Ukraine: Charles Reeve stützt sich auf Michael Roberts, Trotzki und Lenin

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In The Brooklyn Rail vom Mai 2022 veröffentlichte Charles Reeve, der als Rätekommunist eingestuft wird, den Artikel „War, Nationalism, and the Collective“. Wie üblich hat Reeve den Klassenkampf durch den Kampf von Arm und Reich, von Ideen und Organisationsformen ersetzt. Aber jetzt sehen wir, dass der Krieg in der Ukraine ihn in den … Bolschewismus abgleiten lässt. Was nicht geholfen hat, ist die Tatsache, dass die meisten Artikel im Field Notes-Teil der Rail von einem journalistischen Erzählstil geprägt sind, der auf die „Sessel“-Revolutionäre im zeitgenössischen Greenwich Village, Künstler und Intellektuelle, abgestimmt ist, und welche als solche durchgehen wollen.

In Kap. 1. stellt Reeve russische und ukrainische „Oligarchen“ vor, um zu zeigen, dass „Nationalität“ eine „Ware“ ist, die auf einem Mythos beruht. Dagegen setzt Reeve das Ziel seines Textes: „Bewusst bleiben hilft uns jedoch, eine Position einzunehmen, von der aus wir der Unmenschlichkeit die Stirn bieten können, hilft uns, die Dummheit und Mittelmäßigkeit derer zu erkennen, die uns in den Abgrund ziehen.“ Wir werden sehen, dass „bewusst bleiben“ bei Reeve bedeutet, an einer „Klassenanalyse“ festzuhalten, die sich auf die „Superreichen“ und „Armen“ beschränkt, und an einer falschen marxistischen „Warenanalyse“, die verhindert, dass man von den Klasseninteressen des Proletariats aus Stellung bezieht. Während sich Reeve in Kapitel 2 auf Karl Korsch beruft, der das Konzept der Geopolitik kritisierte, weil es die Ursachen des Krieges in der kapitalistischen Klassengesellschaft verschleiert, zeigt Reeve ein sehr begrenztes Verständnis von „Klasse“.

Die Paraphrase eines spanischen Journalisten, „dass die Ukrainer nicht für das Recht kämpften, Louis Vuitton-Handtaschen zu tragen, sondern für die Freiheit“, bringt Reeve nur zu folgender Persiflage der Klassenanalyse: „Diejenigen, die kämpfen und sterben, werden niemals Vuitton-Taschen besitzen, und die ‚Freiheit‘ wird denjenigen gehören, die nicht kämpfen und die bereits diese Taschen und vielleicht andere gute Dinge dieser Art besitzen“. Eine armselige Waffe der Kritik, die der randalierenden Kritik der Straßensteine durch die Schaufenster der Luxusgeschäfte auf der Pariser Avenue des Champs-Élysées entspricht.

Die Kritik von Korsch lautete, dass der „geopolitische“ Ansatz „Analysen ersetzt, die auf der Konkurrenz zwischen den kapitalistischen Kräften und den imperialistischen Formen des Systems basieren.“ Während Reeve angesichts des russischen Newspeak der „Sonderoperation in der Ukraine“ gerne betont, dass es sich um einen Krieg handelt, geht er mit dem Wort „Imperialismus“ sehr viel sparsamer um. Reeve erwähnt den „Imperialismus“ nur zweimal. Das erste Mal als ein Begriff, der im bürgerlichen „geopolitischen“ Ansatz verschwindet. Das zweite Mal, um zu erklären: „Angesichts der Schwäche Russlands haben wir es nicht so sehr mit einem Zusammenstoß zwischen zwei Imperialismen zu tun, sondern mit dem Abwehrkampf einer Militärmacht, die nicht über die wirtschaftlichen Mittel verfügt, um ihr Ziel zu erreichen, nämlich die Verteidigung ihrer vom westlichen Kapitalismus bedrohten Interessen.“ (Kap. 4.) Es ist also nicht nur die „Geopolitik“, die den [russischen] Imperialismus verschwinden lässt, sondern auch Reeve.

Reeve erklärt stolz, dass er nie Lenin gelesen hat. Schade, denn dann wüsste er, dass seine „Analyse“, Russland sei nicht imperialistisch (sondern lediglich kapitalistisch), auf … Lenin beruht.[1] In Anmerkung 10 verrät Reeve, dass M. Roberts‘ Artikel „Ukraine: the Economic Consequences of the War“, The Brooklyn Rail, März 2022, die Quelle der von Reeve zitierten Wirtschaftsdaten ist. Vielleicht weiß Reeve nicht, dass M. Roberts ein Trotzkist ist, der wie in jedem Krieg eine „unterdrückte Nation“ vor „imperialistischer“ Aggression schützen will, ein Volk, das unter der Schuldenlast des parasitären Bankkapitals seufzt, die ihm von einem imperialistischen Land auferlegt wurde. Zunächst beschreibt Reeve – in Anlehnung an Roberts – die Ukraine auf diese Weise: „Eine Schuld folgte der anderen. Als Gegenleistung für seine Intervention – und mit seinen Krediten – erzwang der IWF wie immer eine neoliberale Politik der Privatisierung und des Sozialabbaus. Wir wissen, wie das funktioniert: Die Löhne stagnierten, Sozialprogramme und Renten wurden angegriffen, die öffentlichen Dienste – das bröckelnde Erbe des alten staatskapitalistischen Regimes [in der Sprache der Bolschewisten identisch mit dem Arbeiterstaat] – wurden abgebaut, die Sozialausgaben wurden in wenigen Jahren um die Hälfte gekürzt.“ Weiterhin wird Russland als ultimativer Außenseiter und wahrscheinlicher Verlierer betrachtet, während sowohl das russische als auch das ukrainische „Volk“ den Preis für den Krieg und die Folgen der vom IWF aufgezwungenen neoliberalen Politik zahlen werden.

Zum Thema Klassenkampf offenbart Reeve seine alten Illusionen, wenn er formuliert, dass die Niederlage und der Zerfall der alten Arbeiterbewegung, „die Krise der Repräsentation und der politischen Aktion, den Raum für kollektives Verhalten leer zu lassen schien. Tatsächlich aber entstanden in den modernen Gesellschaften neue Bewegungen, die versuchten, eine andere Idee von Kollektivität zu konstruieren, die auf echter Demokratie beruht, autonom und emanzipatorisch ist und im Gegensatz zum bürokratischen Funktionieren der alten Institutionen steht.“ Vielleicht entgeht Reeve, dass die neuen ultrarechten Kräfte, die in der Gelbwesten-Bewegung und der Anti-Vax-Bewegung aktiv waren und sich jetzt anschicken, bei den Massenprotesten gegen die Inflation eine Rolle zu spielen, dieselben leeren Slogans verwenden. Leer von den Klasseninteressen des Proletariats, leer von den Kämpfen der Arbeiter gegen die Folgen des Krieges und damit von der Möglichkeit, die Ursachen des Krieges zu bekämpfen: die herrschenden Produktionsverhältnisse durch Abschaffung der Lohnarbeit. Angesichts all dessen hat Reeve nichts anderes als den düstersten „Pessimismus“ zu bieten: „Jeder Krieg verschiebt die Zeit und die Möglichkeit einer neuen Welt. Der Krieg beweist, dass sich die barbarische Natur des Kapitalismus nicht geändert hat. Er ist die höchste Stufe unserer Ohnmacht. Dieses Stadium so weit wie möglich zu überwinden, ist der einzige für uns geeignete Kampf.“

F.C., 6.5.2022

Anmerkung

1 F.C., Der zwischenimperialistische Krieg in der Ukraine. – Von Luxemburg, Pannekoek, Gorter und Lenin zum „Räte-Kommunismus“.

Siehe auch

Ukraine: Charles Reeve stützt sich auf Michael Roberts, Trotzki und Lenin

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