Willy Huhn, ein unbekannter Rätekommunist

Zur Publikation von Jochen Gester “Auf der Suche nach Rosas Erbe. Der deutsche Marxist Willy Huhn (1909-1970)”, Berlin, Die Buchmacherei, 2017Huhn_Umschlag_Vorderweite

Der Author bezeichnet diese Arbeit als eine ’biografische Skizze’. Das ist zu bescheiden, ist es Gester doch gelungen die charakterliche und politische Entwicklung Huhns in 200 Seiten zu beschreiben und kritisch zu analysieren. Das Buch enthält weiter eine Auswahl von 400 gedruckten Seiten Texten Huhns, wie mehr als 200 Seiten als PDF-Datei auf CD-ROM.

In seinem Vorwort erklärt der Autor, Jochen Gester, wie er zufälligerweise auf Huhns Text “Trotzki – der verhinderte Stalin” stieß. Damit war sein Interesse in den ihm unbekannten Willy Huhn geweckt. Nicht ohne Grund wird Huhn ein bedeutender Theoretiker der Sozialismus genannt, wie die Auswahl von Texten aus den 10 Regalmeter umfassenden Huhn-Archiv des IISG Amsterdam in der Beilage dokumentiert. Der Schwerpunkt seiner Arbeiten gilt der Kritik der deutschen Mehrheitssozialdemokratie, des Leninismus und Trotzkismus. Politisch seit 1929 gebildet in der sozialdemokratischen Jugend- und Gewerkschaftsbewegung, gehörte Huhn als junger Mann zum linken Flügel der SPD, machte nach dessen Ausschluss zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Trotzkismus, wurde aber abgestoßen von dessen bolschewistischen Methoden. Nachdem kam er in Kontakt mit frühere Mittglieder der KAPD die später in Deutschland die Roten Kämpfer bildeten. Seitdem ist er zu charakterisieren als Rätekommunist. Huhn analysierte den aufkommenden Faschismus in den 1930-er Jahren als ein Prozess dessen Ursprünge bereits in der Lasallschen Tendenz der deutschen Arbeiterbewegung, sich den Bismarck’schen Staat anzulehnen, liegen. Isoliert in de NS-Ära, verirrte Huhn sich in einer Art Nationalbolschewismus, den er nie ganz los wurde, wie Gester kritisch belegt. Nach 1945 war Huhn aktiv in der SED, wurde ausgeschlossen, wechselte zur SPD, wurde abermals ausgeschlossen. In dieser Zeit war er Redakteur bei Pro und Contra, Mitarbeiter an Neues Beginnen und Funken. In den 1960-er Jahren knüpfte Huhn Kontakte zur Studentenbewegung, dessen anti-autoritärer Flügel ihm sympathisch war. Mit Kopfschütteln reagierte er auf die ”autoritäre Wende” des SDS, in der sich eine Mehrheit der ML-Parteibildung widmete.

Dagegen begnügte Huhn sich nicht wie “Aktivisten linker Kleingruppen (…) damit (…) in ‘Wachturm’-Manier aller Welt zu verkünden, er allein habe die Wahrheit gefunden.” (S. 9/10). In seinem Nachwort kommt Gester zu der Schlussfolgerung “Vorwärts geht es nur mit einer neuen politischen Kultur des miteinander Umgehens, in der wir lernen, zu streiten und uns gleichzeitig zu respektieren.” Dazu im Gegensatz sieht er neo-leninistische Organisationen, die geprägt sind von “der irrigen Vorstellung, die Ideenträger dieser Organisationen wüssten, wo es langgeht, und die Anderen verstünden es noch nicht oder wollten es nicht begreifen. Genau an diesen Punkt zog Willy Huhn eine seiner zentralen Lehren aus der Erfahrung des gemeinsamen Scheiterns, eine Einsicht, die nun tatsächlich anschlussfähig und zu empfehlen ist.”

Zu diesem Motto gebe ich hier folgendes Huhn-Zitat aus dem Buch, daß mir besonders gefallen hat auf Grund meiner Erfahrungen mit einer immer mehr als leninistische Sekte funktionierenden linkskommunistischen Organisation in den 1970-er und 1980-er Jahren:

„Überhaupt die Angst vor der ‚Verwirrung‘! man macht langsam daraus ein Schlagwort zur Abwürgung der Meinungs- und Gewissensfreiheit. Wie stellt ihr Euch eigentlich eine lebendige demokratische Diskussion vor, ohne jene Verworrenheit, die zunächst einmal das Ergebnis jeden Aufeinanderprallens verschiedener Ansichten ist? Das ist ja gerade die Voraussetzung schöpferischer Meinungs- und Bewusstseinsbildung, dass es durch die Auseinandersetzung der Standpunkte immer wieder zu einem chaotischen (,verwirrenden‘) Moment kommt, aus dem immer wieder aufs Neue sich die klareren, besseren Anschauungen entwickeln müssen. Wer natürlich von vornherein mit der wahnwitzigen Arroganz auftritt, nur seine Meinung sei die einzig richtige, für den, der diese mit allen Mitteln – auch ‘demokratischen‘ (sprich demagogischen) – durchzusetzen sucht, sind natürlich alle anderen Auffassungen ,verwirrend‘. Wenn ich es mir erlauben dürfte, wurde ich mit der gleichen Berechtigung Eure Ansichten als verwirrende bezeichnen. Mir ist aber diese Verwirrung, diese momentane Unklarheit, diese Auflösung erstarrter Meinungen gerade recht, um zu neuen, besseren, höheren Bewusstseinsformen gelangen zu können. Ich bejahe also die ,Verwirrung‘! Ohne diese ,Verwirrung‘ ist demokratische Meinungsfreiheit nur ein demagogisches Geschwätz. Nicht aus der Diskussion, sondern aus der Akklamation zu bereits gebildeten, oben dekretierten Auffassungen soll bei Euch das Klassenbewusstsein hervorgehen. Das aber ist keine proletarische, sondern eine plebiszitäre Demokratie, das ist die Demokratie des Bonapartismus, des Faschismus und Nationalsozialismus. Wir kennen diese so gut, dass wir für jeden geringen Anklang an ihre Formen und Methoden überempfindlich geworden sind.“ (Huhn zitiert auf S. 114)

Fredo Corvo, 27-12-2017

Jochen Gester “Auf der Suche nach Rosas Erbe. Der deutsche Marxist Willy Huhn (1909-1970)”, Berlin, Die Buchmacherei, 2017.

Text Huhns aus dem Buch: Lenin als Utopist.

Dieser Artikel darf als Ganzes übernommen werden mit Quellenangabe: arbeiterstimmen.wordpress.com

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