Aus Russland kommen immer mehr Berichte über soziale Unruhen
und erste Anzeichen einer Destabilisierung der zentralstaatlichen Macht.
Arbeiterproteste in Jakutien
Im äußersten Osten der Russischen Föderation brachen Arbeiterproteste auf den riesigen Gasfeldern von Gazprom in Chayanda aus. Die Chayanda-Gasfelder versorgen China über die riesige Pipeline „Power of Siberia“ mit Erdgas.
Videomaterial zeigt, wie sich die Arbeiter unter Verletzung der Richtlinien zur sozialen Distanzierung vor ihren Baracken drängten. Mitte April wurde Chayanda von den Behörden unter Quarantäne gestellt, nachdem mindestens sieben Arbeiter positiv auf Covid-19 getestet worden waren, eine Zahl, später 50 überschritten hatte.
Nach einer lokalen Nachrichtenquelle versammelten sich am 27. April Hunderte von Arbeitern auf dem Chanyanda-Feld von Gazprom in Jakutien, um gegen ihre Lebensbedingungen zu protestieren. Sie sagen, es würden keine ausreichenden Schritte unternommen, um sie zu schützen, obwohl der Komplex zu einer Brutstätte für Covid-19 geworden sei.
„Sie füttern uns mit Tierfutter. Wir werden wie Schweine gehalten, sind wir Schweine?“ sagen die Arbeiter im Video, das auf der Nachrichtenwebsite Jakutien.info veröffentlicht wurde. Wir zitieren weiter: „Wo ist die Quarantäne? Wo sind die Masken? Es gibt nichts! Sie haben uns alle in Schlafsäle getrieben, wir tragen alle Arten von Infektionen in uns”.
Es wurden Proben von allen 10.500 Chayanda-Feldarbeitern genommen. Und nun warte sie auf die Ergebnisse des Coronavirus-Tests. „Nach vorläufigen Daten gibt es viele Infizierte“, so würde das Krisenzentrum gesagt haben.
In einem offenen Brief beschweren sich die Arbeiter darüber, dass sie fast eine Woche lang über ihre Ergebnisse im Dunkeln gelassen wurden während sie unter beengten Bedingungen lebten: „Das Vermeiden von Körperkontakt ist unter solchen Lebensbedingungen absolut unmöglich. Wir essen mit dem gleichen Geschirr, waschen uns in gemeinsamen Bädern und Duschen und wechseln die gleiche Bettwäsche“, schrieben sie. „Zusammen mit diesen Umständen kann der einfache Mangel an Informationen über das Schicksal von Menschen, über das Schicksal von Infizierten, zu irreparablen Folgen führen“.
Auf der Grundlage von: ‘Are We Pigs?’: Gazprom Pipeline Workers Protest Conditions Amid Coronavirus Outbreak (The Moscow Times), 1. Mai 2020.
Was geschieht in Russland?
Quelle: What is happening in Russia? by R.Shinov (originally from Dialectical Delinquents)
Putin war seit fast zwei Wochen verschwunden. Dann erschien er auf der Fernsehbildschirm und etwas Unverständliches zu sagen. Für das russische Regime sind das sind schlechte Nachrichten, wenn Putin, selbst wenn er auf dem Bildschirm erscheint, Schwäche zeigt und sich unsicher verhält. Wenn sich der russische Zar auf diese Weise verhält, verursacht dies sie Ablehnung bei allen, auch bei der höchsten Bürokratie.
Echte Hilfe für die Bevölkerung wird fast nicht geleistet. Menschen, wie er erklärte, können nicht zur Arbeit gehen, aber er sagte auch, dass sie ihren Lohn behalten werden. Andererseits erklärten Geschäftsleute, es sei ihnen egal, was Putin sagt – entweder ihr arbeitet, oder wir entlassen euch. Millionen von Menschen arbeiten weiter in Moskau und anderen Städten. Die ganze Situation mit den nicht überzeugenden und das zeitweise Verschwinden von Zar Putin erinnerte mich an die Situation nach dem 22. Juni 1941. An diesem Tag griff die Wehrmacht die Sowjet Union an und nagelte die Rote Armee fest, nachdem sie in ein paar Monaten 3 Millionen Soldaten getötet oder gefangen genommen hatte . Zu dieser Zeit verschwand Stalin bis zum 3. Juli.
Putin überließ eine Reihe wichtiger Entscheidungen über die Quarantäne zur Diskretion der Regionen. Dies ist auch ein schlechtes Zeichen für den Kreml. Die Schwächung des Zentrums geht mit der Stärkung der Regionen einher die Sondervollmachten für Anti-Krisen-Maßnahmen erhalten haben. Auf Beide Prozesse hängen grundsätzlich zusammen und beide deuten auf Risse im Fundament des Systems und Bedrohung durch „Feudalisierung“. Allerdings gibt es jetzt keinen Grund für den Zusammenbruch von der Staat.
Deshalb haben die Regionalgouverneure die Aufgabe übernommen. Einigen Regionen haben so gut wie keine Quarantäne eingeführt. In der Nordkaukasus-Republik Inguschetien hat sich die Bevölkerung die Quarantäne massiv geweigert aufgrund der Tatsache, dass die Menschen kein Geld haben. Menschen ziehen frei herum in Städten und Gemeinden, arbeiten, kaufen Lebensmittel auf Märkten und feiern Hochzeiten. Dies hat zu einer Zunahme von Krankheiten geführt. In Inguschetien werden jetzt Jeden Tag Dutzende von Menschen in Krankenhäuser eingeliefert mit der Diagnose Lungenentzündung.
Das Problem ist, dass die Menschen keine Wahl haben, sie müssen zur Arbeit gehen, um zu überleben.
Moskau
In Moskau ist die Situation seltsam. Der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin hat spezielle elektronische Passwörter für diejenigen eingeführt, die mit der U-Bahn zur Arbeit müssen. (Sie können sich ein solches Passwort bei der Stadtverwaltung oder von Ihrem Chef am Arbeitsplatz holen). Es wird vorgeschlagen, dass in der Zukünft die Leute spezielle Passwörter eingeben müssen, wenn sie das Haus für Lebensmittel verlassen wollen, aber das wird noch diskutiert. Allerdings hat die Einführung der elektronischen Ausweise sofort zur Katastrophe geführt. Da Niemandem den meisten Moskauern Löhne zahlt, müssen Millionen von Menschen die Arbeit fortsetzen. Cafés, Restaurants und Nicht-Lebensmittelgeschäfte sind geschlossen, aber viele Unternehmen sind offen. Früh am Mittwoch (15. April) morgens kame etwa 1 Million Moskauer zu den 330 U-Bahn-Stationen. Polizeibeamte warteten auf sie und überprüften ihre Passwörter. Sofort kam es zu einem Stau. Tausende von Menschen wurden zusammengequetscht in Menschenmengen an den engen Eingängen zu den U-Bahn-Stationen. Die Leute standen lange Zeit in 330 Menschenmengen dicht beieinander. Es besteht kaum Zweifel, dass Viele zu diesem Zeitpunkt infiziert sind…
Soweit ich sehen kann, wächst einerseits der öffentliche Zorn gegen das Regime und anderseits herscht Angst vor Krankheit. Auch dies ist eine negative Szenario für die Regierung.
In Russland können wir also sehen:
- Eine gewisse Schwächung der Zentralmacht des Kremls
- Stärkung der Macht der Regionalregierungen
- Wachsende öffentliche Irritation und Wut.
Ossetien
Am 20. April kam es zu Krawalle in der Nordkaukasus-Republik Ossetien (ein Teil der Russischen Föderation, das von einem Volk namens Osseten bewohnt wird; sie sind hauptsächlich Christen und sprechen eine Sprache, die dem Persischen nahe steht). Die Behörden in Ossetien schwiegen über die tatsächliche Zahl von Coronavirus-Fällen, und haben die Aufnahme im Krankenhausaufenthalt und Behandlung schlecht organisiert. Infolgedessen begannen Massen von Menschen in das Zentrum von Wladikawkas (der Hauptstadt Ossetiens) zu strömen und forderten die Regierung auf, die Situation in Ordnung zu bringen.
Video der Krawalle in Ossetien
Wie erwartet, löste der Monat der „Selbstisolierung“, der Tausende, wenn nicht Millionen von Menschen ohne Lebensgrundlage ließ, Massenunzufriedenheit aus. Der Tag des 20. April scheint zu einem Wendepunkt geworden zu sein. Anwohner von Wladikawkas in Ossetien gingen zu der Kundgebung, einige der Polizisten weigerten sich, die Demonstranten aufzulösen. Die Demonstranten begannen, Steine auf die verbliebenen Wachen zu werfen. Die Polizei in Wladikawkas verfolgt jedoch die Autos der Demonstranten und verhaftet dann Menschen auf der Straße.
Rostow am Don
In der Zwischenzeit fanden in anderen Städten Proteste über das Internet statt. In Rostow am Don wurde eine selbstisolierte „Kundgebung“ in YandexMaps abgehalten. Die Menschen schrieben Forderungen nach einer Notfallerklärung (in diesem Fall forderten sie, dass die Regierung verpflichtet wird, Geld für diejenigen zu zahlen, die ihre Arbeit oder Geschäfte verloren), einige fordern den Sturz der Diktatur. Einzelne Nutzer in Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg, Krasnojarsk und anderen Städten schlossen sich der „Kundgebung“ an.
Die russische Monarchie kann jedoch trotz allem sehr stabil sein, unter Bedingungen der Angst und der Passivität der Bevölkerung.
R.Shinov
Quelle: What is happening in Russia? by R.Shinov (originally from Dialectical Delinquents)