Gruppe von Internationalen Kommunisten (1931-1932)
Deutsche Erstübersetzung
VORWORT
In ihrer Broschüre Thesen zu revolutionären Betriebskernen, Partei und Diktatur stellt die rätekommunistische Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) ihre Position dar zu den neuen Inhalten und Formen, die die Bewegung der Arbeiter seit dem Ersten Weltkrieg angenommen hat. Die GIK löste auch die folgenden zwei Fragen der Kommunistischen Arbeiter Partei Deutschlands (KAPD), der Allgemeinen Arbeiterunion Deutschlands (AAUD) und Otto Rühles AAU-E:
1. Werden die Arbeiterräte aus den Arbeiterunion entstehen?
2. Sollen die Revolutionäre sich an Lohnkämpfe beteiligen?
Die parlamentarische Massenpartei und die Gewerkschaft haben als proletarische Kampforganisationen ausgedient. An die Stelle dieser permanenten Massenorganisationen tritt während offener Arbeiterkämpfe die Betriebsorganisation als allgemeine Versammlung der kämpfenden Belegschaft mit gewählten und abwählbaren Kampfkomitees. Nur in Zeiten von permanenten Arbeiterkämpfe erscheinen die Arbeiterräte als Koordination über größeren geographischen Flächen, die sich auch über längere Zeit behaupten können. Die GIK beschreibt ferner die Funktion von zwei Minderheitenorganisationen, nämlich die der revolutionären Betriebskerne und der Meinungsgruppen (oder im Falle des zahlenmäßigen Wachstums die der revolutionären Parteien). Arbeitslosengruppen hatten nach Ansicht der GIK die gleiche Funktion wie die revolutionären Betriebskerne (Fußnote 6 zur Arbeitslosenorganisation).
Im Gegensatz zu der neuen Massenorganisation, der Betriebsorganisation, konnten die revolutionären Betriebskerne und die Meinungsgruppen außerhalb des Kampfes bestehen um daraus Lehren zu ziehen und Ansätze zu neuen Kämpfen zu geben. Das bedeutete aber nicht, wenn die revolutionären Minderheiten so groß waren, daß sie sich nicht mehr als Gruppen, sondern als Parteien bezeichneten, daß diese Parteien die Aufgabe hätten, die Macht zu ergreifen.
Bemerkenswert ist die direkte Verbindung welche die GIK zwischen der Assoziation freier und gleicher Produzenten nach der proletarischen Revolution und der proletarische Autonomie in den tagtäglichen Kämpfen um direkte Arbeiterinteressen zieht. Als Marxisten zieht die GIK diese Verbindung nicht auf Grund „eines Ideals wonach die reale Bewegung sich zu richten hätte“, sondern auf Grundlage der neuen Organisationsformen und der damit zusammenhängenden revolutionären Klassenziele der Massenstreiks und der Rätebewegung seit um die Wende zum 20. Jahrhundert.
Unsere Zeit unterscheidet sich in vielen Hinsichten von der Periode in der die GIK Lehren aus den revolutionären Arbeiterkämpfen von 1917 bis 1923 und der demokratischen, faschistischen und stalinistischen Konterrevolutionen zog. Die heutigen Revolutionäre müssen sich ihre Erkenntnisse selber erkämpfen, und zwar durch Begriff der gesellschaftlichen Kontinuität die uns verbindet, als auch durch Verständnis der Besonderheiten die uns von der vorherigen Geschichte trennen.
Fredo Corvo, 11-12-2017
THESEN ZU REVOLUTIONÄREN BETRIEBSKERNEN
I. ZIEL
1. Die revolutionären Betriebskerne machen in den Betrieben Propaganda für den Sturz des kapitalistischen Produktionssystems und für die Einleitung der Produktion für Bedürfnissen auf der Grundlage der Assoziation freier und gleicher Produzenten: Verwaltung und Führung in den Händen der Arbeiter selber durch ihren Betriebsorganisationen und Räten.
2. In diesem Kampf kann die Arbeiterklasse nur siegen, wenn sie als von den Arbeitern selbst geführten Aktionen als Einheit gegen die gewaltige Wirtschaftsmacht der Bourgeoisie (Trusts, Monopole) und ihre politische Macht (den Staat) agieren. Der Klassenkampf selbst ist eine Nahrungsboden, von der diese Einheit in Willen, Denken und Handeln aufwächst, um der Bourgeoisie die Produktionsmittel zu entnehmen und ihren Staat zu zerstören. Das Aufsteigen zu dieser Einheit ist der wesentliche Inhalt der bevorstehenden Klassenbewegungen.
3. Die Zerstörung des Staates ist die Realisierung der Prinzipien der Kommune von Paris (1871). Die ‚Zerschlagung‘ des Staates ist die Abschaffung des alten arbeiterfeindlichen Beamtenapparats und der militärisch-bürokratischen Kaste der Bourgeoisie, die als Agenten der Bourgeoisie über die Massen herrschen.
Die ‚Zerschlagung‘ des Staates liegt in dem ‚Stellen der Verantwortung aller Funktionäre nach unten‘. So wie die Arbeiter ihre Organisationen beherrschen sollen, so wie die Funktionäre der Organisationen nichts Anderes sein sollen als die ‚Exekutive‘ des Willens der Arbeiter und daher nach unten verantwortlich, so sollen die Funktionäre in der Gesellschaft nichts Anderes als den Willen der Arbeiter implementieren. Dies ist nur möglich, wenn die Arbeiter selbst, durch ihre Betriebsorganisationen und Räte, das Recht um die Funktionäre zu bestellen und ab zu berufen für sich behalten. Alle allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen und allgemeinen Maßnahmen sind dann die Aufgabe der Räte-Organisation, die aus den Betriebsorganisationen hervorwächst. Damit ist dann der eigenmächtige, von den Massen abgeschlossenen und über den Massen herrschenden Beamtenapparat aufgehoben und sind die gesellschaftlichen Funktionen zu einem lebendigen Teil der Massen, sind das Management und die Verwaltung des gesellschaftlichen Lebens den Massen selbst übergeben.
II. DER BEVORSTEHENDE KAMPF
1. Die Position der revolutionären Betriebskerne im praktischen Klassenkampf wird voll unterstützt durch das Prinzip der proletarischen Revolution. Die Führung und Verwaltung aller sozialen Ereignisse muß in den Händen der Arbeiter liegen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die alte Diskussion, ob revolutionäre Arbeiter Lohnstreiks – als reformistisch – ablehnen sollen, oder sie unterstützen müssen, in einem neuen Licht. Aus diesem Blickwinkel ergibt sich, daß die Frage falsch gestellt ist und daher die richtige Antwort nicht gegeben werden kann.
Das Wesentliche der bevorstehenden Klassenbewegung ist der Umwälzungprozess zur selbständigen Umsetzung dessen, was in der Arbeiterklasse selbst lebt, die Entwicklung des Selbstbewußtseins und des Selbsthandelns. Die revolutionären Betriebskerne versuchen daher immer, dieses ‚Prinzip der Kommune von Paris‘ in allen Bewegungen der Arbeiter durch zu führen. Der Inhalt dieser Bewegungen, betreffen sie nun Arbeitslöhne oder andere Forderungen, kann von den revolutionären Betriebskernen nicht bestimmt werden. Deshalb sind diese Kerne kein Ersatz der alten Gewerkschaftsbewegung: Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist überhaupt nicht ihre Funktion.
2. In diesem Kampf um die ‚eigene Führung‘ wird die Arbeiterklasse alle alten Arbeiterorganisationen gegenüber sich finden. Der Grund dafür ist die Tatsache, daß in all diesen Organisationen das bürgerliche Verhältnis von Führern zu Massen dominiert. Oben steht die Führung, die den Inhalt bestimmt, vor allem aber den Verlauf der Bewegungen. Diese Organisationen haben einen Beamtenapparat entwickelt, der von der Masse der Mitglieder getrennt ist und ein unabhängiges Leben führt. Die Verantwortung der verschiedenen Beamten geschieht niemals ‚nach unten‘, sondern immer ‚nach oben‘. Das Recht Beamte zu ernennen und zu entlassen, liegt nicht bei den Massen, sondern liegt in den höheren Regionen, die alle Funktionen des Organisationsapparats von Personen einnehmen lassen, die sie für ihre Führerpolitik für angemessen halten. Die Organisation der alten Arbeiterbewegung zeigt somit dieselben Eigenschaften wie der Staat. Deswegen gleicht das Zerstören des Staates das Zerschlagen dieser Organisationen. Daher widersetzen sie sich bis zum Äußersten (und mit dem Maschinengewehr) gegen eine proletarische Revolution, genau so wie die Bourgeoisie. Deshalb findet die Bourgeoisie in der alten Arbeiterbewegung ihre stärkste Unterstützung gegen eine proletarische Revolution.
3. Aus dieser Situation ergibt sich, daß es keinen bedeutenden Unterschied gibt zwischen dem Kampf für die unmittelbare Durchführung der proletarischen Revolution und dem praktischen Klassenkampf, der sich um den Arbeitslohn bewegt.
Der Kampf um die Prinzipien der „eigenen Führung“ in jeder Bewegung der Arbeiter ist im Wesentlichen ein Kampf um den Kommunismus selber.
III. DER ‚WILDE STREIK‘
1. Die Gewerkschaften sind eines der wichtigsten Stützpunkte der Bourgeoisie gegen die proletarische Revolution. Völlig festgelaufen in der Zusammenarbeit zwischen Kapital und Arbeit durch Tarifverträge, sind sie vollständig mit dem Kapitalismus verschmolzen. Nicht in der Lage, mit den Berufsverbänden (1) den Kampf gegen den modernen Trust und Monopolkapitalismus an zu gehen, können sie nicht einmal daran denken, der Verarmung der Arbeiterklasse entgegenzutreten, ohne ihre eigene Organisation aufs Spiel zu setzen. Und wo die Arbeiter selbst in Bewegung kommen, um den Kampf gegen das Kapital an zu gehen, schließen sie [i.e. die Gewerkschaften] sich direkt der Seite der Unternehmer an, weil diese Bewegung für sie ebenso gefährlich ist wie für die Bourgeoisie.
Diese Bewegungen, die aus den Arbeitern selber entstehen, zeigen sich fast immer (wie die Praxis selbst bereits lehrte) in Form von ‚wilden‘ Streiks. Die Gewerkschaften brechen diese wilden Streiks sofort, wozu sie nach Umständen verschiedene Methoden anwenden. Das für sie vorteilhafteste Verfahren ist die Übernahme der Führung des Streiks, wonach sie mit den Unternehmern einen Vertrag angehen und den Streik einfach aufheben. Wenn dies nicht direkt gelingt, verpflichten sie ihre Mitglieder zu Streikbrechung.
2. Es ist sehr wichtig, den Verlauf dieser wilden Streiks zu untersuchen. Und, fragen wir uns ernsthaft nach dem Ende der Bewegung, welche Methode die beste Wirkung hatte, die ‚Beratungen‘ der Gewerkschaften im Vorstandsraum oder der wilde Streik, von einem Streikkomitee der Arbeiter geführt, dann hat die Praxis gezeigt, daß beide meist in eine Niederlage endeten. Der wilde Streik brach nach einiger Zeit zusammen, wozu die Manipulationen der Gewerkschaft nicht wenig beitrugen, die kein Mittel ausschloß um die Niederlage der Arbeiter zu erwirken.
Trotzdem liegt hierin nicht die wahre Ursache der Niederlage. Der Hauptgrund ist, daß der wilde Streik sich immer noch in der allerersten Phase seiner Entwicklung befindet. Mit dem klaren Bankrott der Gewerkschaftsbewegung machen die Arbeiter erst den ersten Schritt zu selbständigem Handeln. Aber vorerst bleiben sie noch innerhalb der alten Schranken der alten Gewerkschaft, in soweit es den ‚begrenzten‘ Streik betrifft. So wie die Gewerkschaften es ein einziges Mal noch mal machen, bringen sie ein Teil einer bestimmten Industrie zum Stillstand, um das Kapital zu Zugeständnissen zu zwingen. In einigen Fällen mag dies ein Erfolg sein, im Allgemeinen führt das jedoch, insbesondere bei größeren Konflikten, zur Niederlage, wie bei den Gewerkschaften. Die ‚eigene Führung‘ ist also absolut kein Wundermittel, das den Sieg sichert. Die Sache ist diese, daß kein begrenzter Streik (der sich rein auf einen bestimmten Geschäftszweig beschränkt) in der gegenwärtigen Zeit des Trustkapitalismus etwas gegen die Bourgeoisie ausrichtet.
Die Bonzokratie der Gewerkschaftsbewegung weiß das sehr gut und deshalb fängt sie nicht damit an.
3. Die revolutionären Betriebskerne haben daher die Aufgabe die ‚Berufsfront‘ in einer ‚Klassenfront‘ umzuwandeln; sie müssen sich darum bemühen, daß jeder Streik sofort auf andere Geschäftszweige überspringt. Diese Streiktaktik ist nur möglich, wenn die Gewerkschaften von der Streikleitung ausgeschlossen werden, weil die Gewerkschaft dazu unwillig und machtlos ist. Sie ist unwillig, weil ihr Apparat ganz auf ‚Konsultationen‘ zwischen Arbeit und Kapital ausgerichtet ist. Sie ist machtlos, weil sie durch die Kollektivverträge gefesselt ist und im Zuge einer Ausweitung der Bewegung sofort in illegales Territorium gelangt, so daß seine Besitztüme in Gefahr sind.
IV. BETRIEBSORGANISATION UND BETRIEBSKERN
1. Die revolutionären Betriebskerne (2) konzentrieren ihre Aktivität darauf, daß die Belegschaften als ein Mann, unabhängig von jeder Partei oder Gewerkschaft vorgehen. Sie fordern die Personale auf sich nicht spalten zu lassen, nach dem spalterischen Geist der verschiedenen Diplome, sondern daß sie gemeinsam ihre Haltung im Kampf bestimmen.
So muß jeder Arbeiter individuell zwischen Partei- oder Gewerkschaftsdisziplin und Klassensolidarität ringen. Gewinnt die Klassensolidarität, wodurch die von der Bourgeoisie ererbte Führerpolitik besiegt ist, dann tritt an deren Stelle ihre eigene, proletarische Klassenpolitik.
2. Wenn die Arbeiter, auf diese Weise organisiert, den Kampf angehen, sind sie nach Betrieb organisiert, dann bilden sie in diesem Moment eine Betriebsorganisation, die eine richtige Klassenorganisation ist. Diese Betriebsorganisationen führen den Kampf; Sie entscheiden über den Kampf in den Streikkomitees, verhandeln eventuell mit den Unternehmern und beenden den Kampf selbst.
3. Diese Klassenorganisationen sollen nicht mit den Betriebskernen verwechselt werden. Der Kern ist nicht der Vertreter der Klasse: er wurde nicht als solcher gewählt und kann daher nicht die Führung des Streiks übernehmen. Soweit Mitglieder eines Betriebskerns einen Sitz haben in der Streikführung, sind sie dort nur als vom Personal als solche angewiesene Arbeiter.
4. Am Ende eines Kampfes fällt die Betriebsorganisationen auseinander, weil die Arbeiter nicht mehr als eine betriebliche Einheit nach außen auftreten: Die Arbeiter werden größtenteils aufs Neue durch die Partei- und Gewerkschaftsdisziplin in verschiedene Kategorien gespalten. Was stehen bleibt, ist der revolutionäre Betriebskern, der immer bereit steht an das Klassengefühl zu appellieren.
5. Die Betriebsorganisation als Ausdruck der Einheit der Arbeiterklasse wird daher vor der Revolution immer wieder verschwinden und neu auftauchen um erst am entscheidenden Wendepunkt der Machtverhältnisse die permanente Organisationsform der Arbeiter zu sein. Die Arbeiter agieren dann unabhängig von jeder Partei oder Gewerkschaft als Produktionseinheit, und errichten über ihr Beziehungsnetz die Assoziation freier und gleicher Produzenten.
1931.
Ursprünglich geschrieben als Beitrag der GIK für den Kongreß der anarchistischen Alarm-Gruppe in Den Haag. Nachher bis 1940 mit den Thesen über Partei und Diktatur verbreitet als Broschüre der GIK unter den Titeln „An alle revolutionären Arbeiter!“ und „Thesen zu revolutionären Betriebskernen, Partei und Diktatur“. Letzteren Titel behalten wir hier bei.
Niederländische Originalfassung: www.aaap.be.
THESEN ÜBER PARTEI UND DIKTATUR
I. DIE UMKEHR IN DEN ALTEN TRADITIONEN
1. Die Traditionen der alten Arbeiterbewegung sind historisch gewachsen; Sie sind das Ergebnis einer früheren Periode, in der mit der alten bewährten Taktik Vorteile erreicht werden konnten. Einige Generationen haben diese Taktik erfolgreich angewandt, wodurch nun diese Kampfformen sich immer noch als Erfahrungsweisheit im Bewußtsein der Massen vorfinden. Erst eine ganze Reihe von Niederlagen, wie wir in den letzten zehn Jahren gesehen haben, kann der jüngeren Generation die neue Wahrheit eröffnen. Deshalb entsteht in der gegenwärtigen Periode der Kampf innerhalb der Arbeiterklasse um den Gehorsam gegenüber den Gewerkschaftsführern und politischen Parteien zu brechen, und den Kampf durch Solidaritätsbewegungen zu anderen Gruppen auszuweiten. Somit befinden wir uns in der Übergangsperiode zur selbständigen Aktion der Massen .
2. Diese Umkehr offenbart sich nicht unmittelbar in klaren Kampfformen um das Selbständige Handeln der Massen, sondern sie bleibt vorerst noch mit wichtigen Teilen des Alten vermischt. Dennoch bekommen auch hier die anderen Ansichten einen anderen organisatorischen Niederschlag: die OSP (3), die RGO (4) und die Dritte Internationale. Diese Formationen entsprechen der Erkenntnis, daß der Klassenkampf nicht länger mit den beruflich begrenzten (5) Streiks stattfinden kann. Daher fordern sie von den Gewerkschaften, daß diese den Streik ausweiten. Diese Formationen stehen auch im Einklang mit dem alten traditionellen Glauben über die Führung von Klassenbewegungen, die sie in den Händen der Gewerkschaften oder ihrer Parteibüros legen wollen. Dies sind jedoch immer noch Unentschlossenheiten aus dieser Zeit des Umbruchs, die nur in eine Sackgasse führen. Ein kämpferisches Klassenrecht kann nur dann entstehen, wenn die Streikenden in Verbindung mit den Arbeitslosen (6) auf eigene Initiative Arbeiter aus anderen Sektoren in ihre Bewegung einbeziehen, indem sie massenhaft nach diesen anderen Betrieben ziehen.
3. Die alte traditionelle Beziehung der Masse zur Führung ist noch ein Spiegelbild der kapitalistischen sozialen Beziehungen, wo Herrscher und Beherrschte, Herren und Diener, die höheren Auftraggeber und die unteren Ausführenden selbstverständliche soziale Beziehungen eingehen. Dies führt im Klassenkampf zu einer Überschätzung der individuellen Macht, der individuellen Fähigkeit der Führer, und zu einer Unterschätzung der psychischen Selbstbewegung der Massen. Daher zielen derartige Organisationen darauf ab, eine Massenpartei zu gründen, die von einer bewußten, revolutionären Führung gelenkt wird, um so Kurs und Inhalt der Bewegung zu bestimmen. Die Massen bilden das ‚Material‘, womit die Führer die Befreiungsarbeit vollziehen.
II. DIE FÜHRERPARTEIEN UND DIE REVOLUTION
1. In den so genannten revolutionären Massenparteien findet diese Befreiung der Arbeiterklasse ihren kurzen Wortlaut: Sozialismus jetzt!, womit man auf die Durchführung eines Staatskapitalismus zielt, mehr oder weniger dem russischen Modell entsprechend. Deshalb wird die russische Industrialisierung durch staatliche Ausbeutung sowohl von der OSP als von der Dritten Internationale für den Aufbau des Sozialismus ausgegeben. Dieser Ansicht nach muß eine Massenbewegung die herrschende Klasse stürzen, wonach eine Regierung von ‚Arbeitern und Bauern‘ die Kontrolle übernimmt, die Großbetriebe enteignet und sie dem Staat übergibt. Die Führung der Wirtschaft geht dann an den Staat, der aber nur funktionieren kann, wenn er die Massen kontrolliert. Für die alte Arbeiterbewegung unterscheidet sich die Beherrschung der Arbeit nicht von der organisierten Beherrschung der Lohnarbeiter. Aus dieser Auffassung des ‚Sozialismus jetzt‘ wird daher die Haltung der Dritten Internationale geboren, um jetzt schon jede Organisation revolutionärer Arbeiter zu zerstören, die sich ihrer Führung nicht unterwerfen. Aus dieser Sichtweise wird auch die Führungs-Tyrannei der Führer gegenüber den Mitgliedern ihrer eigenen Organisation verständlich. So wie die Führung der Dritten Internationale absoluten und blinden Gehorsam gegenüber ihren Mitgliedern verlangt, ebenso wünscht sie die absolute Unterwerfung der gesamten Arbeiterklasse an ihre Führung, wenn sie unter dem Vorwand der ‚Diktatur des Proletariats‘ regierende Partei geworden ist.
2. Eine proletarische Revolution in den hochkapitalistischen Ländern (7) ist jedoch direkt von einer ‚sozialisierenden‘ Arbeiterregierung betroffen. Die ‚Arbeiterregierung‘ versucht immer, die Bewegung an einem bestimmten Punkt zu konsolidieren, um ihre ‚Sozialisierung‘ organisatorisch zu erfassen. Aber die Massen, die zum Leben erwacht sind, können vor einer solchen Konsolidierung nicht aufhören; Sie versuchen, alle sozialen Beziehungen um zu wälzen, um sie auf einer neuen Grundlage zu stellen. Die ‚Arbeiterregierung‘ muß dagegen auftreten, um ‚Ordnung‘ zu schaffen und ‚Chaos‘ zu verhindern. Aber in sozialer Hinsicht ist dieses ‚Chaos‘ genau die Geburt der neuen sozialen Beziehungen, die die Arbeiter selbst schaffen. Je weiter sich die sozialen Kräfte entladen, desto tiefer wirkt der Pflug der Revolution.
3. Dieser unversöhnliche Widerspruch zwischen der selbsttätigen Masse und einer ‚Arbeiterregierung‘ die ‚Ordnung‘ schaffen muß, führt dazu daß eine Partei, welche die Aktivität der Massen an den Grenzen ihres Parteiprogramms beschränken will, indem sie zur Regierende Macht im Staat wird, in der Revolution eine konterrevolutionäre Rolle spielen muß. Sie verkündet die Diktatur des Proletariats, um die Konterrevolution der Bourgeoisie zu bekämpfen und die neue Ordnung in den sozialen Beziehungen allmählich durch zu führen, wie Das Kommunistische Manifest vom Marx dies wünscht. Aber in Wahrheit richtet diese Diktatur sich auch gegen die Arbeiterräte, die die Grenzen des Parteiprogramms überschreiten, indem sie selber sozialisieren, indem sie selbst die Führung übernehmen. Sie werden dann von der Diktatur der herrschenden Partei als konterrevolutionäre vernichtet. In den hochkapitalistischen Ländern ist also jede Parteidiktatur eine Diktatur über die Arbeiterklasse und Wegbereiter der kapitalistischen Konterrevolution.
4. Der Zweck einer proletarischen Revolution kann kein anderer sein als allen bürgerlichen Beziehungen bis in ihren entferntesten Ecken um zu wälzen. Deshalb können die revolutionären Energien sich nicht innerhalb der Linien eines Parteiprogramms einschränken lassen. Die Arbeiter müssen durch ihre Räte und Betriebsorganisationen selbst das Leben nach ihrer neuen Einsichten gestalten und die Gesellschaft beherrschen. Das ist auch eine Diktatur, aber die der Arbeiter, die auf der wirklichen Klassenmacht des Proletariats beruht.
III. DIE POLITISCHE DIKTATUR
1. Die Selbstbewegung der Arbeiterklasse durch ihre Räte und Betriebsorganisationen ist dasselbe wie die Diktatur des Proletariats. Es bedeutet nur, daß alle sozialen Funktionen von diesen Gremien ausgeübt werden, und sowohl die gesetzgebende Macht als auch die Exekutive auf sie übertragen sind. Mit anderen Worten: sie ziehen alle Macht an sich, ohne sie zu teilen mit Gewerkschaften, politischen Parteien oder anderen Formationen.
2. Um die ausschließliche Macht der Räte durchzusetzen, muß diese Diktatur alle Organisationen auflösen, die die Rätebewegung an sich unterwerfen wollen. Auf die Grundlage der Rätebewegung, auf der Basis der Klassendiktatur, ist jedoch eine völlige Freiheit der politischen Propaganda notwendig für die verschiedenen Nuancen innerhalb der Arbeiterbewegung, insofern sie die Klassendiktatur akzeptieren. Dieser Kampf der politischen Schattierungen ist ein wesentlicher Teil des Befreiungskampfes. Dessen Unterdrückung, wie Russland dies unter der Diktatur der Kommunistischen Partei zeigt, ist in den hochkapitalistischen Ländern nichts anders als die Unterdrückung der Revolution selbst und führt somit zum Gegenteil dessen , was vorgibt zu erstreben.
IV. DIE WIRTSCHAFTLICHE DIKTATUR
1. In der Revolution werden die politischen Parteien und die Gewerkschaftsbewegung versuchen, über den Umweg des Staates die wirtschaftliche Macht zu gewinnen. Die Räte und Betriebsorganisationen können diese Macht nur behalten, wenn sie die Führung der Betriebe nicht über den Staat laufen lassen, sondern die Leitung und Verwaltung der Produktion ohne Umwege direkt selber ausüben. Diese direkte Führung ist nur möglich, wenn die alten Bewegungsgesetze der Wirtschaft aufgehoben werden und die Bewegung der Guter auf der Grundlage der Produktionszeit erfolgt, wobei dann die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitsstunde zur zentralen Kategorie sowohl der Produktion als auch des Verbrauchs wird. (8)
V. DIE PROLETARISCHE PARTEI
1. Mit dem Verständnis, daß das Proletariat nur als eine Räte-Einheit [die Macht] gewinnen und die kommunistische Wirtschaft einführen kann, muß sich die Beziehung von den proletarischen Parteien zur Klasse ändern. Wenn es in der Vergangenheit darum ging Massenparteien zu bilden, um zur herrschende Macht zu werden, geht es jetzt vor Allem darum, nicht die Partei, sondern die Klasse zu stärken. Die Revolutionäre arbeiten daher in enger Verbindung mit den Massen, sie sind ein wirklicher Teil der Massen. Sie tragen die Propaganda für die selbständige Entfaltung der Klassenkräfte und unterstützen diese überall aktiv, wo immer sie sich offenbaren.
2. Vor, während und nach der Revolution werden verschiedene Ansichten innerhalb der Arbeiterklasse über die Entwicklung der Gesellschaft anwesend sein und damit auch unterschiedliche Ansichten über die Maßnahmen, die notwendig sind, was Grund ist zur Bildung von verschiedenen politischen Parteien. In dem Maße, in dem diese keine Macht für sich beanspruchen, keine Macht über die Arbeiterklasse anstreben, ist es auch nicht notwendig, daß sie ein organisatorisches Machtinstrument aufbauen. Diese Gruppen sind daher lokale Arbeitsgruppen, die sich auf Distrikts- und Landesebene verbinden, um die Propaganda zu stärken, und gemeinsam ihre Haltung in Klassenkonflikten zu bestimmen. Eine organisatorische Verschmelzung verschiedener Erkenntnisse ist dabei schädlich.
August 1932
Niederländische Originalfassung: aaap.be.
Übersetzung: F.C., 11. November 2017
Korrekturen: H.C., 5. Dezember 2017
NOTEN
1) Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten haben die meisten Gewerkschaften in Europa sich erst nach dem Zweiten Weltkrieg als Industrieverbände organisiert. Die linken Kommunisten in Deutschland und in den Niederlanden in den 1920-er und 1930-er Jahren betrachteten unter Anderem daher die nach Industrie organisierte Amerikanische IWW als ein Fortschritt zu den beruflich organisierten Gewerkschaften. Daher waren die Arbeiter-Unionen nach Industriezweig organisiert. Die bisherige Geschichte der Gewerkschaften (z.B. der AFL-CIO in den USA) zeigt aber daß Organisation nach Industriezweig oder nach Beruf nicht der springende Punkt ist im Unterschied zwischen proletarischen und staatlichen Organisationen. F.C.
2) Siehe auch Fußnote 7 zur Arbeitslosenorganisation.
3) ‚Onafhankelijke Socialistische Partij‘, niederländische politische Partei, 1932 entstanden als Abspaltung der Sozialdemokratischen Partei SDAP. In 1935 fusionierte die OSP mit Sneevliets RSP zur Revolutionair-Socialistische Arbeiderspartij (RSAP). Während der deutschen Besatzung wurde diese illegal weiter geführt als Marx-Lenin-Luxemburg-Front, die sich verweigerte die USSR zu verteidigen. Nachdem Sneevliet und neun weitere Genossen von den Nazis erschossen wurden, fusionierte der weiterhin proletarisch-internationalistische Rest der MLL-Front, nach einer Abspaltung von Trotskisten, mit Genossen der GIK zum rätekommunistischen Communistenbond ‚Spartacus‘.
4) Von den Bolschewisten angesteuerte Rote Gewerkschafts Opposition.
5) Siehe Fußnote 1.
6) Mehr oder weniger verbunden an der GIK, war in Amsterdam eine Arbeitslosengruppe aktiv die als minoritäre Organisation dieselbe propagandistische Funktion erfüllte wie sie den revolutionären Betriebskernen in den Betrieben zugedacht wurde.
7) Die GIK machte in Nachfolge Herman Gorters und der KAPD auf Grundlage verschiedener gesellschaftlichen Verhältnissen einen Unterschied zwischen der Strategie für Russland einerseits, und für Mittel- und Westeuropa andererseits. Das brachte eine teilweise Rechtfertigung der Politik der Bolschewiki in Russland mit sich. Wenn man aber nicht – wie jeder Marxist damals, und viele immer noch – die Russische Revolution betrachtet vom Blickwinkel der permanenten Revolution, oder der doppelten (bürgerlich und proletarisch) Revolution, nach dem Modell von Marx‘ Politik für Deutschland in 1848, dann ist die Bolschewismuskritik derLinken Kommunisten auch von Nutzen für eine Analyse der von den Bolschewisten vollzogenen Konterrevolution in Russland. FC.
8) Siehe : GIK Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung.
[…] GIK: Thesen zu revolutionären Betriebskernen, Partei und Diktatur […]
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[…] feita a partir da tradução de Fredo Corvo e disponível aqui. Ocasionalmente, a tradução para o alemão também foi consultada. Nossas notas estão indicadas como [N. T.] e as de Fredo Corvo como [F. […]
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