Ist die Verteidigung Afrins proletarischer Internationalismus?

Rostock2

Die türkische Invasion in Nord-Syrien, mit dem erklärten Ziel die kurdische YPG von der türkischen Grenze zu vertreiben, hat verschiedene Reaktionen hervorgerufen von Organisationen die sich auf den Anarchismus, Sozialismus oder Kommunismus berufen. Im Allgemeinen wird die türkische Invasion verurteilt und werden „die Kurden“ verteidigt. Die bekannten links-bürgerlichen Gruppen haben nach schon jahrzehntelang verwendeten Mustern reagiert um zu entscheiden an welcher Seite der Kriegsfront sie an den imperialistischen Massakern teilnehmen werden. Das ist nichts Neues. Aber in diesem Fall sehen wir, daß Gruppen und Personen, die sich an der kommunistischen Linken orientieren1, von links-bürgerlichen Positionen beeinflußt werden. Sogar Gruppen, deren Vorgänger im Zweiten Weltkrieg den proletarischen Internationalismus verteidigten, haben es jetzt schwer den Kampf der Arbeiter gegen den imperialistischen Krieg in Stellung zu bringen. Wie wir sehen werden, hat dies zum Teil mit einer mikroskopischen Sicht auf Rojava zu tun, dem Mikrokosmos eines vermeintlichen „Sozialismus in einer Provinz“.

Aber abgesehen von dem was ich als Illusionen über Rojava betrachte, ist die problematische Position des gegenwärtigen schwachen linkskommunistischen Milieus zum Teil auch das Resultat von Verwirrung infolge der wechselnden imperialistischen Bündnisse zwischen den Staaten. Dieses Phänomen ist nicht auf eine bestimmte Region beschränkt. Der Wechsel der Allianzen wiederholt sich immer mehr. Dies führt nicht nur bei den bürgerlichen Linken zu Verwirrung, sondern auch bei linkskommunistischen Gruppen. Wer den Wald nicht mehr erkennt, ist leicht dazu verführt, mit Blick und Aktion einem einzelnen Baum (oder einigen wenigen) verhaftet zu sein.

Seit der Implosion der Sowjetunion ist die Welt nicht mehr in zwei abgegrenzten Staatenblöcke unterteilt. Die gegenwärtige Tendenz zu immer mehr wechselnden Allianzen zwischen Staaten bringt die bürgerlichen Linken in Verlegenheit. Die Feinde von gestern sind die Freunde von heute. Diejenigen, die so eben noch als aggressive imperialistische Täter bezeichnet wurden, sind durch den Partnertausch von einer Partei, die bis dahin im Krieg unterstützt wurde, zum Feind geworden. Diejenige, die die Vereinigten Staaten als den größten Imperialisten und damit als Erzfeind angesehen haben, entdecken jetzt, daß dieser Erzfeind die türkische Invasion kritisiert. Auf der anderen Seite ergibt sich, daß Putins Russland (für einige bürgerliche Linke der legitime Nachfolger der “sozialistischen“ Sowjetunion oder des „bürokratisierten Arbeiterstaates“, der daher verteidigt werden soll) die ‘faschistische‘ Türkei Erdogans unterstützt bei deren Versuch… die USA aus Syrien zu vertreiben und dabei die kurdische YPG auszuschalten. Und dann die mittelgroßen Mächte, zum Beispiel Deutschland, das sich weiter hinter seinem mehr als hundert Jahre alten Bündnis mit der Türkei stellt. Erstens um das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei nicht aufs Spiel zu setzen, und zweitens um längerfristig sein Einfluß im Nahen Osten, über Staaten wie die Türkei und den Iran, gegen die USA auszuweiten. Die wechselnden Fronten zeigen auch peinlich versteckte Allianzen. Die Kurdische YPG sucht nach der türkischen Invasion Zuflucht bei Assad, wodurch ihr stillschweigender Nichtangriffspakt mit dem grausamen Herrscher von Syrien ins grelle Tageslicht rückt.

Man erwarte in diesem Artikel keine vollständige Analyse der imperialistischen Spannungen im Nahen Osten.2 Die obigen Beispiele mögen klarstellen, daß eine ernste Position nicht auf einer mikroskopischen Sichtweise nur eines Staates oder eines kleinen Teils der beteiligten Staaten und ihrer Interessen beruhen kann. Es ist notwendig, jeden Konflikt im breiteren Kontext der sich verändernden und wechselhaften Allianzen zu verstehen, die die kleinen, mittleren und großen imperialistische Räuber unter- und gegeneinander eingehen. Dies ist die einzige Methode mit der die Arbeiterklasse verstehen kann, daß sie als eine Klasse angegriffen wird, und daß sie die imperialistischen Kriege nur beenden kann, indem sie ihre Kämpfe über die Grenzen hinweg vereint und gegen alle imperialistischen Staaten richtet, einschließlich gegen jene Bewegungen die imperialistisch werden wollen.

1. Die Blindheit zu Rojava

Bei weitem die meisten Anarchisten und Anarcho-Syndikalisten basieren ihre Analyse des Krieges auf… Prinzipien. Auf der Grundlage von hohen Idealen wie Frieden, Freiheit und Gleichheit greifen Anarchisten, abgesehen von einigen Ausnahmen, oft Partei für diejenige Kriegsteilnehmer, die diesen am nächsten kommen. Im Konflikt zwischen der Türkei und der YPG-PYD sind es besonders die kommunalistischen und feministischen Ideale des großen Führers Öcalan, die die Anarchisten in überwältigender Mehrheit dazu bringt sich für die ‘Rojava‘-Partei der mit der türkischen PKK verbundenen YPG-PYD zu entscheiden. Diese idealistische Methode ignoriert die harte Realität die in Rojava herrscht, die Persistenz von Patriarchalismus, das Weiterbestehen von Klassen und Ausbeutung, insbesondere die Verwendung von kurdischen Proletariern (“Hurra, auch Frauen!“) als Kanonenfutter in den imperialistischen Konflikten, an denen die YPG-PKK jeweils teilnehmen, in der Hoffnung ihr Territorium zu erweitern und schließlich einen Kurdenstaat zu bilden (unter einem anderen Namen, falls erforderlich). Die meisten Gruppen der kommunistischen Linken haben seit langem den Mythos von Rojava3 erledigt. Davon unbehindert, glauben einige Gruppen die sich völlig oder teilweise auf den Marxismus und auf die kommunistische Linke berufen, immer noch, begeistert oder zweifelnd – mit vielen ‘wenn und aber’ – an das Ideal von Rojava.

In Deutschland betrifft dies den Rätekommunistischen ArbeiterInnenbund” (RKAB) und die „Freundinnen und Freunde der Klassenlosen Gesellschaft“. Einige Marxistisch-Humanisten in den Vereinigten Staaten kommen auf andere Weise zu einer ähnlichen Verteidigung Rojavas. Weiter in diesem Text werden wir sehen, wie mit einem „dialektischen“ Knicks im Kampf der „Völker“ und „Sektoren“ die Möglichkeit einer revolutionären Wende gesehen wird.

a) Der Rätekommunistische ArbeiterInnenBund (RKAB)

Am 29. Januar teilt der RKAB auf Facebook, unter Fotos von Demonstranten – teils in Militär-uniformen – die YPG-Fahnen und Porträts von Öcalan tragen, folgenden Beitrag von „Bad Kids Rostock“:

„Mit zwei Aktionen machten am Samstag unzählige Menschen in Mecklenburg-Vorpommern auf die Situation im Nordsyrischen Afrin aufmerksam und verurteilten den türkischen Angriffskrieg gegen die dortige Bevölkerung und die deutsche Beihilfe zum Morden. An der Demonstration in Rostock nahmen rund 400 Personen teil – Hoch die internationale Solidarität!“

Am 28. Januar wurde der folgende Anruf auf die gleiche Weise verbreitet:

„NATIONALISMUS IST KEINE ALTERNATIVE.

Alerta Antifascista! Deutschland ist am Krieg des faschistoiden Erdogan-Regimes gegen die Selbstverwaltung in #Afrin federführend beteiligt. Deutsche Waffen werden an die türkische Armee geliefert, deutsche Polizisten gehen gegen die kurdische Bewegung hierzulande vor. Erst heute wurde eine Demonstration von über 30.000 Menschen in Köln gegen den Krieg in Afrin von der Polizei aufgelöst – weil „verbotene Fahnen“ gezeigt wurden. Verantwortlich dafür ist nicht zuletzt die #SPD, deren Außenminister Waffenexporte genehmigt hat und der den Deal mit Erdogan weiter aufrecht erhält. Dafür gab es in den letzten Tagen in Hamburg, Leipzig, Hannover, Bielefeld, … bereits Besuche von AktivistInnen bei örtlichen SPD-Büros. Es dürften nicht die letzten gewesen sein“.4

Wer solche Anrufe ohne Kommentar verbreitet, stimmt deren Inhalt offenbar zu. Der Gebrauch von verhüllender Sprache wie „dortige Bevölkerung“, „Selbstverwaltung in Afrin“ und „kurdische Bewegung“, verhindert nicht – wie sich aus den hier gezeigten Bildern zum Bericht von der Demo ergibt – daß das Befolgen des Aufrufs sich herausstellte als ein Mitlaufen hinter den Symbolen der YPG, zusammen mit uniformierten „Kämpfern“ und mit von der PKK im kurdischen Nationalismus eingefangenen Proletariern.

Ich stelle beiläufig fest, daß diese Aufrufe auch Mystifikationen enthalten, die aus zwei Weltkriegen bekannt sind, sowie eine spezifisch deutsche Täuschung. Im 2. Teil dieses Artikels wird näheres zu diesen Täuschungen gesagt werden. Zunächst untersuchen wir die Art und Weise, in der der Mythos Rojava verschiedene Gruppen negativ beeinflußt.

b) Kosmoprolet

Kosmoprolet fungiert als Veröffentlichung des Zirkels „Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft“, unter dessen Namen auch Gruppen in der Schweiz, Berlin, Hamburg, Frankfurt und Freiburg5 tätig sind. Diese Gruppen appellieren allgemein an Anarchismus, Rätekommunismus und linken Kommunismus. Darüber hinaus sind Einflüsse von Autonomismus und von „Kommunisierung“ nach Gilles Dauvé erkennbar. Der Rojava-Mythos hat einen starken Einfluß auf das Milieu dieser Art von Gruppen. Es ist an sich zu begrüßen, daß Kosmoprolet am 27. Januar unter dem Titel „Die PKK, Rojava und der Islamischer Staat“ eine Rezension von vier Texten6 zu diesen Themen veröffentlicht, die es, der kurzen Einleitung nach, für linkskommunistische Kritiken an der PKK hält. Es fällt mir dabei auf, daß von den Autoren dieser Texte kaum behauptet werden kann, daß sie sich auf den historischen Linkskommunismus stützen, wie die KAPD in Deutschland und die GIC in den Niederlanden, oder die italienische kommunistische Linke um Bordiga und Damen. Die Rezension scheint als Diskussionstext gedacht zu sein, in dem Sinne, daß sie anscheinend keine Position bezieht. Der folgende Auszug aus der Einleitung zeigt, daß die Aktualität des türkischen Angriffs diese verzögerte Diskussion eingeholt hat und daß eine klare Stellungnahme angemessener gewesen wäre:

„Aktuell bedroht die mit deutschen Waffen unterstützte Militäroperation der Türkei die kurdischen Gebiete um Afrin. (…). Unabhängig von der Einschätzung der kurdischen Selbstverwaltungsversuche, muß sich eine radikale Linke im Rüstungsexportland Deutschland die Frage stellen, was Antimilitarismus und Solidarität unter aktuellen Bedingungen heißen kann.“

Der Text selbst zeigt jedoch keine von der Einschätzung der Bedeutung von Rojava unabhängige Position. Nach einer Darstellung mit vielen einerseits, andererseits, und ja, aber in Bezug auf Rojava, folgt ein Vergleich mit dem Islamischen Staat, der als „konterrevolutionär“ bezeichnet wird.7 In der Praxis der Kampagnen in Deutschland bezüglich der türkischen Invasion bedeutet dies für viele Leser eine Wahl zu treffen: für ‚Rojava‘. Der Autor geht aber noch weiter. Er hält es im gegenwärtigen welthistorischen Kontext für wahrscheinlich, daß sich Phänomene wie IS („Export des Terrors“) und Rojava („das Gegenmodell, abhängig von ausländischer Unterstützung“) wiederholen werden. Seinen Worten nach macht der Pro-Feminismus der Frauenguerilla der YPG den Unterschied ums Ganze”. Das ist sicherlich nicht falsch, aber in einem gegenteiligen Sinne zur Meinung des Autors. In der gegenwärtigen Situation fallen zunehmend größere Teile der Weltbevölkerung imperialistischen Kriegen zum Opfer. Im Artikel in Kosmoprolet werden diese Kriege und die ihnen zugrunde liegenden Mächte nur beiläufig behandelt, insbesondere in Hinblick auf die „Verteidigung“ der Kurden. Im „welthistorischen Kontext“ gibt es keine „Gegenmodelle“. Immer mehr Proletarier werden in bewaffnete Banden eingegliedert, um sich anschließend gegenseitig für die Interessen ihrer Ausbeuter abzuschlachten. Deshalb ist es von größter Bedeutung, die Märchen sowohl des IS wie der YPG-PKK zu entlarven als imperialistische Kriegsideologien, statt mit vielen einerseits, andererseits diese Frage zu umgehen.

c) The International Marxist-Humanist

Auf der Website „The International Marxist-Humanist“ wurden zwei Artikel über die türkische Invasion in Syrien veröffentlicht. Dies ist die Website der International Marxist Humanist Organization (IMHO), die 2013 gegründet wurde. Marxistischer Humanismus ist eine amerikanische internationalistische Bewegung, die sich auf das Werk von Raya Dunayevskaya8 basiert. Andere marxistisch-humanistische Organisationen sind News & Letters Committees (NLC) und deren Abspaltung, Marxist-Humanist Initiative (MHI). Von diesen drei Gruppen hat bisher nur IMHO über die türkische Invasion in Syrien berichtet, obwohl begeisterte persönliche Berichte über Rojava in News & Letters zu finden sind. Die zwei Artikel über den Afrin-Konflikt sind im Namen der CPRSJ, der Koalition für Frieden, Revolution und soziale Gerechtigkeit, veröffentlicht worden, einer Plattform lokaler Zweigstellen (Los Angeles oder Kalifornien) von verschiedenen Organisationen, einschließlich der IHMO. Die Zitate aus einer Rede und einem auf dieser Plattform veröffentlichten Artikel, übernommen von „The International Marxist-Humanist“, sollten daher nicht einfach der IHMO, geschweige denn anderen marxistisch-humanistischen Organisationen zugeschrieben werden. Aber sie widersprachen dieser Position auch nicht.

Ein Aufruf der CPRSJ vom 21.1-2018 endet wie folgt:

„Obwohl die Rojava-Revolution ihre Widersprüche hat, wie sie in diesen Beziehungen zwischen den Kurden und den amerikanischen und russischen Imperialisten gesehen werden – Verbindungen, die jetzt zu brechen scheinen – müssen wir Afrin verteidigen! Die Errungenschaften und Hoffnungen der Rojava-Revolution, einschließlich demokratischer Selbstverwaltung, Feminismus und Kommunalismus, hängen davon ab! Wir müssen Erdoğan widerstehen, einem neoliberalen Autoritärer, der davon träumt, das Osmanische Reich durch den Genozid der Kurden wiederzubeleben!.

Wir rufen alle Menschen mit Gewissen auf, Aktionen gegen diese mörderische Militäraktion zu unterstützen, die von diasporischen kurdischen Gemeinschaften und / oder Eildemonstrationen vor türkischen Konsulaten und Botschaften weltweit sowie in der Türkei selbst organisiert wird. In Los Angeles unterstützt die Koalition für Frieden, Revolution und soziale Gerechtigkeit (CPRSJ) heute um 13 Uhr eine Notaktion vor dem Bundesgebäude in Westwood.”9

Während dieser Protestkundgebung hält Ali Kiani eine Rede, von der auf den Seiten der CPRSJ und der IHMO eine Zusammenfassung veröffentlicht wurde, aus der ich in Hinblick auf den Rojava-Mythos folgendes zitiere:

(…) eine multi-ethnische und demokratische Bewegung von auf Befreiung ausgerichteten Frauen aus einer Basisorganisation, die in Rojava Wurzeln schlug (…).
(…) die demokratische feministische alternative Form der Selbstverwaltung im Nahen Osten (…)
(…) Das Mindeste, was wir tun können, ist Solidarität mit den fortschrittlichen, multi-ethnischen Menschen Nord-Syriens für die zukünftige Möglichkeit einer demokratischen Alternative im Nahen Osten, basierend auf Gerechtigkeit und Freiheit, die sich entwickeln könnte zu einer antikapitalistischen humanistischen Alternative. Das kurdische Volk Afrins kann nur auf die internationale Solidarität und die Kameradschaft der fortschrittlichen Kräfte zählen, die eine antikapitalistische Alternative anstreben.10

Im Namen der selben „Ideale“, die Anarchisten als Blickwinkel ihrer ‘Analyse‘ betrachten: Gerechtigkeit, Freiheit, Frauenbefreiung, Demokratie (Achtung, nicht proletarische Demokratie), Humanismus und Fortschritt, wird hier Partei ergriffen für die Verteidigung eines Volkes auf dem selben Grund der ideologischen Verkleidung der Herrschaft der YPG-PYD-PKK über das kurdische „Volk“, den Kommunalismus. Der Unterschied zum Anarchismus und seinen Anhängern besteht darin, daß Marxistische Humanisten sich an eine „Dialektik“ wenden, die von Bewegungen unterdrückter Völker und Minderheiten wie Afroamerikanern und Frauen ausgehen würde. Dazu spielt auch eine Rolle, daß diese Bewegung trotz ihrer Anbetung Rosa Luxemburgs, das Selbstbestimmungsrecht der Nationen Lenins angenommen hat. Ich werde hier meine Kritik an diesen Prinzipien des Marxistischen Humanismus nicht wiederholen, doch verweise kurz auf die in Anmerkung 8 erwähnten Artikel. Stattdessen wenden wir uns vom Mythos Rojava zu einigen klassischen Rechtfertigungen der Beteiligung an imperialistischen Kriegen, die sich auch in der „Verteidigung von Afrin“ durch einige Marxistisch-Humanisten wiederfinden.

2. Klassische Rechtfertigungen der imperialistischen Kriegsbeteiligung

In Folge der Ereignisse seit dem Einmarsch der Türken in Syrien haben einige Gruppen, die sich bis dahin internationalistisch gebärdeten, ihren Weg verloren. Diese Gruppen verurteilen im Allgemeinen nicht die Supermächte, oder nicht alle Supermächte die in diesem Konflikt die Fäden ziehen (wie die USA, China und Russland) als imperialistisch. Sie haben auch nicht alle aufstrebende regionalen imperialistischen Mächte im Blickfeld (die Türkei, den Iran, Saudi-Arabien) oder die Staaten, innerhalb deren Grenzen der Krieg stattfindet (Syrien, Irak, der jetzt ausgeschaltete IS), sowie ihre Komplizen (YPG, Freie syrische Armee, etc.). Stattdessen stellt man sich auf eine Seite des inter-imperialistischen Kampfes und versteht nicht, daß man so am imperialistischen Krieg teilnimmt. Sie wollen das kurdische „Volk“ verteidigen, in Wirklichkeit verteidigen sie die YPG, die offenbar ohne Bezahlung ihres Soldes durch die Vereinigten Staaten entlassen wurde. Anstatt die „deutschen“, „türkischen“, „kurdischen“ usw. Arbeiter unabhängig von „ihrem Vaterland“ zum Klassenkampf aufzurufen um sich von der Herrschaft „ihrer“ Kapitalistenklasse zu befreien, werden diese Gruppen vom Sirenengesang eines Verteidigungskrieges, zur Hilfe für „unterdrückte Völker“ und – speziell in Deutschland – zu einem unverstandenen Kampf gegen die „eigene“, die deutsche Bourgeoisie verführt. Unter dem Motto „Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde“ werden die „Kurden“ (in Wirklichkeit die YPG) von den Feinden meiner Feinde – Deutschland und die Türkei – zu Freunde dieser verirrten Gruppen. Die Tatsache, daß die türkische Invasion in Syrien auch mit einem Kampf zwischen Russland (zunehmend in einer Achse mit China vereint) und den USA zu tun hat, wird dabei oft aus den Augen verloren. Verwirrt von den wechselnden imperialistischen Bündnissen werden diese Gruppen oft von Kurzsichtigkeit befallen, und sehen nicht einmal, daß sie in ideologischen Rechtfertigungen für Kriegsteilnahme gefangen sind, daß sie nicht nur in einem lokalen Konflikt Partei ergriffen haben für einen kleineren Imperialismus oder einen aufstrebenden, zukünftigen Imperialismus, sondern daß sie auch Stellung bezogen haben im Kampf zwischen mittelgroßen imperialistischen Mächten und zwischen den Supermächten.

Diese Probleme sind nicht neu. Die Entscheidung proletarischer Organisationen für oder gegen die Teilnahme am imperialistischen Krieg, für oder gegen die proletarische Revolution, wurde seit 1914 mit dem Blut mehrerer Arbeitergenerationen geschrieben. Das Abgleiten der gegenwärtigen proletarischen Gruppen in die Kriegsteilnahme hat mit der Unbekanntheit mit dem praktischen und theoretischen Kampf gegen die Kriegsbeteiligung sozialdemokratischer und anarchistischer Organisationen im Ersten Weltkrieg zu tun. Hinzu kommt, daß die Positionen der kommunistischen Linken, die das Banner des proletarische Internationalismus auch im Zweiten Weltkrieg hoch gehalten haben, nicht allgemein bekannt sind. In anderen Fällen ist es nicht Unbekanntheit, sondern Mißachtung der Geschichte, inspiriert von opportunistische Konzessionen an den Verwirrungen in und um die eigene Gruppe. Und auf jeden Fall hat man sich von anarchistischen Standpunkten und von den wirrköpfigen Argumenten beeinflussen lassen, mit denen die Kommunistische Partei Russlands die Verteidigung ihrer Außenpolitik auf die Mitglieder der Komintern aufzwang, sowie von deren stalinistischen und trotzkistischen Fortsetzungen. Ausgehend von den Positionen der proletarisch-internationalistischen Linken11 betrachten wir im Folgenden die Rolle, die die Täuschungen der unterdrückten Völker, des Verteidigungskrieg, des Antifaschismus, der Erbsünde Deutschlands und die Bedeutung der Rüstungsindustrie gespielt haben beim Fauxpas zu ‘Afrin’.

a) Unterdrückte Völker

Alle hier genannten Texte erklären, daß sie „die Kurden“ als „unterdrücktes Volk“ schützen wollen. Der Schutz der unterdrückten Völker ist innerhalb der Arbeiterbewegung unumstritten, die Unterstützung nationaler Befreiung jedoch nicht. So waren sich Luxemburg und Lenin vor dem Ersten Weltkrieg nicht einig über die Haltung, die die Sozialdemokratie in Bezug auf die Unabhängigkeit Polens (damals Teil des Zarenreiches) einnehmen sollte. Lenin war dafür, Luxemburg gegen. Während des Ersten Weltkriegs äußerte sich Lenin im Resolutionsentwurf der linken Sozialdemokraten für die erste internationale sozialistische Konferenz 13. Juli 1915 (5. – 8. September 1915 in Zimmerwald) äußerst zurückhaltend über die Unterstützung der unterdrückten Völker. Mit der historischen Ära des Imperialismus war die Bourgeoisie ja – nach der allgemein akzeptierten Meinung der Revolutionäre – reaktionär geworden und nur die soziale Revolution konnte den Nationen den Weg zu Frieden und Freiheit ebnen.12 Luxemburg dagegen sagte unmißverständlich:

„In der Ära dieses entfesselten Imperialismus kann es keine nationalen Kriege mehr geben. Die nationalen Interessen dienen nur als Täuschungsmittel, um die arbeitenden Volksmassen ihrem Todfeind, dem Imperialismus, dienstbar zu machen. Aus der Politik der imperialistischen Staaten und aus dem imperialistischen Kriege kann für keine unterdrückte Nation Freiheit und Unabhängigkeit hervorsprießen. Die kleinen Nationen, deren herrschende Klassen Anhängsel und Mitschuldige ihrer Klassengenossen in den Großstaaten sind, bilden nur Schachfiguren in dem imperialistischen Spiel der Großmächte und werden ebenso wie deren arbeitende Massen während des Krieges als Werkzeug mißbraucht, um nach dem Kriege den kapitalistischen Interessen geopfert zu werden“.13

Die Realität des Kampfes für die Unabhängigkeit Kurdistans hat die Ansichten von Luxemburg bestätigt, wenn man diesen Kampf vom Standpunkt des Klassenkampfes aus betrachtet. Die herrschenden Klassen Kurdistans sind in der Tat nur ein Anhängsel ihrer Bourgeoisgenossen der Großmächte, in deren Dienst sie sich stellen, und denen sie ihr Proletariat als Kanonenfutter verkaufen – doch schließlich ist es anders gekommen als erwartet, sie wurden betrogen. Der Trend zum Wechsel imperialistischer Allianzen mehrerer Staaten – der so scharf im Artikel in Kosmoprolet festgestellt wird – ist kein Grund für das Proletariat diese Taktik als Teil eines Gegenmodells zu übernehmen, im Gegenteil. Ali Kiani beschreibt das Schicksal dieses Partnertausches im Fall der YPG-PYD wie folgt:

„Die Kurden haben sich mit ihren mutigen Freiheitskämpfern den Respekt der Welt verdient für den Sieg über den IS. Erdogans Angriff hätte ohne die Zustimmung Russlands, das den Luftraum über Afrin kontrolliert, nicht gestartet werden können. Tatsächlich hat Russland seine Truppen aus Afrin zurückgezogen, als türkische Kampfflugzeuge die syrisch-kurdische Milizengruppe YPG und ihre Mutterorganisation, die PYD, bombardierten. Nach Angaben von Afrinern schlug Russland vor, Afrin zu schützen als Gegenleistung für die Übergabe der Kontrolle an das Assad-Regime. Aber als das Angebot abgelehnt wurde, gab Russland grünes Licht für die Invasion der Türkei. Die Vereinigten Staaten, die die Kurden in den letzten Jahren in der internationalen Anti-ISIS-Koalition als ‘verläßliche Bodentruppen’ in Syrien nutzten, schweigen über die Ambitionen ihres NATO-Verbündeten, die Helden des IS-Krieges zu opfern, verwarnten die Türkei lediglich, ‘zivile Opfer zu vermeiden‘.“

Dieses Fragment ist enthüllend, wenn wir es nicht lesen, wie geschrieben, aus der Sicht von Nationen, sonder vom Standpunkt der Arbeiterklasse, wie Luxemburg es oben darlegte. In einem Versuch, sich als Gegner beider Supermächte zu präsentieren, betont Kiani, daß Russland und die USA beide die Kurden im Stich lassen. Dadurch ignoriert er die diametral entgegengesetzten imperialistischen Interessen beider Mächte hinter der Invasion von Afrin: Russland will, daß die Türken die USA aus Syrien vertreiben14. Komplimente an die „mutigen Freiheitskämpfer“ und „Helden“ verhüllen, daß die kurdischen Proletarier eingesetzt werden als Fußsoldaten für die imperialistischen Interessen der USA, Russlands und mehrerer Regionalmächte gegen die Entstehung eines neuen Imperialismus in der Region, den ‘Islamische Staat’, in dem sich die Kapitalsinteressen der Saddam-Clique nach dessen Liquidation sammelten.

Marxistisch-Humanisten könnten wissen wie die Stalinisten, unter dem Vorwand der Unterstützung unterdrückter Völker, versuchten die Arbeiter dieser Völker an ihre eigenen Bourgeoisie zu unterwerfen. Nach Litauen, der Türkei und China waren im Zweiten Weltkrieg die Vereinigten Staaten an der Reihe. Zu Beginn des Krieges versuchten sie, hinter dem ultra-rechten Prinzip des ‚America First‘ den Hitler-Stalin-Pakt zu vertuschen und amerikanische Einmischung zu verhindern. Die Invasion von Deutschland in Russland änderte alles: der imperialistischen Krieg war, den Stalinisten nach, nun ein Krieg der nationalen Befreiung geworden. Dunayevskaya nahm das nicht hin, aber wie ist dies bei ihren Nachfolgern, wenn sie zur Verteidigung von Afrin aufrufen?

Vielleicht sollten wir die Genossen der RKAB und des Kosmoprolet in Deutschland daran erinnern, daß die Komintern auch Deutschland als unterdrückte Nation ansah… solange es in die Außenpolitik der Sowjetunion passte?

„(…) Deutschland wurde in den Jahren 1921-1925 zu den vom Imperialismus unterdrückten Völkern, die einen nationalen Befreiungskampf zu führen haben, gerechnet. Der geheime Militärvertrag (Rapallo 1922) zwischen den bürgerlichen Deutschland und Sowjet-Russland wurde damit gerechtfertigt. Dieser Vertrag ermöglichte es der deutschen Bourgeoisie in Russland Fabriken zur Erzeugung von Kriegsgerät aufzurichten, die es nach dem Versailler Vertrag in Deutschland selbst nicht haben durfte. Mit Hilfe Russlands wurde so die deutsche Bourgeoisie in ihrem Befreiungskampf gegen die imperialistischen Unterdrücker Frankreich – England bewaffnet. Daß diese „nationale Befreiung“ Deutschlands schließlich die Form der nationalsozialistischen Hitler-Regierung annahm, und damit Russland feindlich gesinnt wurde, veränderte die Beurteilung Deutschlands durch die III. Internationale in ihr Gegenteil. Deutschland erscheint nun in der Propaganda als faschistischer Imperialismus, als der ärgste Feind der nationalen Unabhängigkeit kleiner Völker, deren nationale Selbständigkeit vom ‚Hitler-Faschismus‘ bedroht wird. (…)“.15

Auch nach der Implosion der Sowjetunion sind Stalinisten und Trotzkisten mit der Verteidigung der ‘nationalen Befreiung’ und der Unterstützung ‘unterdrückter Völker’ fortgefahren. Wie die GIC im selben Artikel aufzeigte, machen die Trotzkisten das ‘klüger‘ als die Stalinisten, nämlich unter Berufung auf den Arbeiterkampf und mit Verschleierung der Interessen der großen Imperialismen in kleineren Konflikten (‘Hear, hear’, mr. Kiani).16 Bei ihrer Unterstützung des „kurdischen Kampfes“ widerspiegelt sich das in ihrer Forderung, die PKK soll türkische Arbeiter in ihren Kampf mit einbeziehen. Die Frage dabei ist offensichtlich: in welchem Interesse ist es, wenn Arbeiter Partei ergreifen für eine Seite in einem Krieg zwischen imperialistischen Mächten? Außerdem gehört es zum klassischen Trotzkistischen Arsenal, die YPG-PYD zu kritisieren wegen ihrer Abhängigkeit von amerikanischer Unterstützung. Kiani kritisiert zugleich auch die Abhängigkeit Rojavas von Russland, um damit den Anschein einer unabhängigen Haltung beiden Großmächten gegenüber zu wecken. Diese Art von Zweideutigkeiten lassen die Trotzkisten in einem großen imperialistischen Konflikt massiv fallen, wie schon ihre Unterstützung des „degenerierten Arbeiterstaates“ im Zweiten Weltkrieg aufgezeigt hat.

b) Verteidigungskrieg

Die sozialdemokratischen Parteien die sich an der Seite ihrer herrschenden Klasse am Ersten Weltkrieg beteiligten, taten dies unter dem Vorwand, daß es sich um einen ‘Verteidigungskrieg‘ handele, wie Marx und Engels ihn zu ihrer Zeit unterstützt hatten. Die revolutionären Sozialdemokraten, die späteren Kommunisten einschließlich Lenin, argumentierten alle, der Erste Weltkrieg habe eine andere Ära eröffnet: die des Imperialismus und der sozialen Revolution. Nach der imperialistischen Eroberung der wichtigsten Gebiete der Welt durch die kapitalistischen Länder hatte ein inter-imperialistischer Kampf für die Umverteilung der Welt begonnen. In dieser neuen Periode diente die Unterscheidung zwischen „Angriff“ oder „Verteidigung“ keinem anderen Interesse als eine ideologische Täuschung der Bevölkerung. Alle Länder behaupteten, daß sie sich gegen einen Angriff verteidigten, weil dies im Alltagsbewußtsein das Recht auf Selbstverteidigung impliziert. Um zukünftige Kriege zu rechtfertigen, ist das Recht auf Selbstverteidigung Teil des Völkerrechts und des zwischen den imperialistischen Haien vereinbarte Kriegsrechts. In der Fortsetzung von „Angriff“ und „Verteidigung“ ist das breit Ausschlachten der Zahl der Opfer und Greueltaten durch… den Gegner Teil jeder imperialistischen Kriegspropaganda.

Die Verteidigung der ‘unterdrückten Nationen‘ und des russischen ‘Arbeiterstaates‘ durch die Komintern, später durch den ehemaligen Volkskommissar für Nationalitäten Stalin, führte zu einer Rückkehr zum vorher verurteilten Vorwand des ‘Verteidigungskrieges‘ und ist seitdem Teil des ideologischen Arsenals aller bürgerlichen Linken.

Die häufige Verwendung von Begriffen wie „türkischer Angriff“ macht es überflüssig, den Leser mit Zitaten aus den oben genannten Texten zu ermüden, die zeigen, daß sie die Vorstellung von Angriff und Verteidigung ohne Alternative hinnehmen. Demgegenüber genügt es daran zu erinnern, daß die Regierung Trump ankündigte die kurdischen Kämpfer als Grenzsoldaten in einem Gebiet einzusetzen, in dem sich mehrere US-Militärstützpunkte befinden. Es war daher die Absicht, nach dem Einsatz der YPG gegen den IS, daß die kurdischen „Freiheitskämpfer“ die Präsenz der USA in dieser wichtigen Region verteidigen. Russland hat dagegen ein Interesse daran, daß die Amerikaner das Gebiet verlassen, angeblich um Wille der „territorialen Integrität“ Syriens, das heißt in Wirklichkeit… um seine eigene militärische Präsenz im Nahen Osten und in Häfen am Mittelmeer zu verteidigen. Die Türkei befürchtete, angesichts der Vergangenheit nicht ganz ohne Grund, die kurdischen Grenzschützer würden ihre militärischen Positionen entlang der türkischen Grenze für Angriffe auf türkisches Territorium ausnutzen, und wählte als „beste Verteidigung“ einen Angriff auf kurdisches Gebiet. Auf diese Weise hofft die Türkei auch einen Teil Syriens in ihre Hände zu bekommen, wenn es auseinanderfallen sollte, angeblich zur „Aufnahme von Flüchtlinge“. Die Türkei fand dafür selbstverständlich die Beihilfe Russlands, und ein gewisses Verständnis von Deutschland, das das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei fortsetzen will und das traditionell seine eigenen imperialistischen Interessen verfolgt durch die Türkei (sowie durch den Iran). Ende Januar kam es zu türkischen Drohungen an den NATO-Verbündeten USA, denen Osmanisch die Ohren gewaschen werde, falls sie die YPG weiterhin unterstützten sollten. Die Kämpfe zwischen der Türkei und der YPG sind daher Teil eines viel breiteren und potentiell gefährlicheren Konflikts zwischen imperialistischen Supermächten. Diesen weiteren Kontext können wir ebenso wenig aus den Augen verlieren wie die imperialistischen Gegensätze zwischen Deutschland, Russland, Frankreich und England hinter der „serbisch-österreichischen Angelegenheit” des Attentats von Juli 1914 in Sarajewo, das den diplomatischen Vorwand zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges lieferte.

c) Antifaschistischer Krieg

Seit die Nazis in 1933 in Deutschland an die Macht kamen, gilt die Teilnahme am imperialistischen Krieg zunehmend als ein gerechter Kampf gegen den Faschismus. Es ist daher nicht verwunderlich, daß der vom RKAB übernommene Aufruf einer Antifa-Organisation den „Angreifer“, das Erdogan-Regime, als faschistoid darstellt. Begriffe wie faschistisch oder faschistoid werden bei Anwendung auf allerlei Arten von autoritären Ideologien, Organisationen und Ländern völlig bedeutungslos. Aber damit gewinnen sie in ihrer Qualität als Klischee für das ultime Böse.

Für die kommunistische Linke war der Zweite Weltkrieg – genau wie der Erste – ein inter-imperialistischer Kampf für die Neuaufteilung der Welt. Das faschistische Deutschland, Italien und Japan griffen die privilegierten Positionen der demokratischen Länder Frankreich und England an. Die demokratischen Vereinigten Staaten und das stalinistische Russland nahmen als Schwellenmächte Teil und erhielten als Supermächte ihre Einflußzonen in der Welt. Faschismus, Demokratie und Stalinismus waren die konterrevolutionären Ideologien, mit denen die revolutionären Kämpfe der Arbeiter von 1917 bis 1923 niedergeschlagen wurden. Sie dienten danach als Fahnen, hinter denen der Zweite Weltkrieg ausgetragen wurde. Die Alliierten riefen die Arbeiter auf, gegen den Faschismus zu kämpfen und für die Verteidigung der (bürgerlichen) Demokratie bzw. des Sozialismus in einem Lande; die Achsenmächte forderten die Arbeiter auf, als Teil des „Volkes“ zu kämpfen für „Lebensraum“ oder für „Asien den Asiaten“.

d) Die Erbsünde Deutschlands und die Rolle der Rüstungsindustrie

Die Alliierten machten keinen Halt an den Grenzen Deutschlands, sondern gingen zu einer militärischen Besetzung über. Damit wollten sie einen dritten Versuch Deutschlands vermeiden, die Welt zu seinem Vorteil neu aufzuteilen. Darüber hinaus befürchteten sowohl der demokratische als auch der stalinistische Imperialismus eine Wiederholung der Aufstände deutscher Arbeiter und Soldaten von 1918 bis 1923. Der Holocaust und andere Terrorakte des unterlegenen deutschen Imperialismus dienten dazu, die Kriegsverbrechen der Sieger zu vertuschen und ihren Anteil am inter-imperialistischen Krieg zu rechtfertigen. Die deutschen herrschenden Klassen verstanden, daß sie nur ihre Kapitalinteressen währen konnten indem sie die ‘Erbsünde‘, die die Sieger ihnen als Verlierer aufbürdeten, annahmen, und begannen eine in erster Linie ideologische „Entnazifizierung“, womit der deutschen Bevölkerung ein Gefühl der Schuld aufgezwungen wurde, daß bis heute die deutsche Politik beherrscht.

Vor allem der linke Teil des bürgerlichen politischen Spektrums hat sich der Idee einer deutschen Erbsünde angenommen. Auf der rechten Seite hört man immer mehr Stimmen für ideologische Veränderungen, die besser zur dominanten wirtschaftlichen und finanziellen Rolle Deutschlands in Europa und der Welt passen, und damit zu den deutschen imperialistischen Bestrebungen – ein Thema, daß auch innerhalb der deutschen Bourgeoisie Objekt von Meinungsverschiedenheiten ist. Diese Widersprüche innerhalb der deutschen Bourgeoisie betreffen die erwünschte deutsche Außenpolitik, wobei die Rechte, einschließlich der herrschenden Fraktion der linken SPD, Verbindungen mit der Türkei und mit dem Iran als gerechtfertigte Vertretung deutscher Interessen sehen, während die bürgerlichen Kräfte links von der SPD-Führung in der Praxis ihrer Vertretung des nationalen Interesses oft… der Trump-Regierung peinlich nahe kommen.

Im Fall der türkischen Invasion in Nord-Syrien kommt dies eindeutig zum Ausdruck in der Verteidigung Afrins. Zuvor hatte diese deutsche Linke gegen die medizinische Behandlung in Deutschland eines prominenten Scharfrichters des iranischen Ayatollah-Regimes protestiert, die eindeutig nur mit Zustimmung der Merkel-Regierung stattfinden konnte. Gleichzeitig möchte Trump den Iran weiter isolieren, während Europa unter der Führung Deutschlands den „Atomwaffen-Deal“ mit dem Iran aufrechterhalten will. Offensichtlich zieht die bürgerliche Linke als Teil der deutschen Bourgeoisie die zugrunde liegenden imperialistischen Interessen der Großmächte nicht ins Blickfeld, sondern beschränkt sie sich auf ihre Aufgabe: der Arbeiterklasse einzuprägen, daß jeder Krieg aus der Perspektive von “Angriff“ und „Verteidigung“ zu betrachten ist, der von „Faschismus“ gegen „Demokratie“, und anderen schönen bürgerlichen Idealen, und daß man sich entsprechend am inter-imperialistischen Kampf beteiligen soll. Dem Anschein nach zielt man auf den Feind im eigenen Lande, die Merkel-Regierung, um anschließend, nach dem Motto “die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde” doch Partei zu ergreifen in den imperialistischen Auseinandersetzungen in Syrien. Genauso wie die Linke sich am Kampf innerhalb der deutschen Bourgeoisie über den Kurs der Außenpolitik beteiligt.

Das insbesondere die Rüstungsindustrie von der bürgerlichen Linken ins Visier genommen wird, ist nur logisch, angesichts der Rolle die Thyssen, Krupp, IG Farben und viele andere Schwerindustrien bei der Förderung einer aggressiven Außenpolitik Deutschlands gespielt haben. Das sollte jedoch nicht verhüllen, daß auch die Leichtindustrie ihre eigenen kapitalistisch-imperialistischen Interessen hatte, mit denen die deutsche Arbeiterklasse auch nicht einverstanden sein konnte. Die Leichtindustrie lies sich auch in die national-sozialistische Kriegswirtschaft eingliedern. In der gegenwärtigen Periode kann die Arbeiterklasse ebensowenig etwas von einem Zusammengehen mit jenen Teilen des deutschen Kapitals erwarten, die einen eher US-orientierten Kurs bevorzugen.

3. Der Kampf gegen den imperialistischen Krieg

Der Marxismus-Humanismus ist im Gegensatz zur bürgerlichen Linken entstanden aus einem internationalistischen Standpunkt des Kampfes der Arbeiter gegen beide Lager im Zweiten Weltkrieg. Dies erklärt Kianis scheinbare Unabhängigkeit gegenüber Russland und den USA im Afrin-Konflikt, während er aber die wirklichen Widersprüche zwischen den Großmächten aus den Augen verliert. Die Dringlichkeit der Aufrufe von Kiani wirft die Frage auf, wie er glaubt, daß eine Wiederholung des Völkermordes am armenischen Volk, im Fall der Kurden verhindert werden kann. Wie können wir ein Ende der „progressiven Bewegungen“ verhindern (in denen er Rojava und den Aufstand im Iran ohne jede Klassenanalyse gleich stellt), und wie könnte daraus eine antikapitalistische humanistische Alternative abgeleitet werden? Nach Angaben der CPRSJ kann dies geschehen durch Teilnahme an den Solidaritätsdemonstrationen der kurdischen Exilgemeinde vor türkischen diplomatischen Vertretungen. Wenn von solchen Aktionen in den Mainstream-Medien breit berichtet wird, und die US-Regierung diese als Anlaß beispielsweise zu Bombardierungen ausnutzt – wie damals, als Kobane vom IS bedroht wurde – kann das immer noch mit Kritik an der Abhängigkeit der YPG / SDF von den USA ausgebügelt werden.

Unter dem Deckmantel der Solidarität findet eine Gewöhnung des Proletariat an falschen Entscheidungen in imperialistischen Konflikten statt. Es wird von einem Kampf auf der Grundlage seiner Klasseninteressen abgehalten, und es wird so für seine ideologische und physische Einschaltung innerhalb der imperialistischen Kriegsanstrengungen vorbereitet. Die damit kooperierenden linken bürgerlichen Gruppen erweisen sich damit als Teil des Staatsapparates der Bourgeoisie. Die internationalistischen Gruppen, die das Gleiche tun, rutschen immer weiter von den Positionen der Arbeiterklasse ab, bis auch sie Teil des bürgerlichen Staates sind.

Die bittere Wahrheit ist, daß die Arbeiterklasse die imperialistischen Kriege auf kurze Sicht wahrscheinlich nicht stoppen kann. Sogar die Bewegung des Ölstreiks im irakischen Kurdengebiet, und danach im Iran, und die anschließenden Proteste von meist jungen arbeitslosen Proletariern, konnte die Teilnahme Irans an den imperialistischen Kriegen im Nahen Osten nicht stoppen. Nach einer rasanten Entwicklung zu einer Bewegung gegen alle herrschenden Gruppen des iranischen Kapitals und gegen die Kriegsbeteiligung des Iran, stagnierte die Bewegung aufgrund mangelnder Organisation „In Real Life“ .17 Seitdem herrscht die Repression, vor den Augen der „demokratischen“ Verbündeten verborgen, durch anonyme Banden, die keine Gefangenen machen, sondern militante Proletarier „verschwinden“ lassen.

Die Kriege im Nahen Osten werden nicht aufhören, bis diese Bewegung der Arbeiter wieder auf das gleichen Niveau kommt wie im Iran um die Jahreswende und sich weiter entwickelt um sich die Organisation der arbeitenden und arbeitslosen Arbeiter in Generalversammlungen zu erschaffen. Dort kann die Diskussion darüber geführt werden, wie die Bewegung am besten erweitert werden kann. Insbesondere ist die Ausdehnung über die Grenzen von Sektoren, Religion, Sprache, Kultur und von Nationalstaaten hinaus von größter Bedeutung. Die Bewegung wird daher nicht nur auf ihre eigenen herrschenden Klassen abzielen, sondern gleichzeitig auf alle politischen Gruppen der herrschenden Klassen aller Länder.

Der Weg zu einer unvermeidlichen proletarischen Weltrevolution ist lange und verläuft überall durch den Aufstieg und Fall der Arbeiteraktionen gegen die Folgen der kapitalistischen Krise und des imperialistischen Krieges. Aber es ist der einzige Weg für die Arbeiterklasse, das Klassenbewußtsein und die Selbstorganisation zu entwickeln, die benötigt werden um den Kapitalismus weltweit zu besiegen.

Fredo Corvo

(Recherchen bis 20. Februar 2018)

Sprachkorrekturen von Henry Cinnamon, am 2. März 2018

-.-

Noten

Die kommunistische Linke besteht aus den linken Bewegungen, die sich gegen die reformistischen Taktiken der bolschewistischen Partei innerhalb der Kommunistischen Internationale ausgesprochen haben. Der Rätekommunismus, auf den sich Arbeitersstimmen stützt, war eine dieser linken Bewegungen.

Für eine derartige neuere Analyse, lese man zum Beispiel: F.D., Syria: the long war that never ends.

Kosmoprolet. Die vier rezensierten Texte sind: Il Lato Cattivo, Die ‚kurdische‘ Frage. ISIS, USA und vieles mehr, Becky, Ausgehend vom Zwangsmoment – Kanton Cizire, Rojava, Gilles Dauvé, Rojava: Realität und Rhetorik, in: Doc Sportello (Hg.), Rojava. Ist der Aufstand gekommen? Bahoe books, Wien 2015, Tristan Leoni, Kalifat und Barbarei. Wie funktioniert der islamische Staat? Bahoe books Wien 2016.

Eine Analyse des IS aus der Sicht der Italienischen Linken gibt z.B. F. Damen in: Der Irak und das neue Kalifat des „Islamischen Staates“ (ISIS).

11 Interessierte Leser verweisen wir auf Was ist proletarischer Internationalismus?, mit Auszügen aus einigen historische Texten, besonders zur ‚Vaterlandsverteidigung‘, zu den ‚unterdrückten Nationen‘ und zum proletarischen Internationalismus im imperialistischen Krieg.

12 Lenin Werke Bd. 21, S. 348. Auch zu finden in der obengenannten Textesammlung .

13 Luxemburg “Die Krise der Sozialdemokratie” – Anhang „Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie“. Siehe Anmerkung 11.

15 GIK Der Klassenkampf im Kriege. Siehe Anmerkung 11.

16 GIK Der Klassenkampf im Kriege. Fragment nicht enthalten in der Textesammlung wonach Anmerkung 11 verweist.


Ein Schreiben von Freundinnen der klassenlosen Gesellschaft, 6-3-2018

Liebe Genossen,
vielen Dank für die Zusendung der Kritik. Allerdings ist uns wichtig zu betonen, dass in der Sektion „Blog“ auf unserer Homepage vorwiegend Texte erscheinen, die nicht vom Zusammenhang Kosmoprolet sind, die also keine Gruppenposition darstellen. Hier veröffentlichen wir Texte zur Debatte. So auch der Text über Rojava. Dieser ist von einem einzelnen Mitglied geschrieben und ist keine Gruppenposition – es wäre schön, wenn dies, er Korrektheit halber, auf Arbeiterstimmen berichtigt würde.
Davon unabhängig geht es aber auch in dem Text nirgends darum, ein „Ideal“ oder einen „Mythos“ von Rojava zu beschwören und die Kurden zum „unterdrückten Volk“ oder gar zum revolutionären Subjekt zu machen; er stellt nur die Frage, ob man in Bezug auf die Analyse der Kurdengebiete und dem Islamischen Staat mit Rückgriff auf die imperialistische Weltkonstellation einfach nach dem Motto „Nachts sind alle Katzen grau“ verfahren kann und ob dabei nicht einige Dimensionen überblendet werden. Die Frage, was das für politische Konsequenzen für eine rev. kommunistische Linke haben kann, steht dann nochmal auf einem anderen Blatt.
solidarische Grüße
Freundinnen der klassenlosen Gesellschaft

Zwei Reaktion veröffentlicht von der Coalition for Peace, Revolution, and Social Justice (CPRSJ)


Reaktionen zur englischen Fassung / Libcom.org


Anti-Kritik von Fredo Corvo

 

Ist die Verteidigung Afrins proletarischer Internationalismus?

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