Sozialismus, der von den Weisen und dem Adel, wenn nötig mit Gewalt, eingeführt würde.
Es ist daher sehr verständlich, dass, als nach dem Ersten Weltkrieg die Bewegungen der Arbeiterklasse stecken blieben, der utopische Sozialismus, begleitet von der Herabstufung des historischen Materialismus zu einer flachen Umgebungstheorie, von den Führern der sozialistischen Parteien und Gewerkschaften übernommen wurde. Die ersten intellektuellen Verkünder des historischen Materialismus befanden sich tatsächlich in einer Distanz zu den tatsächlichen Bewegungen der Arbeiterklasse, was auch der beste Ort für sie war, um ein reines Urteil zu fällen.
Wenn Gewerkschaften und Parteien erwachsen werden, fließen sie in sie ein, ebenso wie Intellektuelle die aus der Arbeiterklasse und ihren Kämpfen hervorkamen, nun führende Positionen einnehmen und die bekannte Gewerkschaftsbürokratie bilden. Auch diese Utopisten werden es für die Arbeiter schaffen, aber was diese Menschen mit ihrer bewährten Erfahrung wollen, muss auch getan werden. Wenn ihre eigenen Positionen und „Ideale“ gefährdet sind, rufen sie manchmal die Massen zum Handeln auf, aber Utopisten, wie sie sind, sind sie erstaunt, wenn die erbärmlichen Massen nicht reagieren. Sie meinen es doch so gut.
Zu anderen Zeiten, wenn sich die Massen bewegen, ist es normalerweise nach Ansicht einiger nicht an der Zeit, nach Ansicht anderer sind die Ziele nicht gut. Nein, sie müssen sich dann und dann in Bewegung setzen und so und so vorgehen, sonst geht es schief.
Wir, die historischen Materialisten, wissen jedoch, dass die Arbeiterklasse von den wirtschaftlichen und politischen Kräften der Gesellschaft in den Kampf gezwungen wird. Dass die Organisationsform von der Organisation der Produktion bestimmt wird, dass Ziele und Handlungen vom Moment des Kampfes diktiert werden und sich mit der Erweiterung und Intensivierung des Kampfes verändern, dass der Erfolg auch von der Einsicht abhängt, dass sich die Klasse im Kampf durchgesetzt hat. Diese Erkenntnis zu vertiefen und zu verbreiten, ist die Aufgabe, der sich „Spartacus“ gestellt hat, und als solche stellt er einen unverzichtbaren Teil des proletarischen Klassenkampfes dar.“
Von Anton Pannekoek (anonym). Erstveröffentlichung in Spartacus, der Wochenzeitung des Communistenbond “Spartacus” 1946, Nr. 51, Dezember 1946. Quelle: A.A.A.P.-Sammlung.
Zeitgleich mit der Veröffentlichung des obigen Artikels hat Anton Pannekoek zu seiner Position zur Entwicklung des Arbeiterbewusstseins verwiesen nach ein Fragment in Die Arbeiterräte. Dieses Fragment wurde neben dem obigen Artikel in Spartacus gedruckt. Das hier folgende Fragment ist etwas länger als das in Spartacus. In „Die Arbeiterräte“ sieht Pannekoek folgendermaßen die Bedeutung der proletarischen Revolution für die Entwicklung des Arbeiterbewusstseins:
Gedanke und Tat
„…. indem man die Herrschaft niederringt, macht mann den Weg frei für diese Entwicklung des Denkens und des weiteren Handelns.
Das bedeutet, dass diese großen Zeiten des ersten Sieges gleichzeitig mit dem Trubel der Gruppenkämpfe erfüllt werden. Von selbst werden sich diejenigen, die ähnliche Ideen haben, automatisch zusammenschließen, um sie reiner zu entwickeln, ihre Wahrheit zu verbreiten, für sie zu kämpfen und sie zu verbreiten. Aber diese Parteien – oder Diskussionsgruppen oder Propagandaverbände oder wie man sie nennen könnte – haben einen ganz anderen Charakter als die Parteiorganisationen der überwundenen Zeiten. Im bürgerlichen Parlamentarismus waren dies die Träger der kämpferischen Klasseninteressen; in der aufstrebenden Arbeiterbewegung waren es Gruppen, die die Führung der Klasse übernahmen. Jetzt können sie nur noch Meinungsorganisationen sein, Verbände gleicher Einsicht, die daher nie die Klasse ersetzen können. Sie können sich nicht mehr vorstellen und sich anmaßen, wie in der Vergangenheit, die Organe, die Vertreter, die Führer der Klasse zu sein, in ihrem Namen zu handeln, um sie schließlich zu kontrollieren. Ihr Kampf ist nicht mehr ein Kampf um Macht, sondern um Einsicht. Die Klasse hat ihre eigenen Organe gefunden, durch die sie selbst handelt: die Betriebsorganisation, die Räteorganisation: Diese bilden die Arbeiterklasse selbst; diese müssen handeln, sie müssen jederzeit entscheiden, was getan werden muss. Alle zu selben Ziel gerichteten und unterschiedlichen und gegensätzlichen Ansichten, einschließlich diejenigen, die von solchen Parteien und Richtungen propagiert und verteidigt werden, müssen in Betriebs- und Rätesitzungen zu einem Ergebnis, einem Beschluss, einem einstimmigen Beschluß kommen. Solange die Gedanken vage und verwirrt sind, wird die Entscheidung zögerlich und das Handeln schwach sein. Die wichtige Aufgabe solcher Richtungsorganisationen ist es, die wachsenden Gedanken so zu formulieren und klarzustellen, dass sie die spirituellen Kräfte so organisieren und organisieren, dass sie zu nützlichen Werkzeugen für die Klasse werden. Auf diese Weise werden sie fruchtbar für neue Taten. So wird die Entwicklung der Arbeiterrevolution Gedanke und Tat in ständiger Interaktion sein, die sich gegenseitig antreiben.
Dies wird nicht nur eine vorübergehende Vielfalt des Gedankenlebens sein, die wie eine Zeit der Suche und Verwirrung allmählich, sobald der Kampf gewonnen ist, einer immer größeren Gleichheit weichen muss. Die unterschiedlichen Beschränktheiten der Meinungen, die von der alten Welt aufgrund der begrenzten Verschiedenheit in der Arbeit übrig blieben – unterschiedlich für Arbeiter aus Klein- und Großunternehmen, aus der Stadt oder vom Land, für Landwirte oder Ingenieure – werden jedoch nur in den Anfängen zu Widersprüchen, schwierigen Spannungen und oft auch zu schweren Kämpfen führen. Mit dem Fortschritt der Revolution, dem Wachstum der Einheit, dem Aufbau der Organisation, werden sie allmählich überwunden. Aber auch danach werden die Lebens- und Arbeitsbedingungen weiterhin die größte Vielfalt aufweisen; und daraus muss eine reiche Vielfalt des Gedankenlebens entstehen. Alles, was in der alten kapitalistischen Welt eine tödliche Uniformität im mentalen Leben für große Gruppen und Klassen herausgearbeitet hat – die begrenzte Bildung, die begrenzte Aufgabe, immer auf den gleichen Teil zu starren, die gleichen Griffe zu wiederholen, die durch das ganze Leben in die gleiche Routine gefasst sind, und die anstrengenden langen Arbeitszeiten, die keine neue Kraft für neue Gedanken lassen – ist dann weggefallen. Dann kann erst der menschliche Geist aufblühen.
Hier liegt auch der große Widerspruch zwischen der Organisation von oben, von einer einzigen zentralen Behörde, die durch Zwang auferlegt wird, und der Organisation von unten, durch die Zusammenarbeit freier Produzenten. Im ersten Fall besteht die Organisation aus so viel einheitlicher Regulierung wie möglich aller Teile; durch die gleiche Regelung für alle muss die Gesellschaft überall gleich verlaufen, sonst wäre es nicht möglich, sie von einem Zentrum aus zu überwachen und zu regeln. Im anderen Fall funktioniert die tausendfache Initiative von Menschen, die über ihre Arbeit nachdenken, an Tausenden von Arbeitsplätzen, die sich in ständiger Abstimmung miteinander anpassen und voneinander in die effizienteste Organisation übergehen. Ihre Arbeit ist tausendfach anders, und alle versuchen mit praktischem Einfallsreichtum, wissenschaftlichem Denken, künstlerischer Phantasie, sie immer effizienter, vollständiger und schöner zu machen. Was sie alle gemeinsam haben, die neue Sicht des Ganzen, die weite Sicht der Gesellschaft als Produktionseinheit, bringt die organisatorische Kohärenz ihrer gesamten Arbeit. Die Revolution war nicht anders, als diese soziale Erkenntnis auf die Praxis der Produktion anzuwenden.
Das Geistesleben ist der Reflex und gleichzeitig der Impuls der Arbeitsverhältnisse. Unter zentraler Autorität muss auch das geistige Leben, das von oben in eine dominante Richtung geführt wird, zur Einheitlichkeit verarmen. In der Welt der freien Arbeiter muss sich das Geistesleben, wie die Arbeit, in einer herrlichen Vielseitigkeit entfalten. Das geistige Talent der Menschheit, weil sie unendlich reich ist, ist auch unendlich vielfältig. Die Welt ist so unendlich reich und vielfältig, dass niemand sie in seinem Werk in gleicher Weise und in all ihren Details erleben und aufnehmen kann. Das Geistesleben, das aus diesen beiden Quellen, der Begabung und dem sozialen Einfluss, stammt, muss dann eine noch reichere Vielseitigkeit erhalten. Die gegenseitige Wirkung von Gedankenleben und Arbeitsprozess wird ebenfalls unmittelbarer und vollständiger; sie werden zu zwei Seiten derselben Beziehung zwischen Mensch und Welt. Mit dem ehemaligen Zwang, den sie zurückhielt, bis sie ausbrechen mussten, verschwinden auch die Spannungen. Anstelle von Wechselwirkung tritt jetzt immer mehr die Einheit von Denken und Handeln.“
P. Aartsz (Anton Pannekoek) „Die Arbeiterräte“, 1946, von FC übersetzt aus dem niederländischem Orginal, S. 169/170, Quelle: A.A.A.P.