Vor 100 Jahren anonym erschienen als “Mobilisierungen” in Arbeiterpolitik – Wochenschrift für wissenschaftlichen Sozialismus, 17-1-1918.
Die russische Revolution, welthistorisches Ereignis von höchster Bedeutung, wird erst nach dem Kriege zur vollen Wirkung auf die Geister kommen. Und wer möchte prophezeien, was in Frankreich, in Italien oder sonst wo spätestens dann geschehen wird, wenn mit dem Ende des Krieges die Zeit der großen Abrechnung beginnt?
“Frankfurter Zeitung” vom 1. Januar 1918.
In den letzten Dezembertagen des dritten Kriegsjahres ist der “Volksbund für Freiheit und Vaterland” gegründet worden. Es war ein bedeutungsvoller Moment, in dem diese Gründung geschah, und es war nicht minder bedeutungsvoll, daß sie geschah. Die russische Revolution hatte der deutschen Regierung die lange ersehnte Möglichkeit von Friedensverhandlungen im Osten geboten. Die Regierungen der Mittelmächte waren vor die Notwendigkeit gestellt, mit den Vertretern einer sozialistisch-revolutionären Regierung zu verhandeln. Die Kunde einer siegreich vordringenden Revolution war in alle Welt gedrungen und zu den Ohren des letzten Kämpfers, der letzten Arbeiterin gelangt. Eine sozialistische Revolution hatte einen entscheidenden Schritt zum Frieden getan.
Die russischen Revolutionären wußten, was sie wollten, und es war von vornherein klar, daß die Grundlagen ihrer Verhandlungen graniten sein würden. Wenn sie von Frieden redeten, so wußten sie, daß es kein sozialer Frieden sein konnte. Sie waren selbst zu wetterfeste Kämpfer des Klassenkampfes, als daß sie sich hierüber auch nur der leisesten Täuschung hätten hingeben können. Und schließlich wußten sie, daß die russische Revolution nicht alleine eine russische, sondern eine internationale Angelegenheit sei.
In dieser hochbedeutenden Situation, der bedeutungsvollsten des ganzen Weltkrieges, wurde in Deutschland der “Volksbund für Freiheit und Vaterland” gegründet. Gutmütige Gläubige meinten, er sei die Antwort auf die Gründung der “Vaterlandspartei”. Es sei eine Art Gegengründung. Warum wohl! Vaterlandspartei und Volksbund wollen genau dasselbe: sie wollen dem Vaterland dienen. Sie wollen es jeder in seiner Weise. Aber wenn das Vaterland in Gefahr ist, werden sie zusammenstehen. Sie spielen zwar im Augenblick die feindlichen Brüder, aber sie werden keine Sturm-und-Drangtragödien aufführen. Sie werden kein Nebenbühlerblut vergießen. Es ist nichts, was die beiden Bünde unterscheidet, nichts, als die Phrase, die von der Vaterlandspartei verschmäht wird, weil sie sie nicht nötig hat; die aber beim Volksbund ins Kraut geschossen ist, weil er ohne sie nicht leben kann.
Es ist keine Rede davon, daß diesen beiden Gruppen durch unüberbrückbaren Gegesätze voneinander getrennt wären, und wenn auch die “Vaterlandspartei” die politisch-kulturelle Fusionierung der deutschen Schwerindustrie und Großagrarier darstellt, während der “Volksbund” die politischen und kulturellen Kräfte der Leichtindustrie, des Handwerkertums und des Handels sammelt, so ist doch der Gegensatz zwischen beiden Gruppen im äussersten Falle so scharf, wie etwa der Gegensatz zwischen dem “Zentralverband” und dem “Bund der Industriellen”, d.h. beide sind auf Verderb und Gedeih mit dem Schicksal des deutschen Imperialismus verbunden. Gegensätze aber, die sich auf diesem gemeinsamen Boden ergeben, sind nie so tief, daß sie einen Kampf auf Leben und Tod herbeiführen könnten; wohl aber werden beide Gruppen in Tod und Leben gegen einen gemeinsamen Feind zusammenstehen.
Nehmen wir ein Beispiel. Die “Vaterlandspartei” führt die biss heute in Deutschland maßgebende Politik des Konservatismus konsequent weiter. Sie mobilisiert ihre Kräfte also auch gegen die Wahlreform in Preußen. Der “Volksbund” dagegen hat die “äussere und innere Freiheit” auf seine Fahne geschrieben; er wird also für die Wahlreform in Preußen eintreten. Gesetzt den Fall nun, daß der Widerstand der Konservativen im Preußischen Landtag so stark und hartnäckig ist, daß die Mehrheit von Konservativen und Nationalliberalen so unbeugsam ist, daß eine Wahlreform in Preußen auf verfassungsmäßigem Wege nicht durchzusetzen ist. Und gesetzt den Fall, daß die preußische Regierung den Verfassungsbruch, die Oktronirung des Wahlrechts nicht riskieren wird. Gesetzt also den Fall, die konservative Kräfte der “Vaterlandspartei” blieben in preußischen Wahlrechtsscharmützel Sieger. Würde dann der “Volksbund für Freiheit und Vaterland” seine Mitglieder zum Kampf gegen die Regierung aufrufen? Würde er seine Kolonnen zu einer illegalen verfassungswidrigen Aktion mobilisieren, um die innere Freiheit des Vaterlandes unter allen Umständen durchzusetzen? Welcher Phantast in der Welt, wäre phantastisch genug, um von den bewährten Stützen von Thron und Altar, die den Aufruf des “Volksbundes” unterzeichnet haben, zu erwarten, daß sie sämtliche Äste abhauen sollten, auf denen sie sich sicher und wohlbewahrt eingerichtet habe!
Solange die Gestirne ihren Bahnen nicht rückwärts nehmen und solange aus Elefanten keine Haifische geboren werden, solange wird auch dieses Wunder nicht geschehen.
Der Zweck der Übung ist vielmehr ein ganz anderer. Eines der Mitglieder des Ausschusses des “Volksbundes”, der Vorsitzende der Gesellschaft für Soziale Reform, der bekannte Freiherr v. Berlepsch, schrieb im Jahre 1906 in einer kleinen Schrift: “Warum betreiben wir die soziale Reform?”:
Was die Sozialdemokratie gefährlich macht, das sind nicht die Ziele, sondern die Wege, auf welche sie ihre Anhänger verweist, das ist die absolute Absonderung der Arbeiterschaft von allen anderen Bevölkerungsklassen, von der Gemeinsamkeit des Vaterlandes, der staatlichen Ordnung, das ist die Erbitterung, die sie erzeugt, das ist de Klassenkampf und der Klassenhaß, den sie braucht, das ist das Streben nach der ausschliesslichen politischen Herrschaft des Proletariats ….
Nicht die Sozialdemokratie zu beseitigen, kann die Aufgabe umsichtiger Politiker sein, weil sie hieran umsonst arbeiten würden, sondern die Hindernisse zu beseitigen, die der Umwandlung der Sozialdemokratie, wie sie jetzt ist, in eine Arbeiterpartei entgegenstehen, die ohne Klassenhaß und ohne Vernichtungskrieg gegen das Bestehende, im Wege der Reform und der Entwicklung den Arbeitern den Platz an der Sonne zu erkämpfen sucht, auf den sie Anspruch haben wie jeder andere Staatsbürger.
Das war im Jahre 1906. Zehn Jahre später stehen die Führer der sozialdemokratischen Gewerkschaften an der Seite des Freiherrn v. Berlepsch, Klassenkampf und Klassenhaß der Sozialdemokratie hat der Sturm des Weltkrieges hinweggefegt. Sie ist zur bürgerlichen Reformpartei geworden. Sie steht in einer Front mit denen, die für das Bestehende, die staatliche Ordnung kämpfen. Und sie richten die gemeinsame Front gegen diejenigen, die auf dem Wege des Klassenkampfes der Zukunft der Arbeiterklasse entgegenmarschieren.
“Vaterlandspartei” und “Volksbund”: beide mobilisieren die politischen und kulturellen Kräfte gegen den Klassenkampf. Im Lager des “Volksbundes” steht auch die Generalkomission der Gewerkschaften Deutschlands, der Diktator des sozialdemokratischen Politik, Legien, gehört dem Arbeitsausschuss an, Giebel, Leipart, Paeplow, Sachse sind “Mitglieder des Ausschusses”. Was in den Büchern vom “inneren Frieden”, die Herr Thimme veranstaltete, zunächst theoretisch postuliert wurde, gewinnt immer greifbarere organisatorische Gestalt. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften sind, wie die Sozialdemokratie selbst, in die Kampffront gegen den Sozialismus eingeschwenkt. Die sozialistischen Arbeiter können keine Gemeinschaft mehr mir ihnen haben; der Zusammenbruch der Gewerkschaften ist der zweite große Krach, der dem Zusammenbruch der Partei folgen muß. Die Lage klärt sich von Tag zu Tag mehr.
Quelle: Arbeiterpolitik.
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