Die beiden wichtigsten marxistischen Krisentheorien, die als monokausal bezeichnet werden können, die von Rosa Luxemburg und die von Paul Mattick, haben ihren Ursprung im Kampf zwischen den Strömungen in der Arbeiterbewegung rund den Ersten Weltkrieg bzw. den Zweiten Weltkrieg. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sowohl Luxemburg als auch Mattick dem Phänomen des Weltkriegs einen Platz in ihrer Theorie eingeräumt haben.
ROSA LUXEMBURG IM KAMPF GEGEN DEN REVISIONISMUS
Ein Zitat von Rosa Luxembourg aus Reform oder Revolution zeigt wie Luxemburg den zyklischen Charakter der kapitalistischen Krisen gegen Bernstein hervorhebt, der zeigen wollte
„die kapitalistische Entwicklung gehe nicht einem allgemeinen wirtschaftlichen Krach entgegen. Er verwirft aber damit nicht bloß die bestimmte Form des kapitalistischen Untergangs, sondern diesen Untergang selbst.“
(Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution).
Bernstein verwies mit Krach auf den „großen Kladderadatsch“, das damals üblichen Bild in der Sozialdemokratie eines automatischen Zusammenbruchs des Kapitalismus , dem automatisch der Übergang zum Sozialismus folgte. Luxemburg lehnt diese mechanistische Sichtweise ausdrücklich ab indem sie darauf hinwies dass:
„die wachsende Organisation und Klassenerkenntnis des Proletariats, das den aktiven Faktor der bevorstehenden Umwälzung bildet“
Bernstein hatte die Frage gestellt:
„…. wie kommt es, daß wir zwei Jahrzehnte lang – seit 1873 – keine allgemeine Handelskrise hatten? (….) Kaum hatte Bernstein 1898 die Marxsche Krisentheorie zum alten Eisen geworfen, als im Jahre 1900 eine allgemeine heftige Krise ausbrach und sieben Jahre später, 1907, eine erneute Krise von den Vereinigten Staaten aus über den Weltmarkt gezogen kam.“ (Idem).
Im weiteren Verlauf des zitierten Textes geht es Luxemburg eindeutig nicht um die Frage, ob sich die Krisen in einem 10-Jahres-Zyklus wiederholen, wie Marx es beschrieben hat:
„Das Marxsche Schema der Krisenbildung, wie Engels es in dem AntiDühring und Marx im 1. und 3. Band des Kapitals gegeben haben, trifft auf alle Krisen insofern zu, als es ihren inneren Mechanismus und ihre tiefliegenden allgemeinen Ursachen aufdeckt, mögen sich diese Krisen alle 10, alle 5, oder abwechselnd alle 20 Jahre und alle 8 Jahre wiederholen.“ (Idem).
Sie war besonders daran interessiert zu zeigen, in welcher historischen Phase sich der Kapitalismus damals (1899) noch befand:
„Wenn wir uns nun die heutige Ökonomische Lage vergegenwärtigen, so müssen wir jedenfalls zu, Dass wir noch nicht in jene Phase vollkommener kapitalistischen Reife getreten sind, die bei dem Marxschen Schema der Krisenperiodizität vorausgesetzt wird. Der Weltmarkt ist immer noch in Ausbildung begriffen“ (RL, Gesammelte Werke Bd. 1/1, S 385, Fragment ausgelassen in der vorigen Quelle).
Es ist daher die Aufgabe von Rosa Luxemburg, die langfristige Phase des Kapitalismus zu bestimmen. Ihre theoretische Arbeit auf diesem Gebiet, die wohlgemerkt von einem vermeintlichen Fehler in Teil II von Das Kapital ausgeht, war, ob sie nun eine monokausale Erklärung gab oder nicht, von großer Bedeutung für das Verständnis der Linken in der Sozialdemokratie von den historischen Grenzen des Reformismus und der Bedeutung des Imperialismus.
ROSA LUXEMBURG: KRISENTHEORIE UND PHASEN DES KAPITALISMUS
Zuerst wollen wir sehen, wo Rosa Luxembourg anknüpft bei Marx und Engels. In seinem Vorwort zu einem seiner Ökonomischen Schriften wiederholt Marx den Kern des historischen Materialismus wie folgt:
„Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Mit der Veränderung der ökonomischen Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure Überbau langsamer oder rascher um.“ (Marx‘ Vorwort zum Beitrag zur Kritik der politischen Ökonomie)
Der Entwicklungsstand der Produktionskräfte lässt sich an der Formel für die organische Zusammensetzung des Kapitals ablesen: c/v. Das Produktionsverhältniss zwischen Lohnarbeit und Kapital spiegeln sich im Grad der Ausbeutung oder der Wertschöpfung wider: m/w. Der Wendepunkt, an dem sich die kapitalistischen Produktionsbeziehungen wandeln von der Entwicklung der Produktivkräfte förderlich, zu ihren Fesseln, zeigt sich in den Indikatoren jeder Wirtschaftskrise, aber vor allem in der langfristigen Entwicklung des Kapitals, d.h. wenn die progressive Periode des Kapitalismus mit schweren Krisenphänomenen in seine Phase des Niedergangs übergeht. Sowohl in der deutschen Ideologie als auch im Kommunistischen Manifest betonen Marx und Engels die Bedeutung der Entwicklung des Weltmarktes für die Erreichung dieser Phase des Niedergangs, ein Aspekt, der in Das Kapital aus methodischen Gründen kaum vorhanden ist:
„Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen.
Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumption aller Länder kosmopolitisch gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien (…..)
Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; anderseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, daß sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“ (Marx /Engels, Manifest der Kommunistischen Partei).
Im Parteiprogramm des Spartakusbundes inmitten der Deutschen Revolution verweist Rosa Luxemburg auf eine Passage im Kommunistischen Manifest, die wir bereits erwähnt haben:
„Über den zusammensinkenden Mauern der kapitalistischen Gesellschaft lodern wie ein feuriges Menetekel die Worte des Kommunistischen Manifests: Sozialismus oder Untergang in der Barbarei!“ (Luxemburg, Was will der Spartakusbund?)
Nirgendwo findet man diese Aussage buchstäblich im Kommunistischen Manifest. Marx und Engels schreiben: „Die Gesellschaft findet sich plötzlich in einen Zustand momentaner Barbarei zurückversetzt“, verursacht durch die periodischen Handelskrisen. Marx und Engels weisen auch darauf hin – siehe oben -, dass diese Krisen in der fortschrittlichen Periode des Kapitalismus durch die Expansion des Kapitalismus auf globaler Ebene überwunden werden können. Rosa Luxemburg kommt daher zu dem Schluss, dass, sobald der Widerspruch zwischen Produktionskräften und Verhältnissen zu einem globalen geworden ist, dieser Widerspruch unlösbar geworden ist. Die progressive Periode des Kapitalismus ist dann vorbei und die Periode der sozialen Revolution hat begonnen:
„Der Weltkrieg hat die Gesellschaft vor die Alternative gestellt: entweder Fortdauer des Kapitalismus, neue Kriege und baldigster Untergang im Chaos und in der Anarchie oder Abschaffung der kapitalistischen Ausbeutung.
Mit dem Ausgang des Weltkrieges hat die bürgerliche Klassenherrschaft ihr Daseinsrecht verwirkt. Sie ist nicht mehr imstande, die Gesellschaft aus dem furchtbaren wirtschaftlichen Zusammenbruch herauszuführen, den die imperialistische Orgie hinterlassen hat. (…)
Nur die Weltrevolution des Proletariats kann in dieses Chaos Ordnung bringen“. (Idem).
Dieser Aspekt der langfristigen und weltgeschichtlichen Entwicklung des Kapitals tritt in Das Kapital erst in den Vordergrund, wenn Marx über die Revolution spricht. Das Kapital analysiert die dem Kapitalismus innewohnenden Widersprüche und kaum, wie sie durch die Expansion des kapitalistischen Weltmarktes vorübergehend überwunden werden können:
„In der Darstellung der Versachlichung der Produktionsverhältnisse und ihrer Verselbständigung gegenüber den Produktionsagenten gehn wir nicht ein auf die Art und Weise, wie die Zusammenhänge durch den Weltmarkt, seine Konjunkturen, die Bewegung der Marktpreise, die Perioden des Kredits, die Zyklen der Industrie und des Handels, die Abwechslung der Prosperität und Krise, ihnen als übermächtige, sie willenlos beherrschende Naturgesetze erscheinen und sich ihnen gegenüber als blinde Notwendigkeit geltend machen. Deswegen nicht, weil die wirkliche Bewegung der Konkurrenz außerhalb unsers Plans liegt und wir nur die innere Organisation der kapitalistischen Produktionsweise, sozusagen in ihrem idealen Durchschnitt, darzustellen haben.“ (Das Kapital, Band III, MEW Bd. 25, S. 839)
Luxemburg hat dagegen in 1913 in die Akkumulation des Kapitals den Imperialismus, die Ausdehnung des Kapitalismus auf nicht-kapitalistische Bereiche, in den Mittelpunkt gestellt. Deswegen musste sie zunächst die theoretischen Annahmen von Das Kapitals erläutern::
„Wir haben gesehen, daß Marx konsequent und bewußt als die theoretische Voraussetzung seiner Analyse in allen drei Bänden des „Kapitals“ die allgemeine und ausschließliche Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise annimmt. (…) Diese Voraussetzung ist theoretischer Notbehelf – in Wirklichkeit gab und gibt es nirgends eine sich selbst genügende kapitalistische Gesellschaft mit ausschließlicher Herrschaft der kapitalistischen Produktion.“ (RL, Gesammelte Werke, Bd 5, S. 297)
Rosa Luxemburg kritisiert Marx‘ Abstraktion des Weltmarktes, insofern diese ein Hindernis ist, sagt sie im Vorwort zu Die Akkumulation, für die Beschreibung der objektiven historischen Schranken der kapitalistischen Produktion und der Praxis der heutigen imperialistischen Politik und ihrer wirtschaftlichen Wurzeln, d.h. der Darstellung der Reproduktion des Gesamtkapitals auf einer höheren Stufe in Band II von Das Kapitals. Ich lasse diese komplexe (und umstrittene!) ökonomische Angelegenheit beiseite, um mich auf die wichtigsten sozialen, politischen und historischen Aspekte der Imperialismustheorie Luxemburgs zu konzentrieren:
„In dem Moment, wo das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion der Wirklichkeit entspricht, zeigt es den Ausgang, die historische Schranke der Akkumulationsbewegung an, also das Ende der kapitalistischen Produktion. Die Unmöglichkeit der Akkumulation bedeutet kapitalistisch die Unmöglichkeit der weiteren Entfaltung der Produktivkräfte und damit die objektive geschichtliche Notwendigkeit des Untergangs des Kapitalismus. Daraus ergibt sich die widerspruchsvolle Bewegung der letzten, imperialistischen Phase als der Schlußperiode in der geschichtlichen Laufbahn des Kapitals. (Idem S. 364).
Rosa Luxemburg schreibt 1913, ein Jahr vor Ausbruch des Weltkriegs:
„Damit ist nicht gesagt, daß dieser Endpunkt pedantisch erreicht werden muß. Schon die Tendenz zu diesem Endziel der kapitalistischen Entwicklung äußert sich in Formen, die die Schlußphase des Kapitalismus zu einer Periode der Katastrophen gestalten“. (Idem, S. 392).
Sie sagt kein objektives Ende des Kapitalismus voraus, so dass die Arbeiterklasse mit verschränkten Armen warten könnte. Die vom Kapital verursachten Katastrophen würden
„die Rebellion der internationalen Arbeiterklasse gegen die Kapitalsherrschaft zur Notwendigkeit machen werden, selbst ehe sie noch ökonomisch auf ihre natürliche selbstgeschaffene Schranke gestoßen ist.“(Idem, S. 411).
Fünf Jahre später, nachdem der Erste Weltkrieg beispiellose Massaker verursacht hatte und Europa in Trümmern lag, muss Rosa Luxemburg zu dem Schluss kommen
„Mit dem Ausgang des Weltkrieges hat die bürgerliche Klassenherrschaft ihr Daseinsrecht verwirkt.“ Luxemburg, Was will der Spartakusbund?
Die Mehrheit der KPD(S), die von der Minderheit (!) aus der Partei gestossen wurde und die danach die KAPD bildete, zitierte in ihrem Gründungsprogramm Rosa Luxemburgs Aussprache Sozialismus- oder-Barbarei und machte den Ersten Weltkrieg ausdrücklich zur Grenze zwischen der fortschrittlichen Periode und der Periode der sozialen Revolution, von der Marx gesprochen hatte:
„Die aus dem Weltkriege geborene Weltwirtschaftskrise mit ihren ungeheuerlichen ökonomischen und sozialen Auswirkungen, deren Gesamtbild den niederschmetternden Eindruck eines einzigen Trümmerfeldes von kolossalem Ausmaß ergibt, besagt nichts anderes, als daß die Götterdämmerung der bürgerlich-kapitalistischen Weltordnung angebrochen ist. Nicht um eine der in periodischem Ablauf eintretenden, der kapitalistischen Produktionsweise eigentümlichen Wirtschaftskrisen handelt es sich heute, es ist die Krise des Kapitalismus selbst, was unter krampfhaften Erschütterungen des gesamten sozialen Organismus, was unter dem furchtbarsten Zusammenprall der Klassengegensätze von noch nicht dagewesener Schärfe, was als Massenelend innerhalb der breitesten Volksschichten als das Menetekel der bürgerlichen Gesellschaft sich ankündigt. (….)“. (Programm der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands, KAPD, Mai 1920)
Unabhängig davon, welche Erklärung für den Beginn dieser historischen Periode, die Sättigung der Märkte oder den Rückgang der Gewinnrate gegeben wurde, wurde diese Erkenntnis in der deutschen und niederländischen kommunistischen Linken allgemein geteilt.
Abschließend, wir haben gesehen, wie Rosa Luxemburg im Kampf gegen den Revisionismus auf die Bedeutung der Erweiterung des Weltmarktes für die Fortsetzung der Wachstumsphase des Kapitalismus hinweist. Mit dieser Idee entwickelte sie dann eine Theorie der Akkumulation von Kapital und des Imperialismus, um zu besseres Verständnis der Phase der sozialen Revolution zu gewinnen.
PAUL MATTICK IM KAMPF GEGEN DEN STALINISMUS
Auch bei Paul Mattick sehen wir die Verwendung eines Arguments im Kampf – innerhalb der kommunistischen Bewegung zwischen beiden Weltkriege – nämlich der Fall der Profitrate. Er wird die Theorie der Profitrate bei der Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung in der Zeit des Ersten Weltkriegs, des Interbellums, des Zweiten Weltkriegs und des Wiederaufbaus entwickeln.
In einem Interview während seine letzten Jahre gibt Mattick einen Rückblick auf sein bewegtes Leben. Als Junge nahm er an der Januarrevolution in Berlin teil, als Mitglied der KAPD war er zusammen mit Jan Appel in den 1920er Jahren in den Bewegungen im deutschen Ruhrgebiet aktiv, emigrierte in die Vereinigten Staaten, in den 1930er Jahren Teilnahme am IWW in Chicago, Verleger der International Council Correspondence, später Living Marxism und bekannt geworden durch eine Wirtschaftskritik des Keynesianismus, der Wirtschaftspolitik der dreißiger Jahre und die „glorreiche Jahre“ von 1945 bis 1975. In diesem Interview spricht Mattick über seinen Kampf in Chicago gegen die Proletarian Party, die sich an der Kommunistischen Internationale unter Stalin orientierte. Diese Partei war ein Befürworter der Theorie des Unterkonsums. Mattick stieß auf Grossmanns Buch Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des kapitalistischen Systems, das gegen die „Luxemburgianer“ und „Unterverbrauchisten“ eine Theorie der Tendenz zum Fall der Profitrate verteidigte, die aus dem Band III des Kapitals stammt. Mattick sagt: „Und mit Grossmanns Hilfe habe ich die Proletarian Party gespalten, indem ich diese leninistische Theorie des Unterkonsums mit der Theorie der Tendenziel fallenden Profitrate gebrochen habe“. (Mattick, Die Revolution war für mich ein großes Abenteur. Unrast Verlag, S. 61 und 63).
Es gibt bessere Möglichkeiten, eine Spaltung auf politisch klare Weise zu erreichen, aber gut, Mattick musste zuerst theoretisch den dominanten Führer dieser Partei niedermachen, um einige ihrer Mitglieder aus seinem Einflussbereich zu bekommen. Danach hielt Mattick weiterhin an der Theorie des Tendenziel fallenden Profitrate für das Leben fest.
PAUL MATTICK ZUM KEYNESIANISMUS ALS WIRTSCHAFTSPOLITIK DES KALTEN KRIEGES
In mehreren Artikeln, gebündelt in Marx und Keynes, erklärt Mattick den Kontext, in dem Keynes seine Theorie entwickelt hat. Um 1900 war ein Punkt erreicht, an dem die Zerstörung von Kapitalwerten durch Krise und Wettbewerb für eine wirtschaftliche Erholung nicht mehr ausreichte. Der Wirtschaftskreislauf verwandelte sich in einen Kreislauf von Weltkriegen. Das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs war eine Belebung und Intensivierung der wirtschaftlichen Aktivitäten. Das Kapital ist aus dem Krieg konzentrierter und profitabler hervorgegangen, trotz und auch wegen der Zerstörung des Kapitals, das nun auch zur Zerstörung des materiellen Kapitals geworden war. Die Gewinnrate m / (c+v) zeigt, warum. Wenn es zu einer großflächigen Zerstörung von Maschinen, Anlagen und Gebäuden (c) und Arbeit (v) kommt, fällt das Kapital in den Nenner, und die Gewinnrate steigt. Die positiven Auswirkungen der Kriegsindustrie auf das Kapital wurden später durch die Ausweitung der Produktion mit staatlich finanzierter „Kaufkraft“ und nicht durch die bis dahin übliche Ausweitung der Nachfrage nach Konsum- und Produktionsmitteln auf dem Markt erklärt. Die Produktionsausweitung durch staatliche Interventionen, die während des Ersten Weltkriegs begann, erwies sich als unfähig für eine weitere Kapitalausweitung unter der Rückkehr zum Marktkapitalismus nach dem Krieg. Nach 10 Jahren mäßigen Wohlstands brach der Marktkapitalismus wieder zusammen; staatliche Eingriffe waren notwendig. Experimente wie der New Deal führten jedoch nur zu einer Stabilisierung der Depression. Erst während des Zweiten Weltkriegs wurden die Produktionsmöglichkeiten voll ausgeschöpft. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erwies sich als gut für einen kurzen Boom, aber zu Beginn der 1950er Jahre traten wieder Arbeitslosigkeitsprobleme auf. Die staatliche Intervention durch Marshall-Spenden an das zerstörte Europa konnte nicht viel ändern. Erst während des Koreakrieges erholte sich die Wirtschaft. Der Zustand der amerikanischen Wirtschaft erwies sich als abhängig von der Höhe der Staatsausgaben. Erst als etwa 50% des Volkseinkommens vom Staat ausgegeben wurden (und dies geschah nur in Kriegszeiten), wurden die Produktionsmöglichkeiten voll ausgeschöpft.
Matticks‘ (nicht unumstrittene) Analyse der Grenzen des gemischten Kapitalismus beruht in erster Linie auf der Unterscheidung der Wirtschaft in einem privaten kapitalistischen profitablen Sektor und einem öffentlichen nicht-profitabelen Sektor . (Mattick, Marx und Keynes, EVA, 1973, S .162/3). Er stützt diese Unterscheidung auf die Überlegung, dass die staatlich geförderte Produktion nicht wettbewerbsfähig sein sollte, wenn sie zur Erhaltung der Marktwirtschaft bestimmt ist. Daher ist der Staat an öffentlichen Arbeiten und an Ausschreibungen aller Art interessiert. Die Unterscheidung liegt daher in der Art und Weise, wie der Mehrwert erzielt wird. Der Privatsektor erwirtschaftet seine Gewinne durch Markttransaktionen. Der öffentliche Sektor hingegen ist unabhängig vom Markt tätig. Laut Mattick ist der öffentliche Sektor nicht profitabel. Es stimmt, dass ein großer Teil der Staatsausgaben aus Aufträgen an kapitalistischen Unternehmen besteht, aber wegen der Art und Weise, wie der Staat seine Einnahmen finanziert, ist Mattick dazu gekommen, die Gewinne aus staatlichen Aufträgen falsche Gewinne zu nennen. Der Staat finanziert seine Ausgaben aus drei Einnahmequellen: aus Steuern, aus Darlehen und aus Haushaltsdefiziten.
Laut Mattick bedeutet die Finanzierung des öffentlichen Sektors aus Steuern nur den Transfer von Geld von einem Sektor zum anderen, was die Art der Produktion, aber nicht ihr Volumen verändern kann. Die Finanzierung aus Krediten und Zahlungsbilanzdefiziten hingegen kann die Produktion auf Kosten des Wachstums der Staatsverschuldung und damit der Inflation ausweiten. Laut Mattick bedeutet diese Produktionssteigerung nur eine fiktive und rein rechnerische Akkumulation. Die so erzielten „Gewinne“ bestehen aus Ansprüchen an den Staat, die aus zukünftigen staatlichen Einnahmen aus dem privaten profitablen Sektor zu finanzieren sind. Um dies zu erreichen, muss die Produktion jedoch mit Hilfe staatlicher Beihilfen ausgebaut werden. Der öffentliche Sektor wächst also im Vergleich zum privaten kapitalistischen Sektor ständig, bis er einen Punkt erreicht, an dem er den öffentlichen Sektor nicht mehr anziehen kann. Kurz gesagt, dies bedeutet das Ende der keynesianischen Wirtschaftspolitik, wie von Mattick vorhergesagt.
Mattick’s Sohn veröffentlichte eine weit verbreitete Sammlung von Artikeln aus der Brooklyn Rail, in der er die Theorie von Mattick sr. mit den Fakten der Kreditkrise 2008 bestätigte. (Mattick, Business as usual. Krise und Scheitern des Kapitalismus, Nautilus Verlag, Hamburg 2012. ISBN 978-3-86438-072-3).