Die Rezession des globalen Kapitalismus wirkt wie ein Maulwurf der eine reale Bewegung in der Weltarbeiterklasse anstachelt. Von Süd-Amerika bis zum Nahost, von General Motors in den USA jetzt zu den Honda Werken in Indien wehren die Arbeiter sich gegen die Angriffe ihrer Existenzgrundlagen. Hier folgt der Bericht der letzteren Kämpfe, die von der britischen Gruppe Angry Workers of the World veröffentlicht wurde, mit einem kritischen Nachwort.
Arbeiterstimmen, 12-11-2019
Fabriksbesetzung! Prekäre und fest angestellte Honda-Arbeiter in Manesar, Indien
10. November 2019
Die globalen Unterströmungen des Klassenkampfs sind nicht immer sofort sichtbar. In Chile, Honduras, im Irak und im Libanon brechen Protestwellen aus, die sich nicht auf offensichtliche Weise aufeinander beziehen. Zwar mag es (noch) keine bewusste Massenkommunikation zwischen diesen Bewegungen geben, doch können wir davon ausgehen, dass sie mehr sind als nur das Ergebnis wirtschaftlicher Abschwünge, deren globale Wellen sich negativ auf den Konsum der Arbeiterklasse ausgewirkt haben.
Diese Kämpfe nehmen Anhaltspunkte voneinander, wie uns frühere Beispiele gezeigt haben. Erinnert ihr euch die streikenden Lagerarbeiter mit Migrationshintergrund aus Nordafrika, die während des sogenannten arabischen Frühlings ein TNT-Depot in Italien blockierten und riefen: „Nieder mit Mubarak, nieder mit den Chefs”? Sie meinten, wenn die Armen ‚daheim‘ sich mit einem einen Polizeistaat anlegen könnten, würden sie sicher ein globales Logistikunternehmen bekämpfen können. Erinnern Wir uns die Arbeiter von Maruti Suzuki in Manesar, die nach fünf Tagen Sitzstreik im Jahr 2011 ihre Fabrik verließen und beim Wiedereintritt in die Außenwelt feststellten, dass Occupy gleichzeitig Wall Street besetzt hatte: „Unser Kampf scheint sich ausgebreitet zu haben!“
Die derzeitige Betriebsbesetzung des Honda Manesar-Werks hat ihre eigene Ortsgeschichte und Bezugspunkte. Die älteren Arbeiter im Werk könnten sich an den brutalen Polizeiangriff von 2005 erinnern (1), kurz nachdem die Fabrik eröffnet wurde. Sie könnten sich an den wilden Streik der prekären Arbeiter im Jahr 2010 erinnern (2), nachdem die Gewerkschaft der fest angestellten Arbeitnehmer gegründet wurde. Die prekären Arbeiter streikten gegen eine Vereinbarung zwischen Management und Gewerkschaft, die sie ausschloss und den Bonus der fest angestellten Arbeitnehmer auf die Produktivitätssteigerungen stützte, die aus den prekären Arbeiter herausgepresst wurden. Viele werden ihre Anhaltspunkte von der Besetzung von prekären Arbeiter und fest angestellten im benachbarten Maruti Suzuki-Werk (3) oder der Welle wilder Aktionen im Jahr 2014 erhalten haben 4.
Und wieder gibt es Verbindungen, die über die unmittelbare lokale Erfahrung hinausgehen. Die Automobilindustrie befindet sich im Zentrum einer globalen Krise, nicht nur in Bezug auf Gewinne oder Verkäufe, sondern auch in Bezug auf die Legitimität des gesamten Umweltverschmutzungs- und Ausbeutungssystems. Es ist also kein Zufall, dass es kürzlich eine Arbeiteroffensive im Automobilsektor auf beiden Seiten der US-amerikanischen – mexikanischen Mauer gegeben hat. Die Sonderwirtschaftszonen in Mexiko wurden durch wilde Streiks in der Lieferkette erschüttert 5. Diese Kämpfe auf der „Niedriglohnseite“ werden einige Monate später die Arbeiter von General Motors in den USA ermutigen, das zweistufige System anzugreifen, dem ihre Gewerkschaft zugestimmt hatte 6.
Während sich große Teile der Linken immer noch auf die von Trump oder Modi verkörperten „Repräsentanten des Bösen“ oder die „Retter“ in Form von Corbyn oder Sanders konzentrieren, müssen die Arbeiter Schritte nehmen, und haben schon Schritte gemacht, die über die Repräsentation hinausgehen. In den letzten Monaten haben ihre Proteste sowohl die „linken“ Regierungen in Bolivien als auch die „rechten“ Regierungen in Ungarn in Frage gestellt. Was uns fehlt, ist eine kollektive Reflexion der inneren Dynamik und globalen Dimension der gegenwärtigen Proteste. Wir haben keine Vorstellung davon, wie wir über den Zusammenstoß mit staatlichen Kräften hinausgehen und uns eine kollektive Übernahme der Mittel vorstellen können, um ein besseres Leben zu schaffen. Aus diesem Grund sind Kämpfe wie die derzeitige Besetzung der Fabrik durch Honda-Arbeiter von wesentlicher Bedeutung. Sie beschäftigen sich buchstäblich mit den Mitteln, um zu produzieren, und finden dabei neue Wege, um kollektives Wissen zu entwickeln.
Unsere Informationen in Bezug auf diesen Kampf sind lückenhaft. Wir sind auf Kameraden angewiesen, die die Arbeiter am Tor besucht haben und über WhatsApp mit ihnen in Kontakt sind, sowie auf einige Presseartikel und Videos 7.
Der Kampf
Die Verkäufe von Honda-Rollern und -Motorrädern sind rückläufig. Das Management plante, zuerst die über Verleihfirmen angestellten Zeitarbeiter zu entlassen. Einige von ihnen hatten dort zehn Jahre lang gearbeitet. Die Unternehmensleitung sprach von einer dreimonatigen Pause, nach der sie über eine Neueinstellung von Arbeitnehmern nachdenken würde. Indem sie eine formelle Entlassung vermeiden, erhalten sie die Möglichkeit, Entlassungsentgelte zu sparen. Die ersten Arbeiter wurden in Gruppen entlassen. Einige Arbeiter, die über Verleihfirmen eingestellt wurden, reagierten im Oktober mit einem Boykott der Kantine, was ein erhebliches symbolisches Gewicht hat.
Insgesamt sind rund 4.000 Arbeitnehmer beschäftigt, von denen 2.500 über Verleihfirmen beschäftigt sind. Die Anlage hat eine Jahreskapazität von 1,5 Millionen Einheiten. Die Produktion wurde kürzlich um 50 Prozent reduziert. Die Zeitarbeitskräfte werden um die 14.000 Rupien pro Monat bezahlt, während die festangestellten Arbeitnehmer das Vier- bis Fünffache erhalten. Obwohl sich dieses Lohngefälle als ein relativ zuverlässiges Instrument der Teilung und Herrschaft erwiesen hat, sind die festangestellten Arbeitnehmer derzeit wegen verspäteter Lohnverhandlungen verärgert. Sie bringen ihre Solidarität mit der Aktion der Zeitarbeiter zum Ausdruck.
5. November
Das Management verweigert 400 Zeitarbeitern den Eintritt die über Verleihfirmen eingestellt wurden. Drinnen beginnen einige Arbeiter einen Sitzprotest vor dem Gewerkschaftsbüro. Verhandlungen zwischen Gewerkschaft, Management und Regierung führen nicht zu Resultate. Das Unternehmen klebt eine Kopie eines Gerichtsbeschluss an das Tor, in dem es heißt, dass die Arbeiter 200 Meter vom Tor entfernt bleiben müssen, aber die Arbeiter achten nicht darauf.
6. November
Die Tagesschicht beginnt um 11.30 Uhr mit einem Sitzstreik in der Fabrik. Die Polizei kommt und bedroht einzelne Arbeiter. Die Spätschicht wird in die Fabrik eingelassen und schließt sich dem Sitzenden an, während sich die Morgenschicht weigert, zu gehen. Tausende sind drinnen und 300 Arbeiter versammeln sich vor dem Tor. Es gibt ausserdem insgesamt 2.500 Arbeitnehmer, die von einem bei Honda beschäftigten Bauunternehmer angestellt wurden.
7. November
Das Management teilt den festangestellten Arbeitnehmern mit, dass die von Verleihfirmen eingestellten Arbeitnehmer in einen illegalen Sitzstreik verwickelt sind und die Produktion daher eingestellt wird. Sie sagen den Festangestellten, sie sollen zu Hause bleiben. Das Management stoppt die Versorgung der Kantinen mit Lebensmitteln, die Arbeiter kommen mit Lebensmitteln zu den Toren. Der Sitzstreik geht weiter.
10. November
Immer noch rund 2.000 Arbeiter drinnen. Das Management veröffentlicht die folgende Erklärung:
Sehr geehrter Mitarbeiter,
Aufgrund der vorherrschenden Arbeitsverhälltniss-Situation in der Anlage wurde der Betrieb eingestellt und die Anlage bleibt bis zur weiteren Ankündigung für Sie geschlossen.
Grüße
Naveen Sharma
Assistant General Manager – Allgemeine Angelegenheiten
Manesar Werk
Noten
- https://gurgaonworkersnews.wordpress.com/gurgaonworkersnews-no7/#fn4 ↩︎
- https://gurgaonworkersnews.wordpress.com/gurgaonworkersnews-no-935/#fn5 ↩︎
- https://gurgaonworkersnews.wordpress.com/gurgaonworkersnews-no-951/ ↩︎
- https://libcom.org/blog/struggles-‘make-india’-–-series-factory-riots-occupations-wildcat-strikes-delhi’s-industria ↩︎
- https://www.wsws.org/en/articles/2019/01/26/mata-j26.html ↩︎
- https://www.foxbusiness.com/markets/gm-strike-sends-ripples-across-auto-parts-suppliers ↩︎
- https://www.youtube.com/watch?v=I8KZtwKRNsAhttps://www.youtube.com/watch?v=GGwhCSPb8gohttps://www.youtube.com/watch?v=gUjV4eBoQswhttps://www.youtube.com/watch?v=ZG1sFRfBBvEhttps://www.youtube.com/watch?v=Avd44XVMhUI ↩
Übersetzt von https://libcom.org/blog/factory-occupation-temporary-permanent-honda-workers-manesar-india-10112019.
Nachwort von Arbeiterstimmen
Der Bericht von der Gruppe Angry Workers of the World enthält einige Punkte die uns Anlass zur Diskussion scheinen.
Welches Selbstverständniss hat diese Gruppe? In den Bericht weckt sie auf uns den Eindruck dass sie sich selber versteht als Teil der „Linken“ von denen sie bedauert sich große Teile „immer noch“ auf der Gegenüberstellung von Trump und Modi einerseits und andrerseits Sanders und Corbyn konzentrieren. Ja, was kann man den anders erwarten vond diesen bewiesenen linksbürgerlichen Politikern, von Trotskisten, Stalinisten und Anarchisten die zur Rettung der bürgerlichen „Repräsentations“-Demokratie und aus „Antifaschismus“ festhalten an paktieren mit der herrschenden Klasse? Angry Workers of the World bezieht sich historisch auf der Gruppe Solidarity, dessen nur partiellen Bruch mit der linksbürgerlichen Ideologie, dessen Flucht im Arbeiterismus sie übernommen hat, und der sie letztlich in die alternativ-Gewerkschaft IWW geführt hat.
Wieso ‚Arbeiterismus‘? Hier:
Was uns fehlt, ist eine kollektive Reflexion der inneren Dynamik und globalen Dimension der gegenwärtigen Proteste.
Es scheint uns dat Angry Workers of the World nicht versteht dass sie selber als Minorität in der Arbeiterklasse durch öffentliche Stellungnahme an diese Bewusstseinsprozes der Arbeitermassen teilnehmen soll. Es reicht nicht die Frage zu stellen, sie soll beantwortet werden auf Grundlage der theoretischen Positionen die die kommunistischen Linken, von „Bordigisten“ biss „Rätekommunisten“, bezogen haben in ihren unterschiedlichen Versuche zu Lehren aus der erste Welle der proletarischen Weltrevolution on 1917 bis 1923.
Wir haben keine Vorstellung davon, wie wir über den Zusammenstoß mit staatlichen Kräften hinausgehen und uns eine kollektive Übernahme der Mittel vorstellen können, um ein besseres Leben zu schaffen.
Die Frage is retorisch gemeint. Aber die Frage falsch stellen, heisst sie falsch beantworten:
Aus diesem Grund sind Kämpfe wie die derzeitige Besetzung der Fabrik durch Honda-Arbeiter von wesentlicher Bedeutung. Sie beschäftigen sich buchstäblich mit den Mitteln, um zu produzieren, und finden dabei neue Wege, um kollektives Wissen zu entwickeln.
Das scheint uns aber etwas voreilig.
Bei Honda ist der Sit-in, wie vorher der Boykott der Kantinen, ein Mittel der prekären Arbeiter um im Betrieb die Aufmerksamkeit der noch arbeitenden Arbeitnehmer zu ziehen und sie zur Solidarität auf zu rufen in ihren Kampf gegen Massenentlassungen. Es ist typisch wenn das den Genossen Angry Workers of the World auf Gedanken bringt von …. Selbstverwaltung. Wir sind überzeugt dass erst wenn „in einem industriellen Lande die Herrschaft der Arbeiterklasse zur Tatsache geworden, dann steht das Proletariat vor der Aufgabe, die Umstellung der Wirtschaft nach neuen gemeinschaftlichen (kommunistischen) Grundsätzen vorzunehmen. Die Aufhebung des Privateigentums ist leicht ausgesprochen, sie wird die erste Maßnahme der politischen Gewalt der Arbeiterklasse sein. Aber das ist nur ein juristischer Akt, der die rechtliche Grundlage für den wirklichen ökonomischen Vorgang schaffen soll. Die wirkliche Umgestaltung und die tatsächliche revolutionäre Arbeit beginnt dann erst.” (Jan Appel/Gruppe Internationaler Kommunisten, zitiert in F.C. Die GIK und die Ökonomie der Übergangsperiode. Eine Einführung).
Das heisst, erst wenn die Arbeiterklasse durch ihre Räte die politische Gewalt erobert hat, stehen die Arbeitermassen vor der Frage wer die Betriebe verwalten soll, die Arbeiter selber, oder ein Staat oder eine Partei. Es ist schön dass die Genossen Angry Workers of the World schon jetzt darüber nachdenken, aber im jetzigen Moment lautet die Frage anders:
- sollen die Arbeiter innerhalb des Kapitalismus, in von ihnen besetzten aber weiter isolierten Betriebe, versuchen Arbeiterselbstverwaltung zu gestalten?
oder
- sollten sie aktiv versuchen ihren Kampf auszudehnen nach Arbeitern in anderen Betrieben, wie z.B. der Arbeiterrat bei Haft Tapeh im Iran hat gemacht? Siehe dazu F.C. Iran: What after the repression of the Haft Tapeh workers and the steelworkers in Ahvaz?
F.C. 12-11-2019
Weiter lesen
- Das Elend des Realsozialismus
- Basistexte Marxismus – Rätekommunismus:
- Hempel (Jan Appel) / GIK, Marx-Engels und Lenin. Über die Rolle des Staates in der proletarischen Revolution
Weitere Informationen, aktuelle Nachrichten und Kommentare finden Sie bei Libcom unter https://libcom.org/blog/factory-occupation-temporary-permanent-honda-workers-manesar-india-10112019
[…] „Fabriksbesetzung! Prekäre und fest angestellte Honda-Arbeiter in Manesar, Indien“ am 12. Novem… ist die deutsche Übersetzung eines Berichts von Angry Workers of the World vom 10. November (inklusive organisationseigener Kommentare), worin es unter anderem in einer knappen Chronologie heißt: „… 5. November: Das Management verweigert 400 Zeitarbeitern den Eintritt die über Verleihfirmen eingestellt wurden. Drinnen beginnen einige Arbeiter einen Sitzprotest vor dem Gewerkschaftsbüro. Verhandlungen zwischen Gewerkschaft, Management und Regierung führen nicht zu Resultate. Das Unternehmen klebt eine Kopie eines Gerichtsbeschluss an das Tor, in dem es heißt, dass die Arbeiter 200 Meter vom Tor entfernt bleiben müssen, aber die Arbeiter achten nicht darauf. / 6. November: Die Tagesschicht beginnt um 11.30 Uhr mit einem Sitzstreik in der Fabrik. Die Polizei kommt und bedroht einzelne Arbeiter. Die Spätschicht wird in die Fabrik eingelassen und schließt sich dem Sitzenden an, während sich die Morgenschicht weigert, zu gehen. Tausende sind drinnen und 300 Arbeiter versammeln sich vor dem Tor. Es gibt ausserdem insgesamt 2.500 Arbeitnehmer, die von einem bei Honda beschäftigten Bauunternehmer angestellt wurden. / 7. November: Das Management teilt den festangestellten Arbeitnehmern mit, dass die von Verleihfirmen eingestellten Arbeitnehmer in einen illegalen Sitzstreik verwickelt sind und die Produktion daher eingestellt wird. Sie sagen den Festangestellten, sie sollen zu Hause bleiben. Das Management stoppt die Versorgung der Kantinen mit Lebensmitteln, die Arbeiter kommen mit Lebensmitteln zu den Toren. Der Sitzstreik geht weiter. / 10. November: Immer noch rund 2.000 Arbeiter drinnen. Das Management veröffentlicht die folgende Erklärung…“ […]
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