Die Kraft des Grundeinkommens

Es ist so, als wäre das Grundeinkommen eine erweiterte Reproduktion des Fundaments der bereits vorhandenen Verteilungstechniken.

Vielleicht ist die Kraft des universellen Grundeinkommens nicht seine Antwort auf die Arbeitslosigkeit durch den technologischen Fortschritt, wie die großen Vertreter von Silicon Valley behaupten – Bill Gates spricht von einer Steuer auf Roboter; Mark Zuckerberg und Elon Musk verteidigen das Grundeinkommen als notwendige Reaktion auf die Automatisierung. Ich glaube, dass die Kraft des Grundeinkommens aus der Methode der Einkommensverteilung kommt, die in den Zahlungen implizit enthalten ist. Aaron Benanav, einer der Kritiker der technologischen Arbeitslosigkeit und folglich des Grundeinkommens als deren Heilmittel, argumentiert in seinem Buch „Automation and the future of work“, dass die Unterbeschäftigung der letzten Jahrzehnte nicht auf einen beispiellosen Fortschritt der Automatisierung zurückzuführen ist, sondern auf eine Vertiefung der wirtschaftlichen Stagnation. Ich stimme völlig mit der Diagnose überein, dass die derzeitige Arbeitslosigkeit keine direkte Folge der Automatisierung ist, aber ich stimme nicht mit Benanav überein, dass das Grundeinkommen ausschließlich auf eine Reaktion auf den Verlust von Arbeitsplätzen aufgrund des technologischen Fortschritts zurückzuführen wäre. Das Grundeinkommen ist nach meinem Verständnis die Reproduktion einer uns sehr gut bekannten Technik der Einkommensverteilung in einem erweiterten Maßstab: die Möglichkeit der Aneignung eines Teils des produzierten Gesamtüberschusses, ohne dass dieser Teil das unmittelbare Ergebnis der eigenen Arbeit ist.

Ich werde versuchen, das, was ich meine, anhand des Wettlaufs der Pharma- und Biotechnologieunternehmen bei der Herstellung von Impfstoffen gegen Covid-19 zu veranschaulichen. Was bestimmt die Profitrate dieser Unternehmen? Die Wirksamkeit der Impfstoffe? Pfizer und BioNTech haben eine Wirksamkeit von 95 % bekannt gegeben, Modern von 94,5 %, Oxford und AstraZeneca von 70 %. Das Gamaleja-Institut gab im November bekannt, dass der russische Impfstoff eine Wirksamkeit von 92 % hat. Ist es sinnvoller, die Pharma- und Biotechnologiebranche auf Basis einzelner Unternehmensergebnisse oder der durchschnittlichen Gewinnrate in der Branche zu analysieren? Mehr als das: Was heißt es, wenn wir sagen, dass ein bestimmtes Unternehmen in einer bestimmten Branche dazu neigt, sich die dortige durchschnittliche Gewinnrate anzugleichen (auch wenn die Schwankungen ebenfalls relevant sind)? Wir sagen, dass sich ein Kapital ein Einkommen aneignet, das es nicht direkt produziert hat, sondern das ihm als Kapitalmenge zusteht, die eine durchschnittliche Rendite erhalten kann. Das ist die Verteilungstechnik, die das Grundeinkommen meiner Meinung nach reproduziert: Jeder hat einen Anteil an der Gesamtproduktion, unabhängig von seiner unmittelbaren Produktion. Es ist so, als wäre das Grundeinkommen eine erweiterte Reproduktion des Fundaments der bereits geltenden Verteilungstechniken.

Friedrich Hayek und Milton Friedman vertraten die Auffassung, dass das Grundeinkommen eine Alternative zu Sozialhilfeprogrammen sei, d.h. anstelle von öffentlichen Investitionen zur Armutsbekämpfung sollten die Armen ein Mindesteinkommen erhalten, das ihnen den Eintritt in den Markt ermöglichen würde. In Benanavs Worten ist die Verteidigung des Grundeinkommens von links eine Art Spiegelung des liberalen Diskurses, aber es wäre nicht der Markt, der begünstigt würde, sondern bestimmte Formen der Gemeinschaftsorganisation, in die diese Subjekte eingefügt sind, wie Genossenschaften und Gewerkschaften. Die Idee ist, dass das Grundeinkommen, indem es die minimalen Bedingungen der Existenz garantiert, ein Weg wäre, die Unorganisierten zu organisieren. Ich vertrete jedoch die Auffassung, dass das auffälligste Merkmal des Grundeinkommens nicht seine Rolle im Konsum oder die Art und Weise ist, wie es die Transformationen des Produktionsprozesses widerspiegelt, sondern die Reproduktion einer sehr kapitalistischen Verteilungstechnik, in der die Aneignung nichts mit der unmittelbaren Produktion zu tun hat. Es ist, als ob die Transformationen des Arbeitsmarktes oder des Produktionsprozesses eine Ausweitung der uns bekannten Techniken der Einkommensverteilung verlangten. Es ist möglich, dass diese quantitative Erweiterung auch eine qualitative Veränderung bedeutet, es gibt keine Möglichkeit, das zu wissen. Auf jeden Fall glaube ich, dass der Aufruf zur Kooperation, den das Grundeinkommen auslöst, der eigentliche Gedanke ist, dass es kein Grundeinkommen gibt. (…)

Raquel Azevedo

Übersetzung von A força da renda básica (7-12-2020) in Passa Palavra


G.I.K. Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung

Erstübersetzung aus dem Niederländischen der letzten von der GIK besorgten und erweiterten Ausgabe (1935)

„Neben den Garantien zur Aufrechterhaltung des Verfügungsrechtes über den Produktionsapparat fordern wir nun auch Garantien, dass die Ausbeutung tatsächlich aufgehoben wird. Und diese Garantien können nicht in der „Demokratie“ liegen, in der Beeinflussung der „leitenden Instanzen“ auf dem Weg der Wahlen für alle Arten von Räten, sondern wir fordern diese Garantie über den sachlichen Gang des Produktions- und Distributionsapparates, der über jede Demokratie hinausgeht:
Wir verlangen ein exaktes Verhältnis des Produzenten zum gesellschaftlichen Gesamtprodukt!
Die Grundlage für diese Garantien liegt darin, dass wir »wissen müssen, wie viel Arbeit jeder Gebrauchsgegenstand zu seiner Herstellung bedarf«.[1]“ (Grundprinzipien, S. 89)

[1] Friedrich Engels, Anti-Dühring, MEW 20, S. 288.

Die Kraft des Grundeinkommens

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