Inhalt
Ph. Bourrinet „Die Arbeiterräte in Deutschland 1918-23“, 4. und letzter Teil
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Das Verschwinden der Räte. Gründung von Arbeiterunionen und Organisationen der Arbeitslosen
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Die letzten revolutionären Turbulenzen: das Ruhrgebiet 1920. Rote Armee und Arbeiterräte
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Fragment zu den Gewerkschaften und der Arbeiter-Union, Programm der KAPD (1920)
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Ein Brief des Genossen Pannekoek, Kommunistische Arbeiter Zeitung, Juli 1920
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Nachschrift zu dem “Offenen Brief an Lenin von Herman Gorter”
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G.I.K. (Holland) Thesen zu revolutionären Betriebskernen, 1931
Ph. Bourrinet „Die Arbeiterräte in Deutschland 1918-23“, 4. und letzter Teil
Das Verschwinden der Räte. Gründung von Arbeiterunionen und Organisationen der Arbeitslosen
- Hamburg 1919, Kinder suchen im Müll nach etwas Essbarem. Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz/Kunstbibliothek, SMB, Photothek Willy Römer.
Das offizielle Verschwinden der Räte bedeutete nicht, daß sie endgültig begraben wurden. Die Niederlage vom Januar (aber auch die vom März) 1919 in Berlin hatte die revolutionäre Bewegung ihrer prominentesten Kämpfer (Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches) beraubt. Aber gleichzeitig nahmen die wirtschaftlichen und politischen Streiks zu, von Oberschlesien bis in das Ruhrgebiet, über Berlin und Mitteldeutschland, wo selbst die Niederlage vom März 1919 die Bewegung nicht aufhalten konnte, zu. Die Arbeiter wurden auf Hungerlöhne reduziert, wobei die Reallöhne im Vergleich zu 1914 oft um 40% gesunken waren. Die Arbeitslosigkeit war massiv geworden: 40.000 Arbeitslose in München, 50.000 in Berlin. Anfang 1919 gab es mehr als 3 Millionen Arbeitslose. Es kam immer mehr zu Hunger-Unruhen (Frankfurt, Bochum, Dortmund, Breslau). Die in Hamburg im Juni 1919 führte zu einer zweiten Besetzung der Stadt durch die Reichswehr 1.
Die SPD hatte von Anfang an versucht, die Unzufriedenheit zu dämpfen, indem sie das Auftreten der alten Gewerkschaften begünstigte, indem sie am 15. November 1918 eine Vereinbarung zwischen Arbeitgebern und dem ADGB unter der Leitung von Carl Legien schloß (Stinnes-Legien-Abkommen) 2. Diese wurden zu „offiziellen Arbeitnehmervertretern“. Diese Vereinbarung wurde durch einen Beschluß vom 23. Dezember 1918 zur Tarifvertragsverordnung ergänzt mit Arbeiter- und Angestelltenausschüsse die dienten zur Überwachung aller Arbeiter (Arbeiterschaft); diese Ausschüsse, die den Gewerkschaften angegliedert wurden, sollten eine gute Klassenzusammenarbeit gewährleisten:
Die Arbeiterausschüsse und Angestelltenausschüsse (…) in Gemeinschaft mit dem Arbeitgeber darüber zu wachen, daß in dem Unternehmen die maßgebenden Tarifverträge durchgeführt werden. (…) Es liegt ihnen ob, das gute Einvernehmen innerhalb der Arbeiterschaft oder Angestelltenschaft sowie zwischen diesen und dem Arbeitgeber zu fordern. 3.
Im Ruhrgebiet, wo das Kapital (Stinnes, Krupp, etc.) die Aussperrung praktizierte, machte man den Bergleute und Stahlarbeiter Hoffnung auf die Möglichkeit einer Verstaatlichung – die als „Sozialisation“ bezeichnet wurde – und insbesondere auf eine Arbeiterpartizipation, die Arbeitermitbestimmung. Von Februar bis April 1919 vervielfachten sich die Streiks. Wieder einmal wurde Repression von der Reichswehr angeführt und von einem sozialdemokratischen Arbeiter „formalisiert“: Carl Severing, der sagte: „Als Vertreter der Arbeiter will ich zu den Arbeitern sprechen; als Arbeiter will ich für die Arbeiter handeln“ 4. Das Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten: Bergleute und Stahlarbeiter verließen die Gewerkschaften massenhaft, um Arbeiterunionen zu bilden.
Die Trennung zwischen der Masse der Arbeiter und den sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften war vollständig. Man mußte sich unterwerfen oder austreten. Um seine Arbeit zu bekommen oder gar zu behalten, war es, wie in den Räten, besser, für die SPD-Gewerkschaften zu stimmen.
Ab Ende 1918, aber vor allem ab Anfang 1919, wurde eine Losung populär, der von der KPD, den Anarchosyndikalisten und den linken Unabhängigen aufgegriffen wurde: „Heraus aus den Gewerkschaften!“ 5. Radikale kommunistische Aktivisten griffen die Büros dieser Gewerkschaften in Bremen und Hamburg, Berlin, Essen usw. an, beschlagnahmten ihre Mittel und verteilten sie an Arbeitslose sowie an Aktivisten auf der Flucht oder im Gefängnis 6.
Die erste Union, die der Bergleute, wurde am 30. März 1919 im Ruhrgebiet gegründet. Sie bestand aus revolutionären Syndikalisten und Kommunisten. Durch die Unterdrückung und die Freikorps zerstört, wurde sie im Juni unter dem Namen Union Gelsenkirchen wiederaufgerichtet. Bald breiteten sich die anarcho-syndikalistischen Gewerkschaften (FAUD) und vor allem die marxistischen Gewerkschaften aus und bekannten sich, wie die AAUD, zu der „Diktatur des Proletariats“, einer Diktatur, die von den „revolutionären Betriebsorganisationen“ (B.O.), einer Art Fabrikgruppen der revolutionären Partei, ausgehen würde. Bevor sich die KPD entschied „kommunistische Zellen“ in den offiziellen Gewerkschaften zu bilden, war eine große Zahl von Arbeitern den Arbeiterunionen beigetreten. Diese bildeten [waren gemeint als; F.C.] eine einheitliche Massenorganisation, sowohl des wirtschaftlichen Kampfes als auch des politischen Kampfes bis zur Machtergreifung durch die Arbeiterräte.
Als die AAUD im Februar 1920 offiziell gegründet wurde, hatte sie trotz Repression mehr als 120.000 Mitglieder. Es ist erwähnenswert, daß diese Unionen, wie in den Leuna-Werken (Mitteldeutschland), oft Waffenlager hatten. Es war diese Union, die radikalste, die der KAPD im April 1920 beitrat, eine sehr große Minderheit der KPD , die im Oktober 1919 ausgeschlossen wurde (Heidelberger Kongress), und die eine 90%-ige Mehrheit in Berlin hatte! [Nach H.-M. Bock machte sie “mehr als 50% der Mitgliedschaft” aus. S. 228; F.C.] Diese 40.000 Mitglieder umfassende Partei – die die KPD in Berlin buchstäblich ausgeleert hatte – entstand aus den Ruhrkämpfen im März 1920.
Die letzten revolutionären Turbulenzen:
das Ruhrgebiet 1920. Rote Armee und Arbeiterräte
Während ein in seiner Organisation immer radikaler werdender wirtschaftlicher Kampf wieder heraufkam, blieb die herrschende Klasse nicht passiv. Bereits im Juni 1919 schlug General Lüttwitz, der an der Repression des Januaraufstands beteiligt war, Noske die Errichtung einer Militärdiktatur vor. Immer noch mit Noske zusammenarbeitend, arbeitete er daran, die Bahnstreiks vom Januar 1920 zu unterdrücken und die Presse der KPD doch auch die der USPD zu verbieten. Auch der Putsch vom 13. März 1920, Kapp-Lüttwitz-Putsch genannt, war keine Überraschung, außer für Noske, der floh und General von Seeckt, Reichswehrführer, bat, den Putschisten zu stoppen. Wohlgemerkt unterstützen die gesamte Armee und der Staatsapparat als Ganzes den Putsch.
- Demonstration in Berlin gegen den Kapp-Putsch. Commons Wikimedia.
Doch die Reaktion des Proletariats folgt zugleich. Der Generalstreik, der 12 Millionen Arbeiter erfaßt, erstreckt sich über ganz Deutschland: das Ruhrgebiet, Sachsen, Hamburg und Bremen, Bayern, Thüringen, Pommern und Ostpreußen. In Ostpreußen nimmt SPD-Chef August Winnig Partei für die Putschisten.
Wo die SPD nicht vor Ort für den Putsch eintritt, wird der Streik unterstützt und manchmal sogar gefördert, insbesondere von Gewerkschaftsführern wie Carl Legien, der die Verteidigung der „Republik“ und zur Bildung einer „Arbeiterregierung“ aufruft. Die KPD, mit Ausnahme ihrer Linken, die sie in Oktober 1919 (Heidelberger Kongreß) ausgeschlossen hat und ihr Führer Paul Levi (der inhaftiert war), erklärt sich „neutral“ und erklärt, daß sie nicht „einen Finger rühren“ wird 7. Wenn sie wie in Chemnitz mit Brandler tätig wird, dann um sich einzusetzen für die Idee einer „loyalen Opposition“ im Falle der Bildung einer „Arbeiterregierung“ von SPD und USPD.
Die Reaktion des deutschen Proletariats kann mit der des spanischen Proletariats während des Militärputsches vom Juli 1936 verglichen werden. An drei Orten übernimmt das Proletariat mehr oder weniger spontan die Macht, um den Kampf auf sozialem Gebiet auf zu nehmen, indem es Arbeiterräte (insbesondere im Ruhrgebiet) oder Aktionsausschüsse bildet (wenn es um ein Bündnis von Parteien und Gewerkschaften geht) bildet. In Mitteldeutschland “ergreift” das Proletariat auf ziemlich verworrene Weise “die Macht”: nach bewaffneten Kämpfen in Gotha, Gera, Halle, im Vogtland (mit Max Hölz) oder friedlich, wie in Chemnitz (unter Brandlers Führung). Man sollte präzisieren: ‚mehr oder weniger‘. Das Gleiche gilt für Kiel und die Region Schwerin, aber nicht für Hamburg und Bremen. In Hamburg reagierte die durch Laufenberg und Wolffheim vertretene „Linke“ wie die KPD: „Der Generalstreik ist eine allgemeine Absurdität“. Diese Position wird von Otto Rühle in Dresden verteidigt, aber auch von der Führung der anarchosyndikalistischen FAU, die sich aus Pazifismus gegen den bewaffneten Kampf erklärt. Die FAU-Basis folgt ihrer Führung nicht.
- Rotarmisten. Ruhrgebiet, Dortmund, 1920. Wikimedia Commons.
Tatsächlich geht die Bewegung im Ruhrgebiet, und nicht immer in homogener Weise, nach dem Eintritt in den Generalstreik von 300.000 Bergleuten am weitesten in Richtung einer vollständigen Machtübernahme. Sobald das Freikorps und die lokalen Garden aus SPD-Mitgliedern sich zeigen (in Dortmund schießen letztere auf die Arbeiter), entstehen Anwerbungsbüros, aus denen eine echte rote Armee mit 50.000 bis 80.000 Mann entstand. Die Bedingungen für die Kämpfer sind: mindestens sechs Monate an der Front während des Krieges und der Mitgliedschaft einer „Arbeiterpartei“ oder einer Gewerkschaft bzw. Arbeiterunion (AAU und FAU). An manchen Orten wird die Diktatur des Proletariats ausgerufen und unterstehen Versorgung und Rüstung der Autorität der Räte. Die Freikorps werden aus dem Ruhrgebiet vertrieben und die Regierungsmilizen der SPD entwaffnet.
Aber wenngleich Kapp am 17. März nach Schweden fliehen muß, bleibt die SPD nicht untätig und übernimmt die Macht wieder, ohne Gustav Noske, sondern mit Gustav Bauer (und später mit Hermann Müller) als Kanzler. Er beauftragt den Chef der Reichswehr Von Seeckt Sondergerichte gegen die aufständische Arbeiter einzurichten. Es werden Freikorpse von Studenten gebildet. Einer von ihnen wird am 24. März in Bad Thal (Thüringen) gefangene Arbeiter massakrieren und begründet seine Aktion wie folgt: „Wir brauchen Leichen für unsere Anatomiekurse“8.
- Rote Kreuz Schwestern mit Sanitäter. Quelle.
Aber es galt die 80.000 Ruhrarbeiter zu entwaffnen. Das war der Sinn der Bielefelder Verhandlungen, die wiederum von Severing geführt wurden, während die Truppen von General Watter in Münster stationiert waren. Das Bielefelder Abkommen, das am 24. März von den Unabhängigen und zwei Mitgliedern der KPD unterzeichnet wurde, führte zur Entwaffnung eines Teils der Roten Armee, während die Westfront das Abkommen ablehnte. Die SPD-Regierung begründete mit dieser Ablehnung den Aufmarsch der Truppen von General Watter am 4. April. Es ergab sich ein neues Blutbad: Massenerschießungen, darunter auch Rotkreuzschwestern, die alle in Massengräber geworfen wurden.
Diese sowohl militärische als auch politische Niederlage war entscheidend, viel mehr als die vom Januar 1919 9. Aber unter diesen Bedingungen wurde gleichzeitig die KAPD gegründet, eine Abspaltung von der KPD, deren Kämpfer, mit Unterstützung von AAU-Mitgliedern, eine wichtige Rolle bei den Kämpfen im Ruhrgebiet gespielt hatten. Diese Partei forderte die Fortsetzung der „Weltrevolution“ bis zum Sieg.
- Karrfreitag 2. April 1920. Reichswehr oder Freikorps posieren vor den Leichen
erschossener Arbeiter. Bahndamm in Möllen bei Voerde. Wikimedia Commons.
März 1921 – Oktober 1923. Vom Putschismus zum Putschismus.
Von der Verherrlichung der Weltrevolution zur Verherrlichung der nationalen Gefühle
Als der Aufstand der Kronstädter Seeleute und Arbeiter ausbrach, entwickelte die Komintern eine typisch putschistische Theorie, die sie „den revolutionären Kurs erzwingen“ nannte, deren Instrument Bela Kun war, der besiegte Führer der der ungarischen Räterepublik , der heimlich nach Deutschland gekommen war. Doch im Moment, in dem es sicher war, daß sich das deutsche Proletariat nicht bewegen würde, beschloß Innenminister Carl Severing, in die Offensive zu gehen und Mitteldeutschland zu besetzen, wo die Arbeiter ihre Waffen behalten hatten.
Die Vereinte KPD (VKPD) bewegt sich plötzlich von einer Politik des „offenen Briefes“ an die Gewerkschaften, um eine „Arbeiterregierung“ zu bilden, zu einer aufständischen Einheitsfront. Angesichts der Passivität des deutschen Proletariats schlägt Hugo Eberlein – KPD-Delegierter beim I. Kongreß der Komintern – sogar falsche Angriffe gegen die VKPD vor, um „die Empörung der Massen“ zu wecken. Man mußte nichtsdestotrotz „Verbündete“ zu finden. Die Komintern verlangte von der KAPD, als sympathisierende Partei, sich der KPD in diesem Abenteuer anzuschließen. Die KAPD erläßt feurige Proklamationen an das deutsche Proletariat, trotz der Zurückhaltung seiner Basis: „Mit Flinten und Messern, mit Fäusten und Zähnen packt zu. Es geht ums Ganze”. 10 Ihre Führung beteuert, daß „die Massen der KP nach unseren Losungen handeln. Sie haben ihre Führer gezwungen, dies zu tun“ 11.
Weder die Aktion der beiden Parteien noch die „autonome“ Aktion der “freien Elektronen“ der KAPD – wie die „Truppen“ von Max Hölz und Karl Plättner – können die Katastrophe aufhalten. Das Proletariat von Berlin, von Mitteldeutschland, bleibt passiv. Die Leunaer Fabriken, die Hochburg der Arbeiterunion mit 2.000 Mitgliedern (10% der Arbeiter), wurden von den Grünen der Schutzpolizei bombardiert, die über gepanzerte Fahrzeuge verfügten.
In ihrer Erklärung, die sie am Ende der Sitzungen des III. Kongresses der Komintern (Juli 1921) nicht verlesen konnte 12, faßte die KAPD ihre Position perfekt zusammen, die auch die von Rosa Luxemburg im Januar 1919 13 war:
Die Kommunistische Partei kann weder wirtschaftliche Kämpfe auslösen noch kann sie sich weigern zu kämpfen, sonst würde sie die Vorbereitung auf den Sieg sabotieren. Auf lange Sicht kann sie die Führung dieser Kämpfe nur erhalten, wenn sie allen Illusionen der Massen die volle Klarheit über den Zweck der Kampfmethoden entgegensetzt 14.
In der gleichzeitig von Herman Gorter gegen die VKPD verfaßten Broschüre, verurteilte die KAPD sowohl die Abwartepolitik von Paul Levi als auch den Putschismus der Kommunistischen Partei, [letzterer] als „notwendigen Widerspiel des parlamentarisch-gewerkschaftlichen Opportunismus“ 15.
- Märzkämpfe 1921 im mitteldeutschen Industriegebiet.
Revolutionäre Arbeiter werden in Eisleben von der Polizei abgeführt. Wikimedia Commons.
Die Niederlage war grausam: Die KAPD erlitt nach ihrem erzwungenen Austritt aus der Komintern im September 1921 einen großen Schwund von Militanten, dann im März 1922 die Spaltung. Die KPD durchläuft einen ähnlichen Prozeß, mit dem Ausscheiden Paul Levis, dem Parteichef, und sieht ihre Mitgliedschaft, trotz der unerschütterlichen Unterstützung Moskaus schwinden.
Die deutsche KP kehrte dann zu einer Politik der „Einheitsfront an der Basis“ mit den sozialdemokratischen Gewerkschaften zurück und forderte die Bildung einer „Arbeiterregierung“ mit allen „proletarischen Parteien“.
Die Besetzung des Ruhrgebiets durch die französische Armee im Januar 1923, die Beschleunigung der wirtschaftlichen Katastrophe, und die Hyperinflation schaffen eine Situation des Chaos, das „vorrevolutionär“ erscheinen mag, mit der Entwicklung einer Bewegung von Betriebsräten, ähnlich wie die der revolutionären Obleute von 1918. Der Erfolg dieser Bewegung sowie die Schaffung von „Arbeitermilizen“ der Partei (proletarische Hundertschaften), um gegen die Polizei und den Freikorps im Ruhrgebiet zu kämpfen, geben der Basis der KP wieder Selbstvertrauen zurück. Aber, wie Pierre Broué feststellt, war das Jahr 1923 vor allem geprägt von „dem Vormarsch rechtsextremer Nationalisten“ – die sich an die „Millionen von deklassierten Kleinbürger“ wandten, und an Arbeiter die offen standen für nationalistische und antisemitische Propaganda – und entwickelten ihre bewaffneten Milizen (die S.A. der Nazi-Partei) Dank der Unterstützung durch die Großindustriellen im Ruhrgebiet und mit der Komplizenschaft der Reichswehr 16.
Die KPD betreibt jedoch eine populistische Demagogie bei diesen ruinierten kleinbürgerlichen Schichten und schmeichelt ihren überhöhten nationalistischen Sentimenten und sogar ihrem Antisemitismus 17. Karl Radek, der ehemalige Bremer Linksradikale, konnte vor der Exekutive der Komintern eine Rede zum Gedenken an den Nazi Leo Schlageter halten, der im Juni 1923 von der französischen Besatzungsarmee erschossen worden war:
„Nur, wenn die deutsche Sache die des deutschen Volkes ist, nur wenn die deutsche Sache im Kampfe um die Rechte des deutschen Volkes besteht, wird sie dem deutschen Volke tätige Freunde werben (…) Die Sache des Volkes zur Sache der Nation gemacht, macht die Sache der Nation zur Sache des Volkes. Geeinigt zu einem Volk der kämpfenden Arbeit, wird es Hilfe anderer Völker finden, die um ihre Existenz kämpfen. Wer in diesem Sinne den Kampf nicht vorbereitet, der ist fähig zu Verzweiflungstaten, nicht fähig aber zum wirklichen Kampfe.
Dies hat die Kommunistische Partei Deutschlands, dies hat die Kommunistische Internationale an dem Grabe Schlageters zu sagen (…)“. 18
Dieser Appel ans nationalistische Sentiment konnte durchaus mit einer „antifaschistischen“ Mobilisierung koexistieren, wie beispielsweise an jenem „antifaschistischen Tag“ am 29. Juli, der ein großer Misserfolg war. Die KPD versucht damit eine Volksfrontpolitik ‘avant la lettre’. Am 10. Oktober nimmt die sächsische sozialdemokratische Regierung mehrere kommunistische Minister auf, darunter Fritz Heckert (künftiger stalinistischer Führer, der noch immer in einer Kremlmauer bestattet is) und vor allem Brandler, der Leiter der Staatskanzlei wird. Das Gleiche geschieht am 13. Oktober in Thüringen, wo drei „kommunistische Minister“ der Regierung beitreten, darunter Karl Korsch, der für Justiz zuständig ist.
Diese scheinbaren „Erfolge“ ebnen den Weg zur Niederlage. Die „Arbeiterregierungen“ werden von der Reichswehr ohne Widerstand aufgelöst. Und ohne Widerstand kapituliert die ganze Bewegung. Der Hamburger Aufstand vom 23. Oktober – in einem einzigen Bezirk! – ist ein Fiasko: „Nur einige der Kommunisten kämpften, und sie kämpften allein, die großen Massen blieben, wenn nicht gleichgültig, zumindest passiv“. 19
Es war ein weiterer Oktober, der Oktober 1929, in dem die Niederlage der deutschen Arbeiter vollendet wurde. Nach einer sogenannten Wende die „Klasse gegen Klasse“ (oder „dritte Periode“) genannt wurde, in der die Sozialdemokratie als „Sozialfaschistisch“ bezeichnete, kehrte die KPD zu ihrer Politik der Verherrlichung der deutschen „proletarischen Nation“ zurück. Im August 1930 hielt ihr Zentralkomitee, das mit dem Nationalsozialismus auf dessen Boden konkurrieren wollte, eine Ansprache „Für eine nationale und soziale Befreiung des deutschen Volkes“ 20. Im November 1932 etablierte die KPD während des Berliner Transportstreiks eine Einheitsfront an der Basis mit Nazi-Arbeitern.
Die Konterrevolution war vom 9. November 1918 an der Macht, sie „selbstmorderte„ die Arbeiterräte, setzte dann mit Eisen und Feuer das Gesetz der Weimarer Konstituante durch. Es war ein wahres Blutvergießen des deutschen Proletariats, das unter der direkten Verantwortung der Sozialdemokratie durchgeführt wurde. Bereits 1923, am Ende der deutschen Revolution, war die Zahl der Opfer unter den Arbeitern mit der der Pariser Kommune vergleichbar.
Die Niederlage ebnete so den Weg für Hitler im Januar 1933. Der Traum von einer weltweiten Emanzipation der Arbeiter – in der Deutschland eine Schlüsselrolle spielen würde – wurde zu einem blutigen Alptraum der „nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes“. Damit sollte der Weg in den Weltkrieg geöffnet werden.
Philippe BOURRINET, 12. September 2017.
Noten
1 Uwe Schulte-Varendorff, Die Hungerunruhen in Hamburg im Juni 1919 – eine zweite Revolution?, Hamburg University Press, 2010.
2 Nachdem die Ordnung wiederhergestellt war, erreichte der ADGB 1920 8 Millionen Mitglieder; diese Zahl sank 1932 auf 3 Millionen.
3 RGBl. Nr. 6605 Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten. Vom 23. Dezember 1918.
4 Rede vom 8. April 1919, zitiert von Heinrich August Winkler, Von der Revolution zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924, Berlin/Bonn, 1984.
5 Kommunistische Räte-Korrespondenz, n° 11, Berlin, Juli 1919. In diesem KPD-Organ schreibt Paul Frölich: „Je mehr wir uns in große Kämpfe stürzen, desto mehr kann dieser Aufruf: ‘Heraus aus den Gewerkschaften!’ zu eine Losung der Massen werden“.
6 Vgl. das Zeugnis des Rätekommunisten und ehemaligen KAPD-Mitglieds, Paul Mattick, Die Revolution war für mich ein großes Abenteuer. Paul Mattick im Gespräch mit Michael Buckmiller. Unrast Verlag, Münster 2014.
7 Udo Winkel, ‘Paul Levi et sa signification pour le mouvement ouvrier allemand’, Cahiers Léon Trotski n° 62, mai 1998, p. 32-34.
8 Illustrierte Geschichte der deutschen Revolution [1929], op. Cit., S. 487. Nach einem Prozess im Juli 1920 wurden die Mörder freigelassen. Aufschlussreicher Kommentar der bürgerlichen Presse (Deutsche Zeitung): «Unsere braven Jungens sund freigesprochen worden. Es gibt eben noch Richter in Deutschland… ».
9C hris Harman, op. cit., p. 127-159.
10 Heraus zum Kampf auf die ganze Front! KAZ (Berlin), No. 181 oder 182 [F.C.].
11 Ph. Bourrinet, The Dutch and German Communist Left (1900-68), Brill, Leiden, 2016, p. 234-240.
12 Protokolle des III. Kongresses der Komintern,, op. cit., p. 335.
13 Rosa Luxemburg Was machen die Führer? (7. Januar 1919): “Die Masse muss eben im Kampfe selbst zu kämpfen, zu handeln lernen. (…) Sind aber ihre Führer, die ausführenden Organe ihres Willens, auf der Höhe? Sind die revolutionären Obleute und Vertrauensleute der Großbetriebe, sind die radikalen Elemente der USP inzwischen an Tatkraft, Entschlossenheit gewachsen? Hat ihre Aktionsfähigkeit mit der wachsenden Energie der Massen Schritt gehalten? (…) Was haben diese inzwischen getan, was beschlossen? Welche Maßnahmen haben sie ergriffen, um in der gespannten Situation, in der die Schicksale der Revolution zum mindesten für den nächsten Abschnitt entschieden werden, den Sieg der Revolution zu sichern?”.
14 Rapport du KAPD sur le 3e congrès du Komintern
15 Der Weg des Dr. Levi, der Weg der VKPD, KAPD, Berlin, 1921, p. 11-12. [Gorter hat nur ein Teil dieser Broschüre geschrieben. Siehe: Gorter, Erklärung, in Proletarier, Monatschrift für Kommunismus, Jahrgang 1, 1920-1921, Heft 8, August, S. 19. F.C.]
16 Broué, op. cit., p. 686-688.
17 Ruth Fischer, Vorsitzende der linken Tendenz der KPD, verkündet in einer öffentlichen Sitzung auf einem Berliner Schulhof am 25. Juli 1923: «Sie rufen auf gegen das Judenkapital, meine Herren? Wer gegen das Judenkapital aufruft, meine Herren, ist schon Klassen-kämpfer, auch wenn er es nicht weiß. Sie sind gegen das Judenkapital und wollen die Börsenjobber niederkämpfen. Recht so. Tretet die JudenkapitaIisten nieder, hängt sie an die Laterne, zertrampelt sIe.» [Die K.P.D. im eigenen Spiegel. – Berlin : Kommunistische Arbeiter-Partei, Wirtschaftsbezirk Berlin-Brandenburg (Herausgeber) : Buchhandlung für Arbeiter-Literatur, Berlin, O 17, Emil Schubert (Verlag), 1926. S. 75].
18 Karl Radek, Leo Schlageter, der Wanderer ins Nichts (Juni 1923) nach Marxists.org. [Siehe ein etwas verschiedene Version in Die K.P.D. im eigenen Spiegel. –S. 71.]
19 Broué, op. cit., p. 773.
20 Programmerklärung zur nationalen und sozialen des deutschen Volkes, Die Rote Fahne n° 197, Berlin, Sonntag, 24. August 1930. Dieser Aufruf wurde offiziell von Ernst Thälmann und dem Zentralausschuss, in Wirklichkeit von Heinz Neumann, verfasst. Als Flüchtling in der UdSSR wurde er im November 1937 auf Befehl Stalins erschossen.
Dokumente
Fragment zu den Gewerkschaften und der Arbeiter-Union, Programm der KAPD (1920)
“(…) Neben dem bürgerlichen Parlamentarismus bilden die Gewerkschaften das Hauptbollwerk gegen die Fortentwicklung der proletarischen Revolution in Deutschland. Ihre Haltung im Weltkrieg ist bekannt. Ihr entscheidender Einfluß auf die grundsätzliche und taktische Stellungnahme der alten Sozialdemokratischen Partei führte zur Proklamierung des „Burgfriedens“ mit der deutschen Bourgeoisie, was gleichbedeutend war mit der Kriegserklärung an das internationale Proletariat. Ihre sozialverräterische Wirksamkeit fand ihre logische Fortsetzung bei Ausbruch der November-Revolution in Deutschland, wo sie ihre konterrevolutionäre Gesinnung durch den Abschluss einer wirtschaftsfriedlichen Arbeitsgemeinschaft mit dem zusammenbrechenden deutschen Unternehmertum dokumentierten. Ihre konterrevolutionäre Tendenz haben sie während der ganzen Periode der deutschen Revolution bis zum heutigen Tage bewahrt. Die Gewerkschaftsbürokratie ist es gewesen, die sich am heftigsten dem in der deutschen Arbeiterklasse immer stärker Wurzel schlagenden Rätegedanken widersetzte und die sich aus den ökonomischen Massenaktionen folgerichtig ergebenden politischen Tendenzen mit dem Ziel der politischen Machtergreifung durch das Proletariat erfolgreich zu paralysieren verstand. Der konterrevolutionäre Charakter der gewerkschaftlichen Organisationen ist so offenkundig, daß zahlreiche Unternehmer in Deutschland die Einstellung von Arbeitern von der Zugehörigkeit zu einem gewerkschaftlichen Verbande abhängig machen. Damit ist vor aller Welt enthüllt, daß die Gewerkschaftsbürokratie an der künstlichen Aufrechterhaltung des in allen Fugen krachenden kapitalistischen Systems tätigen Anteil nimmt. Die Gewerkschaften sind somit neben den bürgerlichen Fundamenten einer der Hauptpfeiler des kapitalistischen Klassenstaates. Daß dieses konterrevolutionäre Gebilde nicht von innen heraus im revolutionären Sinne umgestaltet werden kann, ist durch die Gewerkschaftsgeschichte der letzten anderthalb Jahre hinreichend bewiesen. Die Revolutionierung der Gewerkschaften ist keine Personenfrage. Der konterrevolutionäre Charakter dieser Organisationen liegt in der ihnen eigentümlichen Struktur und ihrem System selber. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich die logische Folgerung, daß nur die Zertrümmerung der Gewerkschaften selbst die Bahn frei macht für den Fortgang der sozialen Revolution in Deutschland. Für den sozialistischen Aufbau ist anderes notwendig als diese fossilen Organisationen.
Aus den Massenkämpfen heraus ist die Betriebsorganisation en den. Nicht in dem Sinne neu, daß sie auftaucht als etwas nie au ähnlich Dagewesenes, aber neu in dem Sinne, daß sie währen Revolution überall herausspringt als notwendige Waffe des Kampfes gegen den alten Geist und das ihm zugrunde liegen Fundament. Sie entspricht dem Rätegedanken und ist demnach durchaus keine bloße Form oder neue Organisationsspielerei oder gar mystische Wunderblume, sondern sie ist die organisch in die wachsende, Zukunft bildende Ausdrucksform einer Gesellschaftsrevolution, die auf die klassenlose Gesellschaft hinstrebt. Sie ist rein proletarische Kampfesorganisation. Nicht in Berufe zerrissen, abseits seines Kampfbodens kann das Proletariat für den restlosen Umsturz der alten Gesellschaft organisiert sein, das muß im Betrieb vor sich gehen. Hier steht einer neben dem anderen als Klassengenosse, hier muß jeder stehen als Gleichberechtigter. Hier steht die Masse als Triebwerk der Produktion, drängt ununterbrochen, es zu durchschauen und selbst zu leiten. Hier geht der geistige Kampf, die Revolutionierung des Bewußtseins in unaufhörlichem Sturm von Mann zu Mann, von Masse zu Masse. Alles gerichtet auf das höhere Klasseninteresse, nicht auf Vereinsmeierei, das Berufsinteresse eingeengt auf das ihm zukommende Maß. Eine solche Organisation, das Rückgrat der Betriebsräte, wird zu einem unendlich beweglichen Instrument des Klassenkampfes, einem durch ständig mögliche Neuwahlen, Abberufungen usw. immer von frischem Blut sprudelnden Organismus. In und mit den Massenaktionen wachsend, wird sich die Betriebsorganisation natürlich jene zentrale Zusammenfassung schaffen müssen, die ihrer revolutionären Entwicklung entspricht. Die revolutionäre Entwicklung wird ihre Hauptangelegenheit sein, nicht Programme, Statuten und detaillierte Pläne. Sie ist keine Unterstützungskasse und Lebensversicherung, wenn auch selbstverständlich vor der Sammlung für etwa notwendig werdende Streikunterstützungen nicht ängstlich zurückscheut. Ununterbrochene Propaganda für den Sozialismus, Betriebsversammlungen, politische Diskussionen usw. zählen zu ihren Aufgaben, kurzum, die Revolution im Betrieb.
Das Ziel der Betriebsorganisation ist im großen gesehen ein doppeltes.
Das erste geht auf die Zertrümmerung der Gewerkschaften, ihres gesamten Untergrundes und des in ihnen konzentrierten unproletarischen Gedankenkomplexes. Kein Zweifel herrscht darüber, daß in diesem Kampf die Betriebsorganisation selbstverständlich auf alle bürgerlichen Gebilde als erbitterter Gegner stoßen wird, aber auch auf alle U.S.P.- und K.P.-Bekenner, die entweder noch unbewußt in alten S.P.-Bahnen sich bewegen (wenn sie auch ein anderes politisches Programm annahmen, im Grunde aber nur Kritiker politisch – moralischer Verfehlungen sind), oder bewußt als Gegner auftreten, weil ihnen der politische Schacher, die diplomatische Kunst, sich stets „oben“ zu halten, höher steht als der Riesenkampf um das Soziale überhaupt. Vor dieser Bitternis gibt es kein Zurückschrecken. Niemals kann es eher ein enges Zusammengehen mit der U.S.P. geben, als bis sie die Berechtigung solcher – sicher noch wandlungsbedürftiger und auch wandlungsfähiger – proletarischer Gebilde aus dem Wesen des Rätegedankens anerkennt. Große Teile der Massen werden sie früher erkennen als politische Führer. Ein gutes Zeichen. Am sichersten und schnellsten wird die Betriebsorganisation durch Auslösen und politische Ausrichtung von Massenstreiks, fußend auf der jeweiligen politischen Situation, das konterrevolutionäre Gewerkschaftswesen demaskieren und vernichten helfen.
Das zweite große Ziel der Betriebsorganisation ist die Vorbereitung für den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft. Mitglied der Betriebsorganisation kann jeder Arbeiter werden, der sich zur Diktatur des Proletariats bekennt. Dazu gehört die entschiedene Abwendung von den Gewerkschaften, die entschiedene Loslösung aus ihrer Gedankenrichtung. Diese Loslösung wird der Prüfstein sein müssen für den Eintritt in die Betriebsorganisation. Damit wird offenbart das Bekenntnis zu dem proletarischen Klassenkampf und seinen eigenen Methoden, nicht erforderlich ist das Bekenntnis zu einem engeren Parteiprogramm. Es liegt im Wesen und in der Tendenz der Betriebsorganisation, daß sie dem Kommunismus dient und hinleitet zur kommunistischen Gesellschaft. Ihr Kern wird stets ausgesprochen kommunistisch sein, ihr Kampf zwingt alle in die gleiche Richtung. Aber während ein Parteiprogramm größtenteils dem Tage (natürlich im weiteren Sinne) dient und dienen muß, während von Parteigängern pointierte Intellektualität gefordert wird, während eine politische Partei wie die Kommunistische Arbeiterpartei – es sei denn, sie entwickle sich zu ihrem Verderben rückwärts -, schnell fortschreitend und wechselnd, mit dem weltrevolutionären Prozeß niemals quantitativ groß sein kann, werden in der Betriebsorganisation die revolutionären Massen geeint durch das Bewußtsein ihrer Klassensolidarität, ihrer proletarischen Klassensolidarität. Hier bereitet sich organisch die Einigung des Proletariats vor, die niemals möglich ist auf dem Boden eines Parteiprogrammes. Die Betriebsorganisation ist der Anfang kommunistischer Gestaltung und wird zum Fundament der kommenden kommunistischen Gesellschaft.
Die Betriebsorganisation löst ihre Aufgaben im engen Verein mit der K.A.P.D.
Die politische Organisation hat zur Aufgabe die Sammlung der fortgeschrittenen Elemente der Arbeiterschaft auf der Grundlage des Parteiprogramms.
Das Verhältnis der Partei zur Betriebsorganisation ergibt sich aus dem Wesen der Betriebsorganisation. In nimmermüder Propaganda wird die K.A.P. innerhalb der Betriebsorganisation arbeiten. Kampfparolen müssen vereinbart werden. Die Kadres im Betrieb werden zur beweglichen Waffe der Partei. Dazu ist natürlich notwendig, daß auch die Partei immer mehr proletarischen Charakter, proletarischen Klassenausdruck annimmt, der Diktatur von unten gerecht wird. Damit erweitert sich der Kreis ihrer Aufgaben, wird aber zugleich aufs machtvollste gestützt. Es muß erreicht werden – und die Betriebsorganisation bietet die Gewähr dafür -, daß mit dem Siege, das ist die Eroberung der Macht durch das Proletariat, die Diktatur der Klasse einsetzen kann und nicht die Diktatur einiger Parteiführer und ihrer Clique.
Die Phase der Ergreifung der politischen Macht durch das Proletariat erfordert die schärfste Niederhaltung bürgerlich – kapitalistischer Regungen. Das wird erreicht durch die Aufrichtung einer die gesammte politische und wirtschaftliche Macht ausübenden Räteorganisation. Die Betriebsorganisation wird in dieser Phase selber ein Glied der proletarischen Diktatur, ausgeübt im Betrieb durch die auf der Betriebsorganisation sich erhebenden Betriebsräte. Aufgabe der Betriebsorganisation in dieser Phase ist ferner, danach zu streben, daß sie zum Fundament des Wirtschaftsrätesystems wird.
Für den Aufbau des kommunistischen Gemeinwesens ist die Betriebsorganisation eine wirtschaftliche Voraussetzung. Die politische Form der Organisation des kommunistischen Gemeinwesens ist das System der Räte. Die Betriebsorganisation tritt dafür ein, daß die politische Gewalt nur immer von der Exekutive der Räte ausgeübt wird. (…)”
Quelle: Programm der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands (Mai 1920)
Ein Brief des Genossen Pannekoek, Kommunistische Arbeiter Zeitung, Juli 1920
In diesem Brief kritisiert Pannekoek die Auffassung der Arbeiterunion, wie diese u.A. im Programm der KAPD vertretten wurde, eine Kritik die teilweise in den Positionen der G.I.K. (siehe weiter) elf Jahre später zuruckkehrt. In einer Schärfe die ihm ungewohnlich war, verurteilt Pannekoek weiter die nationalbolschewistischen und antisemitschen Positionen von Laufenberg und Wolffheim. (F.C.)
Bussum, 5. Juli 1920
Aus meinen K. Horner-Artikeln in dem Hamburger Blatt, in denen ich im Winter und Frühjahr zu den Streitfragen der Kommunistischen Partei Stellung nahm, wissen Sie daß ich in ihrem Gegensatz zu der KPD an ihrer Seite stehe. Ich finde as auch bestätigt in Ihrem Programm, das Sie mir zuschickten. Nur in einem Punkte – ich will das sofort hinzufügen – erscheint mir der darin dargelegt Standpunkt nicht auf die Dauer haltbar. Es betrifft die am meisten umstrittene Frage der deutschen Entwicklung: Die Betriebsorganisation – wohl deshalb die schwierigste Frage, weil die alten Gewerkschaften anscheinend so feste Massenorganisationen sind. Sie denken sich die Betriebsorganisation als die Organisation derjenigen aufgeklärten Arbeiter – die in einem Betrieb noch Minderheit sind – die bewußt die reaktionäre Rolle der Gewerkschaften erkennen und sich von ihnen abwenden und an ihre Stelle eine neue, auf dem Betrieb beruhende Organisationsform setzen. Damit haben wir zwei Organisationen der voranstehenden, richtunggebenden, aufgeklärten Arbeiter: 1. die Kommunistische Partei, 2. diese revolutionäre Betriebsorganisation, und diese beiden stehen als kleine Gruppe inmitten der großen, noch untätigen, an die alten Gewerkschaften festhaltende Masse. So verstehe ich den Standpunkt, den Sie einnehmen. Nun scheint es mir, – auch mit Rücksicht auf die russische Erfahrung – daß diese Doppelorganisation auf die Dauer unnötig ist; die Mitglieder der Betriebsorganisation werden dieselben Kommunisten sein, die sich im Allgemeinen als Vortruppe hervortun – Arbeiter, die aus den Gewerkschaften treten, aber nicht Kommunisten sein, wird es wenige geben (vielleicht einige syndikalistische Gruppen, aber damit wird man doch nicht viel anfangen können, es sei denn, daß sie zum kommunistischen Standpunkt übergeführt werden). Auf die Dauer wird man haben: 1. als Grundlage der proletarischen Demokratie die Zusammenfassung aller in einem Betrieb Tätiger, die durch ihrer Vertreter, Betriebsräte, die politische und gesellschaftliche Leitung in die Hand nehmen – die Sowjets in Russland (und diese betriebsweise Organisation der ganzen Arbeiterschaft wird doch zumeist Betriebsorganisation genannt); 2 als treibende bewußte Minorität, der infolge ihrer klaren Einsicht und revolutionären Willens die Führung zufällt in revolutionären Zeiten: die Kommunisten. Eine zweite Minderheitsgruppe, die doch auch fast nur aus Kommunisten besteht, wird man, wie es mir scheint, dabei nicht brauchen.
Ich lege ihnen deshalb diese abweichende Auffassung vor, weil es vorkommen kann, daß der weitab wohnende Theoretiker, gerade weil er nicht mitten in den zwingenden Verhältnissen lebt und die Entwicklungstendenzen verschiedener Länder vergleichen kann, weniger unter dem Einfluß zeitweiliger Umstände steht und das Allgemeine und Bleibende eher im Auge behält. Aber ich verkenne dabei nicht, daß die besonderen, gerade in Deutschland herrschenden Verhältnisse ihnen vielleicht mit zwingender Gewalt Euern Standpunkt auferlegen – und deshalb sollen meine Ausführungen auch nicht bezwecken Euch von Eurem Standpunkt als einem “falschen” abzubringen, sondern höchstens verhüten daß Sie ihn als allzu absolut fest und ze sehr als allgemein-richtiges Dogma auffassen, damit Sie also bedenken, daß bei Änderung der Entwicklung der Verhältnisse ein anderer Standpunkt sich nötig erweisen kann. Bei der heutigen Macht der Gewerkschaften ist für denjenigen, der sie als eine schädliche konterrevolutionäre Macht betrachtet, kaum ein anderer Standpunkt möglich – die Methode der KPD und Radeks zwecks “Zusammenbleibens mit der Masse” nicht aus den Gewerkschaften zu treten, führt praktisch dazu, diese Macht nicht zu bekämpfen. Aber in revolutionären Zeiten kann es sich ändern und kann es sein, daß die Massen – trotzdem [schwer lesbar im Orginal] die Gewerkschaftsführer sich schon darauf vorbereiten, den Apparat des Rätesystems in die Hand zu nehmen – nicht mehr auf die Gewerkschaften hören [schwer lesbar im Orginal] und ohne sie massenhaft zu verlassen, doch ihre Werkstattsvertretungen unabhängig von und gegen die Gewerkschaftsführer und beamten aufbauwen (also ähnlich wie es in England in der Kriegszeit schon die Werkstattkomiteesd taten); und dann wäre es von Übel, wenn die revolutionären Betriebsorganisationen sich auf Grund dieser Programmauffassung von einer solchen Entwicklung einer revolutionären Massenkraft getrennt hielten. Aber immerhin: Sie die Sie mitten in der Bewegung und in den Massen stehen, werden am besten entscheiden, was hier richtig ist.
Ich will auch noch hinzufügen, daß die Art und Weise, wie sie in Ihrer Zeitung die Agitation führen, mir sowohl prinzipiell wie formell richtig erscheint. Formell durch die Methode der sachlichen Aufklärung im Gegensatz zu der auf Augenblickserfolg und Augenblickserringung berechneten Methode der “Roten Fahne”, die in jeder Hinsicht den alten Organen der SPD vor dem Krieg ähnelt und denselben Widerspruch zwischen äusserem Schein und innerem Wesen fühlen läßt, und im Gegensatz zu dem Hamburger Blatt, das immer mehr die Kraft der Agitation in der Denunziation persönlicher Verfehlungen der Gegner sucht – wenn eine falsche Politik ihre Befürworter oft zu Gaunern macht, ist umgekehrt damit eine bestimmte Politik nicht damit zu bekämpfen, daß sie eine Erfindung von Gaunern sei: auch die Politik der KPD hat so viele natürliche Gründe, die in der Tradition der alten SPD-Lehre und in der schwierigen Entwicklung liegen, daß ganz ehrliche, vernünftige Leute sie verfechten können und tatsächlich verfechten. Und prinzipiell sind die Abirrungen der Hamburger von einem klaren marxistischen und revolutionären Standpunkt so ungeheuerlich – erstens in dem ganzen nationalistischen Standpunkt, dann in der Beschuldigung, der Levi habe durch eine tat die ganze Revolution verdorben, neulich in dem antisemitischen Artikel: weil der Levi ein Jude ist, deshalb spiele er die Karte des jüdischen Finanzkapitals; alles gleich hirnverbrannt – daß sie die kommunistische Erziehung der Massen m. E. [meines Erachtens] aufs schwerste hemmen und schädigen und demgegenüber der Berliner Standpunkt umso schärfer in seinem Wert für die revolutionäre Aufklärung hervortritt. Mir erscheint ihre Kritik des Nationalbolschewismus nicht nur sehr richtig, sondern noch viel zu sanft; sie unterschätzen das Übel, das er anrichtet, da er prinzipiell die Grundgedanken des Kommunismus untergräbt, und sie werden m.E. nicht mit Laufenberg und Wolffheim zusammen bleiben können. Soll die KAPD zu einer führenden, richtunggebenden macht werden, die den revolutionären Massen in Deutschland eine feste Klarheit gibt, dann ist ein klarer Standpunkt gerade in der nationalen Frage absolut notwendig; und diesen muß die Partei auf dem nächsten Kongress festlegen. Ich verstehe die Schwierigkeit bei dem großen Einfluß, die L. und W. in Hamburg ausüben, und bei der vortrefflichen Agitation, die sie früher, vor einem Jahre, in dem Hamburger Blatt machten. Aber die Diskussion darüber soll möglichst immer wieder angefasst werden; in diesen Fragen darf keine Unsicherheit bleiben, da sie die scharfe Abgrenzung gegen jede reaktionär-bürgerliche Ideologie bedeutet.
Uber die allgemeinen Fragen der revolutionären Entwicklungstendenzen und der Taktik des Kommunismus habe ich vor einigen Monaten einen großen Artikel*) nach Moskau gesandt; durch die Schwierigkeit der Verbindung wird er erst neulich da angelangt sein, und er wird also schwerlich dort vor dem internationalen Kongress gedruckt sein, also keinen Einfluß zuvor mehr ausüben können. Vielleicht wird er nachher doch noch eine Wirkung haben; sollte er aber dort nicht mehr gedruckt werden, so wäre zu erwägen, ob er in Deutschland herauszugeben wäre. Unsere Richtung wird auch ohnehin in Moskau gute Verteidiger finden; aber ich fürchte, daß trotzdem der Opportunismus zur internationalen Taktik des Kommunismus proklamiert werden wird – eine Folge der langsamen Entwicklung im Westen, des äußeren Erfolges Russlands der alle schwankenden Elemente im Westen heranzieht, und der schweren inneren Lage dieses Landes. In diesem Falle müssen wir uns darauf vorbereiten, als radikale Minderheit Opposition zu treiben, bis der Fortgang der Revolution in Zentral-Europa der Entwicklung einen neuen Stoß gibt.
Mit freundlichem Gruß
Anton Pannekoek.
Von “Der Kommunist, Zeitung der KAPD (Sachsen)” der Berliner “Kommunistischen Arbeiter-Zeitung” entnommen.
*) Wahrscheinlicht ist gemeint Weltrevolution und kommunistische Taktik (1920).
Quelle: https://www.aaap.be/Pdf/Der-Kommunist-1920/Der-Kommunist-Sachsen-1920-030.pdf
Lehren der März-Aktion
Nachschrift zu dem “Offenen Brief an Lenin von Herman Gorter”
Wahrend Gorter hier der Putschtaktik der V.K.P.D. klar Absage erteilt, ist klar daß die K.A.P.D. in diesen neuen Blanquismus (Pannekoek) der III. Internationale mitgeschleppt worden ist. Die Auffassung Gorters und der K.A.P.D. “daß keiner Aktion ausgewichen wird, die von dem Feind aufgenötigt wird, oder aus den Massen elementar ausbricht.” hat sich verheerend ausgewirkt. Dagegen soll eine proletarische Partei in dergleichen Situationen wie 1923 die Arbeiterklasse warmen sich nicht provozieren zu lassen, genau wie de Bolschewisten es taten zwischen Februar und Oktober 1917. (F.C.)
Lieber Genosse Lenin!
Als wir uns im November 1920 voneinander verabschiedeten, waren Ihre letzten Worte, daß weder ihre eigene, noch meine, voneinander so verschiedenen Auffassungen über die Taktik in der Revolution in West-Europa bis jetzt genügend durch die Wirklichkeit erprobt wären, daß aber bald durch die Erfahrung deutlich werden würde, wer von uns beiden Recht hätte.
Ich war mit Ihnen einverstanden.
Jetzt hat sich die Wirklichkeit gezeigt, und wir sind um eine Erfahrung reicher geworden. Sie werden mir gewiß gestatten, daß ich Ihnen die Lehre, die wir daraus ziehen müssen, von meinem Standpunkt aus, zeige.
Wie Sie sich erinnern, waren Sie, das Exekutiv-Komitee [weiter E.-K.; red.] und die dritte Internationale auf ihrem Kongress in Moskau für den Parlamentarismus, den Zellenbau in den Gewerkschaften, und die Teilnahme an den gesetzlichen Betriebsräten im einzigen Lande in Europa, wo die Revolution da ist, in Deutschland.
Die K.A.P.D. und die holländischen Marxisten meinten, daß diese drei Dinge. Ihre Taktik, zur allergrößten Schwächung der Revolution, zum Chaos innerhalb des Proletariats, zur Verwirrung unter den Kommunisten und also zu den fürchterlichsten Niederlagen, — daß dagegen Antiparlamentarismus, Vernichtung der Gewerkschaften, Gründung von Betriebsorganisationen, Arbeiter-Unionen mit revolutionären Aktions-Ausschüssen in Deutschland und in West-Europa Fortschritt der Revolution und schließlich Einheit des Proletariats bringen würden.
Ihr, d. h. Sie, das E.-K. und die dritte Internationale, wolltet Massen sammeln in Partei und Gewerkschaft, ohne zu fragen, wie diese Massen, ob sie wirklich Kommunisten waren. Ihr tatet dies in Halle, Tours, Florenz. Ihr wolltet ihnen nur andere Führer geben. Wir wollten die alten Organisationen zertrümmern, und von unten auf andere mit neuem Geist aufbauen. Nur wirkliche Kommunisten aufnehmen.
Ihr wolltet in West-Europa die Taktik aus Rußland importieren, wo der Kapitalismus schwach war und Ihr die Bauern als Helfer hattet. Wir sahen ein, daß das Proletariat in West-Europa allein und einem gewaltigen Kapitalismus, dem Bankkapital, dem Rohstoffhandelskapital gegenübersteht. Daß wir also unsere eigene, von der russischen verschiedenen Taktik haben müssen.
Ihr wolltet Quantität, wir Qualität.
Ihr wolltet die Diktatur der Partei, d.h. einiger Führer. Wir die Diktatur der Klasse. Ihr triebt Führer-, wir Klassenpolitik.
Im tiefsten Grunde treibt Ihr noch immer die Taktik der Zweiten Internationale. Nur äußerlich, in den Worten, in den Losungen wart ihr anders. In der Wurzel gehört Ihr (in dieser nicht-russischen, sondern westeuropäische Frage) zur alten Schule aus der Zeit vor der Revolution.
Nun hat die Märzaktion des Proletariats in Deutschland 1921 gezeigt, wer Recht hat, Sie, Genosse, die dritte Internationale und das Exekutiv-Komitee, oder die K.A.P.D. und die holländischen Marxisten, die sie theoretisch unterstützt haben. Die Märzaktion hat die Frage gelöst, sie hat die Richtigkeit der Auffassung der Linken bewiesen.
Denn es gab in Deutschland zwei Parteien, die jede eine eigene Taktik hatte, und die beide an der Aktion teilnahmen. Die V.K.P.D. befolgt Ihre, die K.A.P.D. unsere, d.h. ihre eigene Taktik.
Und was waren die Folgen? Wie zeigten sich beide in der Aktion?
Denn die Tauglichkeit der Taktik, der Prinzipien, der Theorie muß immer und mußte auch jetzt durch die Aktion, durch die Tat, bewiesen werden.
Die V.K.P.D. hatte durch die parlamentarische Aktion — die unter dem bankerotten Kapitalismus keine andere Bedeutung mehr hat, als die Irreführung der Massen — das Proletariat vom revolutionären Handeln abgelenkt. Sie hatte Hunderttausende von nichtkommunistischen Mitgliedern gesammelt, war also zu einer „Massenpartei“ geworden. Die V.K.P.D. hatte durch die Zellentaktik die Gewerkschaften unterstützt und durch Teilnahme an den gesetzlichen Betriebsräten die Revolutionäre verraten, die Revolution entmannt. Die V. K. P. D. hatte in allen diesen Dingen Ihren Rat, Genosse Lenin, und Ihre Taktik und diejenige des E.-K. und der dritten Internationale befolgt. Und als sie dadurch immer tiefer in die Aktionslosigkeit herabsank (z. B. bei der russischen Offensive nach Warschau), oder die Aktion verriet (z. B. beim Kapp-Putsch), als sie durch reklamehafte Scheinaktionen (z. B. die des Offenen Briefes) auf den Reformismus gekommen war, als sie den von den Kapitalisten den Arbeitern aufgedrängten Teilkämpfen jedesmal auswich (z.B. in Hamborn, beim Elektrizitätsstreik, bei den Ambi-Werken, den Leuna-Werken usw.), — als die deutsche Revolution immer machtloser zurück wich, als ihre (der V. K. P. D.) besten Elemente dadurch unzufrieden, stets mehr auf die Aktion drängten — da beschloß sie auf einmal eine große Aktion zur Eroberung der politischen Gewalt.
D.h. vor der Herausforderung Hörsings und der Sipo hat sie zu einer künstlichen Aktion von oben, ohne spontanen Drang großer Massen, d. h. zur Putschtaktik, den Beschluss gefaßt.
Das Exekutiv-Komitee und seine Repräsentanten in Deutschland hatten schon lange darauf gedrängt, die V.K.P.D. solle losschlagen. Sie sollte sich als eine richtige revolutionäre Partei erweisen. Als ob in dem Losschlagen allein schon das Wesen einer revolutionären Taktik besteht! Wenn eine Partei, die, statt die revolutionäre Kraft des Proletariats aufzubauen, Parlament und Gewerkschaften unterstützt und dadurch das Proletariat schwächt und seine revolutionäre Kraft unterminiert, dann (nach dieser Vorbereitungen!!) auf einmal losschlägt und eine große, angreifende Aktion beschließt, für dies selbe, von ihr selbst geschwächte Proletariat, so ist das im Grunde ein Putsch. Das heißt eine von oben beschlossene, nicht aus den Massen selbst hervorkommende, von vornherein zum Scheitern verdammte Tat. Und diese Putschtaktik ist nicht revolutionär, sondern genau so opportunistisch, wie der Parlamentarismus und die Zellentaktik selbst.
Ja, diese Putschtaktik ist die notwendige Gegenseite des Parlamentarismus und der Zellentaktik, der Sammlung nicht-kommunistischer Elemente, der Führer statt Massen- oder besser Klassenpolitik. Diese schwache, innerlich faule Taktik muß notwendig zum Putschen führen.
Wie hätte die V.P.K.D., zermürbt durch den Parlamentarismus, innerlich schwach durch die Massen von Nichtkommunisten, in sechs oder mehr Richtungen gespalten, Trägerin einer Führer-, statt einer Klassentaktik, eine revolutionäre Aktion führen können?
Wo hätte die V.K.P.D. die Kraft finden können, die gegen einen so starken Feind, wie die schwer bewaffnete deutsche Reaktion, gegen das Bank- und Handelskapital, das alle Klassen gegen die Kommunisten einigt, nötig ist?
Als die Herausforderung Hörsings, der Reichsregierung, kam, und damit der Moment gekommen war zum allgemeinen schärfsten Widerstand, und die Massen selbst in Mitteldeutschland aufstanden, war die V.K.P.D. durch ihre Schwächen nicht zum erfolgreichen Kampf fähig. Sie fiel ganz und gar auseinander. Die Hälfte oder viel mehr als die Hälfte, tat nicht mit, und die Mitglieder bekämpften einander. Die Reaktion siegte leicht.
Und nachdem die Niederlage gekommen war, fiel Levi , Euer ehemaliger Schützling und Bannerträger, der Mann, der mit Radek und mit Ihnen, mit dem E.-K., am meisten Schuld hat, daß diese schwächende Taktik, die zu Putschen führt, hier in Deutschland und in West-Europa eingeführt ist, den kämpfenden Mitgliedern, den, trotz ihrer falschen Taktik, wirklich revolutionären der V.K.P.D., mit dem Dolch in den Rücken. Indem Tausende vor den Gerichten standen, denunzierte er sie und ihre Führer. Er ist also nicht nur mitverantwortlich (durch seine Taktik) für den Putsch, sondern auch für die fürchterlichen Strafen. Und ihm schließen sich Däumig, Geyer, Klara Zetkin und – dies ist sehr beachtenswert – die ganze Parlamentsfraktion an *).
Die V.K.P.D. hat einen furchtbaren Schlag erlitten. Und mit ihr ist dat Proletariat West-Europas, die russische Revolution und die Weltrevolution, auch getroffen.
Die V.K.P.D., die einzige „kommunistische“ Massenpartei West-Europas, wird wahrscheinlich wieder zerquetscht werden. Als revolutionäre Partei wird sie wahrscheinlich untergehen.
Die V.K.P.D. war nach Ihren Prinzipien formiert. Und in einem Lande, wo die ökonomische Lage zur Revolution drängt. Und bei dem ersten Stoß, den sie unternimmt, bricht sie zusammen. Und während ihre mutigsten Kämpfer verbluten, erschossen werden, die Gefängnisse füllen, vor die Gerichte geschleppt und zu schweren Kerkerstrafen verurteilt werden, wird ihnen von einem Teil ihrer eigenen Führer in den Rücken gefallen.
Dies ist das Beispiel der V.K.P.D. und Ihrer Taktik.
Sehen wir uns jetzt das Beispiel der anderen Taktik, der K.A.P.D., an.
Die K.A.P.D., die keinen die Massen verwirrenden Parlamentarismus will, und keine alten Gewerkschaften, sondern die Betriebsorganisation, kann nie Ursache haben, für Putschtaktik. Den Putschtaktik ist immer Folge von innerlicher Schwäche. Und innerlich schwach kann die K.A.P.D. nicht sein, weil sie nur Kommunisten aufnimmt, weil die Qualität für sie das Erste ist, weil sie Klassen-, nicht Führertaktik treibt, weil sie Klassen-, nicht Parteidiktatur will. Dadurch ist Putsch bei ihr ausgeschlossen. Die K.A.P.D. hat auch jetzt keine Putschtaktik befolgt. Ihre Taktik beruht auf dem Grundsatz, daß eine Revolution oder eine große revolutionäre Aktion nicht erst von einer Partei oder einem Parteivorstand beschlossen werden kann, sondern erst aus der Situation, d.h. aus dem Kampfwillen der Massen, herauswachsen muß. Ihre Taktik besteht darin, das Proletariat stark zu machen durch Selbtbewußtseinsentwicklung, und seine Kraft zur Revolution zu steigern durch Aufbau der richtigen Kampforganisationen. Und beiden ist nur möglich durch den Kampf selbst, dadurch, daß keiner Aktion ausgewichen wird, die von dem Feind aufgenötigt wird, oder aus den Massen elementar ausbricht.
So hat die K.A.P.D. – im Gegensatz zur S.P.D., U.S.P. und V.K.P.D. – immer gehandelt. Beim Kapp-Putsch, beim Elektrizitätsstreik, bei der russischen Offensive in Polen, bei vielen Aufständen in ganz Deutschland usw.
Bei dieser wirklich revolutionären Taktik ist für willkürlich vom Zaune gebrochene Aktionen kein Raum.
So hat auch jetzt die K. A. P. D. die Aktion erst aufgenommen, nachdem die Aktion der Regierung begonnen hatte.
Und vergleichen Sie jetzt die K.A.P.D. auch in der Aktion mit der V.K.P.D. Die K.A.P.D. war, durch ihre Taktik und Geschlossenheit, so kräftig, daß während der Aktion keine Spaltung stattfand, und daß auch nach der Niederlage in der Versammlung der Funktionäre aus dem ganzen Reiche die größte Einigkeit herrschte. Und ihre Kraft, Genosse, nimmt trotz der Niederlage zu, wie auch diejenige der Arbeiter-Union.
Hier sehen Sie also, Genosse, die Folgen Ihrer Taktik und der Taktik der dritten Internationale und derjenigen der K.A.P.D.
Genosse, es ist nicht Rechthaberei, wenn ich noch tiefer auf diese Sache eingehe. Von ihr, von dieser Frage der Taktik hängt die west-europäische, somit also die Weltrevolution ab.
Sehen wir uns die Besonderheiten, die Einzelheiten Ihrer Taktik, der Taktik der dritten Internationale und diejenige der „Linken“ an.
Ihr wolltet Parlamentarismus. Ihr wolltet Teilnahme an dem Theater, hinter welchem sich der neue deutsche Staat, der Staat der Stinnes und der Orgesch verbirgt, dem Theater, das keine wirkliche Macht hat. Dadurch sind die Arbeiter von den wirklichen Fragen der Revolution abgelenkt, dadurch sind Massen gesammelt (bei den Wahlen), auf die kein Verlaß war und von denen große Teile im entscheidenden Moment versagen mußten; dadurch war die Zerrüttung unvermeidlich.
Wir waren antiparlamentär. Wir wollten nicht den Scheinkampf, sondern den wirklichen Kampf. Dadurch blieb die K.A.P.D. einheitlich und fest.
Ihr wolltet gesetzliche Betriebsräte. Ihr habt diese den deutschen Arbeitern empfohlen, aufgedrängt als Organe zur Förderung der Revolution. Welche Rolle haben diese in der Märzaktion gespielt? Sie haben die revolutionäre Aktion im Stich gelassen und verraten.
Wir wollten revolutionäre Aktionsausschüsse. Und während die gesetzlichen Betriebsräte in der Märzaktion untätig blieben und sie verrieten, sprangen spontan aus den Massen die revolutionären Aktionsausschüsse auf und förderten die Aktion.
Ihr wolltet durch kommunistische Zellen auf die Gewerkschaften einwirken. Was haben die Zellen geleistet? Haben sie die Gewerkschaften vorwärts getrieben? Nichts hat man von ihnen bemerkt, nichts haben sie zustande gebracht. Ja. sie standen oft auf Seite der Gewerkschaftsbürokratie.
Wir wollten die Organisation nach Betrieben und die Zusammenfassung aller Betriebsorganisationen in der Allgemeinen Arbeiter-Union. Weil der revolutionäre Kampf nur in den Betrieben und betriebsweise geführt werden kann.
Und was hat sich in der Märzaktion gezeigt? In den Betrieben, [wo] die [Arbeiter] betriebsweise organisiert waren, ist gekämpft worden. Die Betriebsorganisationen haben den Kampf geführt. Die Betriebe, nicht die Gewerkschaften, haben sich als die Kerne der Revolution bewiesen.
Die Märzaktion hat also bewiesen, daß für die Revolution die Betriebsorganisation notwendig ist.
Die V.K.P.D. hat – (trotz einer Zahl heldenmütiger Kämpfer) durch ihre Taktik (die die Ihrige ist), durch ihren Parlamentarismus und ihre Parlamentsfraktion, ihre Zellen, ihre gesetzlichen Räte die Revolution gelähmt.
K.A.P.D., Union und Betriebsorganisation haben sich vor aller Welt als die Führer der deutschen, d. h. der west-europäischen, der Weltrevolution gezeigt.
Ihr wolltet Organisation, ihr habt das Chaos,
Ihr wolltet Einheit, ihr habt Spaltung,
Ihr wolltet Führer, ihr habt Verräter,
Ihr wolltet Massen, ihr habt Sekten.
Denn ich muß auch noch diese Bemerkung machen:
Genosse, Sie und Sinovieff und Radek und so viele andere der dritten Internationale, sagten ein mal, daß die Taktik der K.A.P.D. nur zur Sekten-Bildung führen könnte.
Untersuchen wir das einmal! Sehen wir zu!
Die V.K.P.D. hat, wie sie sagt, 500.000 Mitglieder. Aber sie selbst sagt auch (auf ihrem Kongress) und jedermann weiß es, daß die große Mehrheit keine Kommunisten sind. Nehmen wir trotzdem an, die Hälfte sei kommunistisch. Dann gibt es also durch Ihre Taktik, und durch diejenige der dritten Internationale, unter den 9 Millionen deutscher Gewerkschaftler 250.000 Kommunisten.
Und wieviele gibt es jetzt in der Union, die nach den Prinzipien der K.A.P.D. geformt ist?
Auch 250.000.
Also hätte unsere Taktik, nach diesen Ziffern bemessen, gerade soviel zustande gebracht als die Ihrige!!
Also nicht einmal in diesem Punkte der Zahl hat Ihre Taktik Recht.
Der Unterschied ist nun der:
Erstens sind V.K.P.D. und Zellenbau mit ungezählten Millionen Mark geschaffen, in Zeitungen, Organisationen, Propaganda etc. Die K.A.P.D. und die Union mit keinem Pfennig.
Zweitens sind die V.K.P.D. und ihre Zellen jetzt zerrüttet, die K. A. P. und die Union blühend und in stetigem Wachstum. Die V.K.P.D.und die Zellen leiden an innerlichem Verrat, die K.A.P. und Union wachsen durch Solidarität und Einheitlichkeit.
Die Wirklichkeit hat uns also die Erfahrung gebracht, von welcher Seite wir sie auch anschauen:
Die Märzaktion des deutschen Proletariats hat jedem deutschen Arbeiter deutlich gezeigt — und ich hoffe, daß die ganze Internationale es sehen wird — : Ihre Taktik und die des Exekutiv-Komitees und der dritten Internationale bringt Zerrüttung und Niederlage, die der „Linken“ Einheit und Kraft.
Der dritte Kongress der dritten Internationale muß jetzt ihreTaktik ändern.
Genosse Lenin, die Richtigkeit Ihrer Taktik in Rußland erkennen wir vollauf an, und ich persönlich möchte Ihnen sagen, daß ich glaube, daß, wenn einmal die Geschichte Ihre revolutionäreTaktik übersehen wird, sie zum Beschluss kommen wird, daß diese immer großartig und die best mögliche war. Nach meinem Urteil sind Sie nach Marx und Engels unser erster großer Führer.
Aber das schließt nicht aus, daß Sie über die Taktik für West-Europa im Irrtum sind.
Wir wenden uns zum deutschen Proletariat und rufen ihm zu:
Wenn Ihr wirklich, mit Kopf und Herz, einseht, daß die „Linke“ Recht hat, und wenn Ihr wirklich bereit seid, auf „ihre“ Weise zu kämpfen, so verlaßt die V.K.P.D. und alle alten parlamentarischen Parteien und Gewerkschaften, und schließt Euch der Union und der K.A.P.D. an. Und dem ganzen west-europäischen, dem Weltproletariat rufen wir zu, unserer Taktik zu folgen.
*) Trotzdem die Genossen der V. K. P. D., die wirklich den Kampf geführt haben, uns natürlich viel sympathischer sind, als der Meuchelmörder Levi und A., müssen wir doch mit dem größten Nachdruck betonen, daß beide zusammen gehören. Parlamentarismus in der Revolution und Putschtaktik sind eine Sache, und es macht nicht viel aus, daß der eine mehr das erste, der andere das zweite betont. Die wirklichen Revolutionäre aus der V. K. P. D. müssen sich ändern und zur Betriebsorganisation und Antiparlamentarismus übergehen.
Quelle: http://aaap.be/Pdf/Proletarier/Proletarier-1-1920-05.pdf
Transkription: F.C., November 2018
G.I.K. (Holland) Thesen zu revolutionären Betriebskernen, 1931
I. ZIEL
1. Die revolutionären Betriebskerne machen in den Betrieben Propaganda für den Sturz des kapitalistischen Produktionssystems und für die Einleitung der Produktion für Bedürfnissen auf der Grundlage der Assoziation freier und gleicher Produzenten: Verwaltung und Führung in den Händen der Arbeiter selber durch ihren Betriebsorganisationen und Räten.
2. In diesem Kampf kann die Arbeiterklasse nur siegen, wenn sie als von den Arbeitern selbst geführten Aktionen als Einheit gegen die gewaltige Wirtschaftsmacht der Bourgeoisie (Trusts, Monopole) und ihre politische Macht (den Staat) agieren. Der Klassenkampf selbst ist eine Nahrungsgrundlage, von der diese Einheit in Willen, Denken und Handeln aufwächst, um der Bourgeoisie die Produktionsmittel zu entnehmen und ihren Staat zu zerstören. Das Aufsteigen zu dieser Einheit ist der wesentliche Inhalt der bevorstehenden Klassenbewegungen.
3. Die Zerstörung des Staates ist die Realisierung der Prinzipien der Kommune von Paris (1871). Die ‚Zerschlagung‘ des Staates ist die Abschaffung des alten arbeiterfeindlichen Beamtenapparats und der militärisch-bürokratischen Kaste der Bourgeoisie, die als Agenten der Bourgeoisie über die Massen herrschen.
Die ‚Zerschlagung‘ des Staates liegt in dem ‚Stellen der Verantwortung aller Funktionäre nach unten‘. So wie die Arbeiter ihre Organisationen beherrschen sollen, so wie die Funktionäre der Organisationen nichts Anderes sein sollen als die ‚Exekutive‘ des Willens der Arbeiter und daher nach unten verantwortlich, so sollen die Funktionäre in der Gesellschaft nichts Anderes als den Willen der Arbeiter implementieren. Dies ist nur möglich, wenn die Arbeiter selbst, durch ihre Betriebsorganisationen und Räte, das Recht um die Funktionäre zu bestellen und ab zu berufen für sich behalten. Alle allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen und allgemeinen Maßnahmen sind dann die Aufgabe der Räte-Organisation, die aus den Betriebsorganisationen hervorwächst. Damit ist dann der eigenmächtige, von den Massen abgeschlossenen und über den Massen herrschenden Beamtenapparat aufgehoben und sind die gesellschaftlichen Funktionen zu einem lebendigen Teil der Massen, sind das Management und die Verwaltung des gesellschaftlichen Lebens den Massen selbst übergeben.
II. DER BEVORSTEHENDE KAMPF
1. Die Position der revolutionären Betriebskerne im praktischen Klassenkampf wird voll unterstützt durch das Prinzip der proletarischen Revolution. Die Führung und Verwaltung aller sozialen Ereignisse muß in den Händen der Arbeiter liegen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die alte Diskussion, ob revolutionäre Arbeiter Lohnstreiks – als reformistisch – ablehnen sollen, oder sie unterstützen müssen, in einem neuen Licht. Aus diesem Blickwinkel ergibt sich, daß die Frage falsch gestellt ist und daher die richtige Antwort nicht gegeben werden kann.
Das Wesentliche der bevorstehenden Klassenbewegung ist der Umwälzungprozess zur selbständigen Umsetzung dessen, was in der Arbeiterklasse selbst lebt, die Entwicklung des Selbstbewußtseins und des Selbsthandelns. Die revolutionären Betriebskerne versuchen daher immer, dieses ‚Prinzip der Kommune von Paris‘ in allen Bewegungen der Arbeiter durch zu führen. Der Inhalt dieser Bewegungen, betreffen sie nun Arbeitslöhne oder andere Forderungen, kann von den revolutionären Betriebskernen nicht bestimmt werden. Deshalb sind diese Kerne kein Ersatz der alten Gewerkschaftsbewegung: Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen ist überhaupt nicht ihre Funktion.
2. In diesem Kampf um die ‚eigene Führung‘ wird die Arbeiterklasse alle alten Arbeiterorganisationen gegenüber sich finden. Der Grund dafür ist die Tatsache, daß in all diesen Organisationen das bürgerliche Verhältnis von Führern zu Massen dominiert. Oben steht die Führung, die den Inhalt bestimmt, vor allem aber den Verlauf der Bewegungen. Diese Organisationen haben einen Beamtenapparat entwickelt, der von der Masse der Mitglieder getrennt ist und ein unabhängiges Leben führt. Die Verantwortung der verschiedenen Beamten geschieht niemals ‚nach unten‘, sondern immer ‚nach oben‘. Das Recht Beamte zu ernennen und zu entlassen, liegt nicht bei den Massen, sondern liegt in den höheren Regionen, die alle Funktionen des Organisationsapparats von Personen einnehmen lassen, die sie für ihre Führerpolitik für angemessen halten. Die Organisation der alten Arbeiterbewegung zeigt somit dieselben Eigenschaften wie der Staat. Deswegen gleicht das Zerstören des Staates das Zerschlagen dieser Organisationen. Daher widersetzen sie sich bis zum Äußersten (und mit dem Maschinengewehr) gegen eine proletarische Revolution, genau so wie die Bourgeoisie. Deshalb findet die Bourgeoisie in der alten Arbeiterbewegung ihre stärkste Unterstützung gegen eine proletarische Revolution.
3. Aus dieser Situation ergibt sich, daß es keinen bedeutenden Unterschied gibt zwischen dem Kampf für die unmittelbare Durchführung der proletarischen Revolution und dem praktischen Klassenkampf, der sich um den Arbeitslohn bewegt.
Der Kampf um die Prinzipien der „eigenen Führung“ in jeder Bewegung der Arbeiter ist im Wesentlichen ein Kampf um den Kommunismus selber.
III. DER ‚WILDE STREIK‘
1. Die Gewerkschaften sind eines der wichtigsten Stützpunkte der Bourgeoisie gegen die proletarische Revolution. Völlig festgelaufen in der Zusammenarbeit zwischen Kapital und Arbeit durch Tarifverträge, sind sie vollständig mit dem Kapitalismus verschmolzen. Nicht in der Lage, mit den Berufsverbänden den Kampf gegen den modernen Trust und Monopolkapitalismus an zu gehen, können sie nicht einmal daran denken, der Verarmung der Arbeiterklasse entgegenzutreten, ohne ihre eigene Organisation aufs Spiel zu setzen. Und wo die Arbeiter selbst in Bewegung kommen, um den Kampf gegen das Kapital an zu gehen, schließen sie [i.e. die Gewerkschaften] sich direkt der Seite der Unternehmer an, weil diese Bewegung für sie ebenso gefährlich ist wie für die Bourgeoisie.
Diese Bewegungen, die aus den Arbeitern selber entstehen, zeigen sich fast immer (wie die Praxis selbst bereits lehrte) in Form von ‚wilden‘ Streiks. Die Gewerkschaften brechen diese wilden Streiks sofort, wozu sie nach Umständen verschiedene Methoden anwenden. Das für sie vorteilhafteste Verfahren ist die Übernahme der Führung des Streiks, wonach sie mit den Unternehmern einen Vertrag angehen und den Streik einfach aufheben. Wenn dies nicht direkt gelingt, verpflichten sie ihre Mitglieder zu Streikbrechung.
2. Es ist sehr wichtig, den Verlauf dieser wilden Streiks zu untersuchen. Und, fragen wir uns ernsthaft nach dem Ende der Bewegung, welche Methode die beste Wirkung hatte, die ‚Beratungen‘ der Gewerkschaften im Vorstandsraum oder der wilde Streik, von einem Streikkomitee der Arbeiter geführt, dann hat die Praxis gezeigt, daß beide meist in eine Niederlage endeten. Der wilde Streik brach nach einiger Zeit zusammen, wozu die Manipulationen der Gewerkschaft nicht wenig beitrugen, die kein Mittel ausschloß um die Niederlage der Arbeiter zu erwirken.
Trotzdem liegt hierin nicht die wahre Ursache der Niederlage. Der Hauptgrund ist, daß der wilde Streik sich immer noch in der allerersten Phase seiner Entwicklung befindet. Mit dem klaren Bankrott der Gewerkschaftsbewegung machen die Arbeiter erst den ersten Schritt zu selbständigem Handeln. Aber vorerst bleiben sie noch innerhalb der alten Schranken der alten Gewerkschaft, in soweit es den ‚begrenzten‘ Streik betrifft. So wie die Gewerkschaften es ein einziges Mal noch mal machen, bringen sie ein Teil einer bestimmten Industrie zum Stillstand, um das Kapital zu Zugeständnissen zu zwingen. In einigen Fällen mag dies ein Erfolg sein, im Allgemeinen führt das jedoch, insbesondere bei größeren Konflikten, zur Niederlage, wie bei den Gewerkschaften. Die ‚eigene Führung‘ ist also absolut kein Wundermittel, das den Sieg sichert. Die Sache ist diese, daß kein begrenzter Streik (der sich rein auf einen bestimmten Geschäftszweig beschränkt) in der gegenwärtigen Zeit des Trustkapitalismus etwas gegen die Bourgeoisie ausrichtet.
Die Bonzokratie der Gewerkschaftsbewegung weiß das sehr gut und deshalb fängt sie nicht damit an.
3. Die revolutionären Betriebskerne haben daher die Aufgabe die ‚Berufsfront‘ in einer ‚Klassenfront‘ umzuwandeln; sie müssen sich darum bemühen, daß jeder Streik sofort auf andere Geschäftszweige überspringt. Diese Streiktaktik ist nur möglich, wenn die Gewerkschaften von der Streikleitung ausgeschlossen werden, weil die Gewerkschaft dazu unwillig und machtlos ist. Sie ist unwillig, weil ihr Apparat ganz auf ‚Konsultationen‘ zwischen Arbeit und Kapital ausgerichtet ist. Sie ist machtlos, weil sie durch die Kollektivverträge gefesselt ist und im Zuge einer Ausweitung der Bewegung sofort in illegales Territorium gelangt, so daß seine Besitztüme in Gefahr sind.
IV. BETRIEBSORGANISATION UND BETRIEBSKERN
1. Die revolutionären Betriebskerne konzentrieren ihre Aktivität darauf, daß die Belegschaften als ein Mann, unabhängig von jeder Partei oder Gewerkschaft vorgehen. Sie fordern die Personale auf sich nicht spalten zu lassen, nach dem spalterischen Geist der verschiedenen Diplome, sondern daß sie gemeinsam ihre Haltung im Kampf bestimmen.
So muß jeder Arbeiter individuell zwischen Partei- oder Gewerkschaftsdisziplin und Klassensolidarität ringen. Gewinnt die Klassensolidarität, wodurch die von der Bourgeoisie ererbte Führerpolitik besiegt ist, dann tritt an deren Stelle ihre eigene, proletarische Klassenpolitik.
2. Wenn die Arbeiter, auf diese Weise organisiert, den Kampf angehen, sind sie nach Betrieb organisiert, dann bilden sie in diesem Moment eine Betriebsorganisation, die eine richtige Klassenorganisation ist. Diese Betriebsorganisationen führen den Kampf; Sie entscheiden über den Kampf in den Streikkomitees, verhandeln eventuell mit den Unternehmern und beenden den Kampf selbst.
3. Diese Klassenorganisationen sollen nicht mit den Betriebskernen verwechselt werden. Der Kern ist nicht der Vertreter der Klasse: er wurde nicht als solcher gewählt und kann daher nicht die Führung des Streiks übernehmen. Soweit Mitglieder eines Betriebskerns einen Sitz haben in der Streikführung, sind sie dort nur als vom Personal als solche angewiesene Arbeiter.
4. Am Ende eines Kampfes fällt die Betriebsorganisationen auseinander, weil die Arbeiter nicht mehr als eine betriebliche Einheit nach außen auftreten: Die Arbeiter werden größtenteils aufs Neue durch die Partei- und Gewerkschaftsdisziplin in verschiedene Kategorien gespalten. Was stehen bleibt, ist der revolutionäre Betriebskern, der immer bereit steht an das Klassengefühl zu appellieren.
5. Die Betriebsorganisation als Ausdruck der Einheit der Arbeiterklasse wird daher vor der Revolution immer wieder verschwinden und neu auftauchen um erst am entscheidenden Wendepunkt der Machtverhältnisse die permanente Organisationsform der Arbeiter zu sein. Die Arbeiter agieren dann unabhängig von jeder Partei oder Gewerkschaft als Produktionseinheit, und errichten über ihr Beziehungsnetz die Assoziation freier und gleicher Produzenten.
1931.
Ursprünglich geschrieben als Beitrag der GIK für den Kongress der anarchistischen Alarm-Gruppe in Den Haag. Nachher bis 1940 mit den Thesen über Partei und Diktatur verbreitet als Broschüre der GIK unter den Titeln „An alle revolutionären Arbeiter!“ und „Thesen zu revolutionären Betriebskernen, Partei und Diktatur“, alles in niederländischer Sprache.
Niederländische Originalfassung: http://www.aaap.be/Pdf/Pamphlets-GIC/Stellingen-Revolutionaire-Bedrijfskernen-1.pdf
[…] Frei Gewerkschaften, die SPD, die USPD und letztlich die KPD (besonders nach dem sie das Bielefelder Abkommen mit unterzeichnet hatte) abgetan […]
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[…] Siehe Ein Brief des Genossen Pannekoek, Juli 1920, und weiter Roi Ferreiro On unionism and its revolutionary […]
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[…] See A Letter from Comrade Pannekoek, July 1920, and further Roi Ferreiro On unionism and its revolutionary […]
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