Die KAPD 1924: für ein neues Beginnen der Rätebewegung

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Novemberrevolution 1918: Revolutionäre Soldaten mit der Roten Fahne am 9. November vor dem Brandenburger Tor in Berlin

Klar, nicht nur die Rätebewegung von 1918-1923 ist tot (totgeschlagen), auch der Rätekommunismus ist nur noch eine historische Wirklichkeit. Ein neues Beginnen der revolutionären Bewegung kann sich aber nicht in der Leere der heutigen Verständnislosigkeit der sogenannten ‘Linken’ entwickeln. Diejenigen die versuchen anzuknüpfen an die theoretischen Errungenschaften der Deutschen Kommunistischen Linken wollen wir hier aufmerksam machen auf eine Neuausgabe des Programms der KAPD (Tendenz Berlin) von Januar 1924. Hier folgen einige Fragmente und kritische Bemerkungen, die hoffentlich anregen zu weiterem Studium und zur Diskussion.

Die Krise des Kapitalismus

„In einer Periode der rasend anschwellenden Krise, der Häufung von sozialen Katastrophen, kriegerisch-imperialistischen Verwicklungen und des wachsenden Chaos nur dem wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Gebiete tritt die Kommunistische Arbeiter-Partei Deutschlands mit einem neuen Programm vor das Proletariat, in dem es zweierlei finden soll und – wie wir hoffen – finden wird: Eine gedrängte Widerspiegelung der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Entwicklung und eine Darstellung der Aufgaben, die es bei Strafe seines Unterganges als Klasse erfüllen muß. (…) Ein Programm ist kein Rezept für alle Fälle. Soll es mehr als papierne Weisheit sein, so wird ihm die Tat folgen müssen. Doch, um die Tat vollbringen zu können, ist Klarheit über Wege, Bedingungen und Ziele des proletarischen Befreiungskampfes eine unerlässliche Voraussetzung.“ (Vorwort)

Erster Teil

Aufstieg und Niedergang der kapitalistischen Wirtschaft im Zeitalter des Imperialismus; die Folgen des Weltkrieges und der Friedensschlüsse für die bürgerliche Gesellschaft und das Proletariat.

Erster Weltkrieg

„Die Unmöglichkeit eines ökonomischen Ausweichens brachte das Kapital zu der Überzeugung, dass der Krieg als einzige Mittel zur Überwindung der durch die Entwicklung geschaffenen Widersprüche sei. Es begann infolgedessen eine Periode wahnwitzigen Wettrüstens. Der Kapitalismus erreichte hier seinen Zenit und damit gleichzeitig den Ausgangspunkt seines Zusammenbruches.

Der Imperialismus mit seiner zersetzenden Wirkung ist eine historische aus der kapitalistischen Entwicklung geborene Notwendigkeit; nur kleinbürgerliche Pazifisten können in ihm eine korrigierbare, vom guten Willen der Kapitalisten abhängige Bewegung erblicken. (…) Der Geschützdonner der Schlachtfelder läutete die Götterdämmerung des Kapitalismus ein.“ (Erster Teil, § I Aufstieg und Niedergang der kapitalistischen Wirtschaft im Zeitalter des Imperialismus)

„Der weitere Verlauf des Krieges brachte den militärischen Zusammenbruch der Mittelmächte. Damit zerbrach auch die Autorität ihrer herrschenden Klassen. Diese verloren jede Haltung, dankten ab und räumten dem Proletariat das Feld. So fiel der Arbeiterklasse die politische Macht wie eine überreife Frucht in den Schoβ.

Unmacht aus Nicht-Wissen

Das Proletariat wußte mit dieser Macht nichts anzufangen. Es begriff nicht, welche Aufgaben es in einer sozialen Revolution zu lösen hatte, daß es jetzt nach der Ergreifung der politischen Macht darauf ankam, den Kampf um die Produktionsmittel auf der Grundlage der Räte aufzunehmen, um die kommunistische Wirtschaft aufzurichten.“ (Erster Teil, § II Die Folgen des Weltkrieges und der Friedensschlüsse für die bürgerliche Gesellschaft und das Proletariat).

„Die KPD nahm im Anfang gegenüber dem Versailler Frieden eine durchaus revolutionäre Stellung ein. Sie betonte, daß das Proletariat sich seine Politik nicht von Abmachungen der Bourgeoisie diktieren lassen, dass nur sein Interesse als Klasse ausschlaggebend sein dürfe.“

„Die III. Internationale mußte sich der sozialdemokratischen Ideologie nähern und den Anschluß an den Parlamentarismus und die Gewerkschaften suchen. Sie wurde dadurch gezwungen, auch deren Außenpolitik zu übernehmen. Um aber dem Druck der unter ihrer Fahne stehenden Massen Rechnung zu tragen, verkleidete sie diese reaktionäre Politik mit der radikalen Phrase und zerrte alle sozialdemokratischen Parolen ins Extremste; sie übernahm den kapitalistischen Aufbau und landete schließlich beim wildesten Nationalismus.“ (Erster Teil, § III).

„Von sämtlichen Arbeiterparteien hat allein die KAP die rein revolutionäre Linie gewahrt. Sie ist organisatorisch und politisch die direkte Verfolgerin jener beiden Gruppen, die auf dem Vereinigungsparteitag vom Dezember 1918 sich zur Kommunistischen Partei (Spartakusbund) zusammenschlossen, und sie hat aus dem rückläufigen Entwicklungsprozeß der KPD die gesunden revolutionären Elemente, hauptsächlich der führenden ‘IKD’ (Internationalen Kommunisten Deutschlands) herausgerettet.“ (Erster Teil, § IV).

Zweiter Teil

Die Rolle und Bedeutung der Kommunistischen Arbeiter­Partei im Befreiungskampf der Arbeiterklasse, ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften und parlamentarischen Parteien, sowie ihre Stellung zur Allgemeinen Arbeiter-Union, Jugendfrage und zur Kommunistischen Arbeiter-Internationale. Richtlinien zur Agrarfrage.

„Mittel und Art des Kampfes werden bestimmt durch die gesellschaftlichen Gesetze. Die Mehrzahl des Proletariats glaubt aber noch, mit den alten Organisationsformen seine Lebenshaltung weiter innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft verbessern zu können. Die Erkenntnis von der Unabwendbarkeit des kapitalistischen Zusammenbruchs, von der daraus folgenden Notwendigkeit, den Klassenkampf direkt auf das Ziel der kommunistischen Bedarfswirtschaft einzustellen, ist beim Proletariat noch in ganz unzureichendem Masse vertreten. Es verkennt dabei, daß jede Organisationsform einer bestimmten Zeitepoche entspricht und nur innerhalb dieser ein Element des geschichtlichen Fortschritts sein kann.“ (Sehe weiter Zweiter Teil, § I über die Entwicklung der Gewerkschaften von Frühkapitalismus biss Tarifpolitik, § 2 die Arbeitsgemeinschaft von Unternehmern akzeptiert, § 3 Gewerkschaften und AAU).

Kritische Anmerkung zur Arbeiter-Union

Die verschiedenen Richtungen der KAPD und der Unionen, sowie die von Otto Rühle inspirierte AAU-E, missverstanden alle den minoritären Charakter der Union indem sie meinten die Union würde sich durch Anschluss aller Arbeiter zu Arbeiterräten umbilden. Sehe z.B. die KAP Berlin:

„Die Allgemeine Arbeiter-Union ist die Zusammenfassung des Proletariats als Klasse in den Betrieben. Sie ist als Betriebsorganisation nach dem Rätesystem aufgebaut. (..) Nach Eroberung der politischen Macht ist sie auf Grund ihrer inneren Gestaltung als Räteorganisation dazu berufen und befähigt, die kommunistische Wirtschaft aufzubauen.“ (Zweiter Teil, § III)

Die KAUD und die GIK haben diese Frage schliesslich in den 1930-er Jahren geklärt. Sehe z.B. Group of International Communists The Origins of the Movement for Workers‘ Councils in Germany 1938. In deutscher Sprache erhältlich als H. Canne Meijer Arbeiterrätebewegung in Deutschland, u.A. bei Packpapierverlag Osnabrück.

Jugend

„Die besondere Art des Denkens beim Jugendlichen erfordert eine organisatorische Anpassung. Das kann am besten erreicht werden, indem sie die Jugend zu einer eigenen Organisation formiert. Die Jugend muß sich selbst ihren Weg bahnen. Die Existenz einer selbständigen Kommunistischen Arbeiterjugend ist deshalb eine unbedingte Notwendigkeit.“ (Leitsätze der Jugendorganisation)

Internationale

Die Kommunistische Arbeiter Internationale (von der KAP angestrebte Vierte Internationale) soll keine künstliche Schaffung sein (wie die Essener Tendenz der KAPD vergebens versuchte):

„Die objektiven Vorbedingungen für eine KAI sind längst gegeben. Doch kann sie ebenso wenig durch einen willkürlichen Beschluß zu historischen Leben erhoben werden, wie etwa die Revolution selbst künstlich gemacht werden kann. (…) Die Internationale der revolutionären Tat steht nicht am Anfang, sondern am Ende einer Entwicklung. Innerhalb dieser Entwicklung und zu ihrer Förderung ist internationale Fühlung, internationale Propaganda-Arbeit und internationale aktive Solidarität notwendig.“ (Leitsätze zur Kommunistischen Arbeiter-Internationale).

Agrarfrage

Bemerkung zu „Richtlinien zur Agrarfrage”: Anstatt die unmittelbare Enteignung des Bodens wie die KAPD sie in 1924 nachstrebte, bevorzugte die GIK auf Grundlage einer Analyse der Bauernbewegingen in Russland und Deutschland und der Entwicklung des Agrarischen Betriebes als teil der Industriellen Entwicklung ein Agrarprogramm das den Kleinbauern materielle Vorteile bieten sollte bei einem Anschluss an den von den Arbeitern beherrschten Betrieben. (De ontwikkeling van het boerenbedrijf ; Ontwikkelingslijnen in de landbouw. – [Amsterdam], Bussum : Persmateriaal Internationale Communisten, 1930. – 47 p.).

Die Aufgaben der Arbeiterklasse nach der Übernahme der politischen Macht

Die „IWW (Industrie-Arbeiter der Welt) [hat] im angelsächsischen Gebiet sehr weitgehende Schilderungen, besonders der wirtschaftlichen Maßnahmen entworfen, jedoch ohne genügenden Einblick in die Beziehung zwischen politischer Macht und wirtschaftlichen Tatsachen, überhaupt ohne klare Vorstellungen über den Werdegang der sozialen Revolution, d. h. also auf einer utopischen Basis.“

„Das geschichtlich notwendige Ziel der Arbeiterrevolution ist letzten Endes eine Neuordnung der Produktion. Aber die Aufgaben der Arbeiterklasse in der Revolution sind zu allererst politische Aufgaben. Denn nur der sichere Besitz der politischen Macht ermöglicht es der Arbeiterklasse, die Produktion neu zu ordnen und die Gesellschaft zum Kommunismus zu führen.“

„Die politische Macht jedoch ist nichts, wenn sie nicht auf die Beherrschung der wichtigsten ökonomischen Grundlagen sich stützen kann. „ (Dritter Teil, § I)

„Die Revolution der Arbeiterklasse ist kein rein ökonomischer Akt aber ebenso wenig wird sie durch einen politischen Akt in der Hauptsache beendet. Die Revolution der Arbeiterklasse ist vielmehr in ihrem Gesamtverlauf ein einheitlicher politisch-ökonomischer Vorgang, in dem das politische von dem ökonomischen Element nie ganz reinlich getrennt werden kann. Eines von beiden zurückstellen, heißt immer, für eine Zeit von dem geraden Wege der Revolution abweichen.“

„Die russische Revolution und der Verlauf der deutschen Revolution in den Jahren 1918-23 haben gezeigt, daß das ‚als herrschende Klasse organisierte Proletariat‘ jedenfalls nichts zu tun hat mit dem bürgerlichen Staat, daß vielmehr die Organisation des Proletariats als herrschende Klasse nur vor sich gehen kann im Verlauf eines Kampfes, in dem der bürgerliche Staat zertrümmert wird und an seiner Stelle ein völlig andersgerichteter Staat (Rätestaat) sich bildet. Das Proletariat kann sich nicht als herrschende Klasse organisieren innerhalb der Formen und des Apparates deren die bürgerliche Klasse zur Ausübung ihrer Herrschaft sich bedient. So kann auch die Zentralisation der Produktionsinstrumente in den Händen des proletarischen Rätestaates nichts gemein haben mit einer Zentralisation von Industrien in den Händen eines bürgerlich organisierten Staates, gleichgültig wie die formalen Bedingungen einer solchen Zentralisation, einer solchen Verstaatlichung, einer solchen ‚Sozialisierung‘ aussehen mögen, und gleichgültig, welche und wieviel angebliche ‚Vertreter des Proletariats‘ in der Regierung eines solchen Staates mit einer sogenannten ‚Arbeiterregierung‘ sitzen mögen.“ (Dritter Teil, § II).

Leitsätze über den Charakter und die Aufgaben der revolutionären Aktionsauschüsse

Die Leitsätze mahnen die Partei und Union zu Vorsicht bei der Propaganda für die Aktionsausschüsse:

„Nur dort, wo das Entstehen der Aktionsausschüsse der Ausdruck des wachsenden revolutionären Klassenbewußtseins ist, wird deren Liquidierung nach einer Niederlage vom Proletariat nicht lediglich als ein Mißlingen eines Experiments empfunden werden, sondern von bleibendem Wert sein.”

Quelle: Neuausgabe des Programms der KAPD (Tendenz Berlin) von Januar 1924.
Orginal: aaap.be.

Die KAPD 1924: für ein neues Beginnen der Rätebewegung

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