ARBEITSLOS – ARBEITER-LOS!

Otto Griebel
Otto Griebel „Der Arbeitslose“ 1921

Der folgende Text des späteren KAPD-Mittglieds Franz Jung aus dem Jahre 1919 (1) erwähnt einige Punkte zur Arbeitslosigkeit die in der heutigen Debatte zum bedingungslosem Grundeinkommen kaum beachtet werden:.

  • die Notwendigkeit, nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern auch die Lohnarbeit zu beseitigen;

  • die Bedeutung der Arbeit für soziale Kontakte und individuelle Lebensentfaltung.

Dagegen heißt die Forderung nach einem bedingungsloses Grundeinkommen soziale Isolation und Massenarbeitslosigkeit zu akzeptieren. Die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit ist unvermeidlich, solange der Kapitalismus existiert. Und das Gefährlichste ist, daß die Arbeiter ihr Schicksal in die Hände des kapitalistischen Staates legen, indem sie ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern.

Die deutsche Rätebewegung von 1918-1923 sah die Lösung von Krise und Arbeitslosigkeit in der Führung der Produktion von den Arbeitern selber. Also keine Vergesellschaftung der Produktionsmittel durch Verstaatlichung. Erst wenn die Arbeiter selber die Kontrolle des Produktionsprozess übernahmen, konnten sie auch die Verteilung bestimmen von dem was sie produzieren. Wenn die Arbeiterräte alle Macht an sich zogen, konnte die Produktion auf die menschlichen Bedürfnisse ausgerichtet werden. Dazu war auch eine Konfrontation mit dem Staat notwendig. In der deutschen Revolution schlugen verschiedene sozialdemokratische Regierungen jeden Arbeitskampf nieder mit Hilfe bewaffneter Banden – die Freikorpse – die Vorläufer der nationalsozialistischen Bewegung waren. Arbeitslosen organisierten sich wie die Arbeitenden in Räten und stellten Forderungen an den Staat, ohne jede Illusion zu dem unterdrückenden Charakter des bürgerlichen Staates, „Sozialisten“ in der Regierung oder nicht.

ARBEITSLOS – ARBEITER-LOS!

Am 24, April finden im ganzen Reich Massenversammlungen der Arbeitslosen gegen die Regierung statt

Solange der begriff Proletariat als Bezeichnung einer Klasse von Menschen besteht, solange müht mann sich um die Klärung des Begriffs Arbeit, und zwar einer Arbeit, die als Ware genommen sich zwischen zwei Polen bewegt, dem Arbeitsentgelt und der Arbeitslosigkeit. Nachdem Geld und Kredit aus dem Stand reiner Mittel sich zu selbständigen Unternehmensformen entwickelt haben, nachdem aus dem Kapital ein herrschendes System, der Kapitalismus entstanden ist, ist der Charakter der Arbeit als Ware jeder psychologischen Verbindung mit dem Einzelleben des Menschen, der Lebenshaltung und der Lebensinhalt, entkleidet worden. Religiöse Verknüpfungen, wie sie in Ansätzen sich noch in den gebräuchlichsten Religionssystemen finden, sind allmählich verschwunden.

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Hunger nach dem Ersten Weltkrieg – erste Opfer: Kinder

Arbeit ist nur Ware geworden. In einem Fall wird diese Ware bezahlt, als Entgelt und Lohn. Es gibt aber auch die gleiche Arbeit als Ware, die nicht bezahlt wird. Mann muß sich hüten, den Gedankensprung zu machen und zu sagen, diese Ware sei nicht verlangt worden. Erzeugung und Bedarf, Angebot und Nachfrage gelten als Begriffe und Systeme für Gegenständliches, für Güter, deren Wesensinhalt als Gut und Objekt der menschliche Sinn erst bestimmt. Das menschliche Leben, die menschliche Arbeitskraft, die Arbeit kann ein solches Gut nicht sein, wie der Mensch sich selbst als bloßes Wertobjekt nicht im Umlauf bringen kann, es müßten den übermenschliche Wesen sein, die von sich aus die Lebensfähigkeit und den Lebenswert des einzelnen Menschen wertbestimmend innerhalb einer Erzeugungs- und Bedarffsordnung festzulegen sich anmaßen müßten. Solche Übermenschen gibt es noch nicht. Es gibt überhaupt keinen Menschen, der zu innerst daran glauben kann, daß Arbeit, menschliche Arbeit nur nach dem Wertstab der Ware gemessen werden kann. Arbeit, Arbeitsfähigkeit ist allen Menschen generell gemeinsam. Sie ist keine Frage des Bedarfs, sie ist von Anfang an da. Diese Arbeit, diese Arbeitsfähigkeit, dieser Arbeitsinhalt, der jedem einzelnen zwingende Lebensnotwendigkeit ist, nicht nur um, wie mann es heute noch will, sich satt zu essen, sondern um der menschlichen Existenz willen, um sich als Mensch unter Menschen zu fühlen – diese Arbeit also wird häufig auch nicht bewertet, d.h. im kapitalistischen Wirtschaftssystem: nicht bezahlt. Mann nennt das für den davon Betroffenen Arbeitslosigkeit.

ErwerbsloseEs kommt nicht so sehr auf die reine Tätigkeit an. Maßgebend ist die Erfassung der Arbeit, meinetwegen der Umsetzung dieser Arbeit in Tätigkeit, dieser Arbeit, die Existenz, Fähigkeit und Wille bedeutet. Maßgebend ist die Organisierung dieser vorhandenen Arbeit zu menschlichen Lebensbedingungen nicht mehr als toter Gegenstand, als Wert und Wertfolge, sondern zu freiem selbstbestimmenden Lebensinhalt, zu Arbeits-, das ist dann Tatigkeitsfreude, zu Lebensglück. Maßgebend ist diese Organisierung aber auch für die Fähigkeit einer Regierung, für die innere Wahrheit einer Gesellschaftsordnung, für die Zweckmäßigkeit eines Wirtschaftssystems. Mann sollte nicht immer und von vornherein alles mit Ausbeutung abtun. Selbstverständlich sind die „Arbeitslosen“ betrogen, sie werden ausgebeutet und sind ausgebeutet worden. Aber sie sind letzten Endes die Betroffenen, die Opfer einer Weltordnung, an der wir noch alle beteiligt sind.

Sie sind arbeitslos, weil sie bislang noch das Recht dieser Gesellschaft zuerkannt haben, ihnen Arbeit als Ware anbieten zu dürfen. Sie sollten das nicht länger tun. Der Kampf gegen einer Ordnung, die sich als irrig erweist, setzt damit ein, daß man diese Ordnung auflöst. Man löst sie in ihren Teile auf. Diese Ordnung zum Beispiel in solche, die arbeiten, d.h. Arbeit in sich als Existenzbewußtsein haben, und solche die von dieser Arbeit leben, d.h. Arbeit nicht in sich haben, sondern außerhalb davon. Die Kenntnis der menschlichen Lebensbedingungen, kurz das Bewußtsein der Menschlichkeit gibt hier die Mittel. Die „Arbeitslosen“ können erklären die Organisationsfehler interessieren sie nicht. Sie sind Träger der Arbeit, und wo es an Fähigkeiten mangelt, diese Arbeit organisatorisch umzusetzen, so müßten sie dies selber in die Hand nehmen. Soll nun ein Mensch seines vornehmsten Rechtes, seiner Glücksmöglichkeit beraubt werden, nur weil das Rad einer toten Wirtschaftssmaschine sich nicht mehr dreht? Das hieße die menschliche Arbeitskraft in ihren Wirkungen unterschätzen. Die wunderbare Kraft menschlichen Arbeitswillens wird diese Maschine ohne weiteres in gang bringen. Mann ändere die Grundlagen ihres Aufbaus und ihre Form. Nicht warten, die zunächst Betroffenen, die Ausgebeuteten, alle, jeder, vermag wesentliche Mitarbeit zu leisten.

Proletariat sein, heißt nur zu einem Teil ausgebeutet, unterdrückt sein, arm an Gütern und Glück. Proletariat ist zugleich derjenige teil der Menschheit, der arbeitet, vielmehr noch, der arbeiten will. Nicht die Jagd nach Gewinn, für die sich so manchem die Arbeit charakterisiert, sondern die organisatorische Grundlage des Lebensinhalts, der alle Menschen gemeinsam ist, der Lebensberuf – das bedeutet dieser Wille, dieser Schrei nach „Arbeit“. Bislang ist dieser Schrei ergebnislos verhallt. Falsche Systeme haben falsche Ohren.

Am 24. April werden allenthalben im Reich die Arbeitslosen in Massenversammlungen und Demonstrationen ihren Willen kundtun. Die Aufforderung an die Regierung wird laut und sehr vernehmlich sein. Man wird sie hören. Die Arbeitslosen werden u.a. verlangen die sofortige Anerkennung der von den Erwerbslosen gewählten Ausschüsse und Arbeiterräte, die sofortige Erhöhung der Unterstützung auf dem 1. Mai geltenden Satz, die sofortige Schaffung eines Reichsgesetzes über die Erwerbslosenfürsorge unter Ausschaltung der von der Regierung geplanten Regelung auf dem Wege eines Arbeitslosen-Versicherungsgesetzes. Die Forderung an die Regierung wird ein bis zum 3. Mai befristetes Ultimatum sein, dann wird auch die ganze Arbeiterschaft in die Lage versetzt sein, mit den ihr zu Gebote stehende Machtmitteln für die Erfüllung dieser Forderungen sich einzusetzen. Man darf nicht außer acht lassen, praktisch notwendig gewordene Forderungen des Augenblicks berühren die Grundfrage, d.h. den Wert, das Problem, den Lebensinhalt, die Herrschaft der Arbeit an sich nur indirekt. Sie sind Glieder einer Auseinandersetzung zwischen einer zusammengebrochenen Gesellschaftsordnung und der bereits heraufdämmernden Atmosphäre einer neuen. Sie vollziehen sich allmählich sachlich und ohne Leidenschaft, Zug um Zug, mit dem Bewußtsein, daß die Existenzfrage des Menschen einfach bedeutet, Mensch zu sein, nicht dann und wann einmal, nicht da und dort, sondern überall und immer.

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Nachwort des Herausgebers: Die Regierung lehnte die Forderungen der Arbeitslosen „wegen Geldmangels“ ab. Dies wurde in der Sitzung des Arbeiter- und Soldatenrats von Groß-Berlin am 10. Mai 1919 als „lächerlich“ abgetan, angesichts der Millionen, die die sozialdemokratische Regierung für die Finanzierung der konterrevolutionären „Freikorpse“ aufnahm.

1Franz Jung “Arbeitslos – Arbeiter-Los!” in Räte-Zeitung No. 6, 1919, Reprint in Franz Jung Werke 1, Erster Halbband “Feinde ringsum. Werke 1/1”, Edition Nautilus (Ham­burg), 1981, S. 206-208.

Übernahme gestattet bei Erwähnung von der Quelle: arbeiterstimmen.wordpress.com.

 

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