Arbeiter in Katalonien streiken, demonstrieren und bekämpfen die Polizei. Aber wofür?
Nicht zur Verteidigung ihrer unmittelbaren Lebensbedingungen, aber aus Empörung über die Arroganz des Spanischen Zentralstaates, der Brutalität seiner Polizei, seiner konservativen Regierung und des weltfremden Königs und deren Verachtung Kataloniens. Aber was heißt es wenn die Arbeiter aus Ekel gegen diese Arroganz an der Seite ihrer lokalen Ausbeuter und Unterdrücker kämpfen? Wie können die nicht Katalanisch sprechenden Arbeiter in Katalonien – Spanier wie Einwanderer verschiedener Nationalitäten – sich solidarisch verhalten zu dieser katalanischen nationale Einheit von Arbeit und Kapital? Um noch ganz zu schweigen von den Arbeitern im übrigen Spanien und in der Welt.
Hat die Arbeiterklasse überhaupt noch eine historische Perspektive gegenüber einem Kapitalismus in der Krise, der immer mehr zerfällt in einander bekämpfenden nationalen Fraktionen? Das Kapital in der Krise zerstückelt das Proletariat, nach seinem Muster der Konkurrenz, in einander gegenüberstehenden Kategorien: nach Sprache, nach Religion, nach Nation, in Arbeitslosen und Beschäftigten, nach Art des Arbeitsvertrags (prekär oder ‚fest‘), Beruf, Ausbildungsgrad und Wirtschaftssektor.
Wie kann die Arbeiterklasse dieser untergehenden Welt des Kapitals die Kraft ihrer internationalen Einheit und Solidarität auferlegen und aller Ausbeutung und Unterdrückung ein Ende setzen? Wie kann das Weltproletariat seine Macht entwickeln um die von der Globalisierung weltweit verkettete Produktion und Verteilung umzugestalten im Dienste der sozialen Bedürfnissen einer leidenden Menschheit?
Auf der Suche nach Antworten, übersetzen wir hier die ersten Positionen von Anarchisten, und Internationalisten bzw. Linkskommunisten.
Freitag, 6. Oktober 2017
Was macht die anarchosyndikalistische CNT?
In einer Erklärung sagt die CNT: „Die Einheit von Spanien war schon immer eine Fahne hinter der die Rechten hier sich sammeln, sodaß alle Forderungen nach Selbstbestimmung irgendeines Teils davon, wie es jetzt in Katalonien der Fall ist, eine bösartige Antwort auslösen. Wir sehen bereits in vielen Städten in ganz Spanien eine Zunahme der Präsenz faschistischer Gruppen, und die konservative Regierung nimmt eine zunehmend autoritäre Haltung ein, die viele Grundfreiheiten zertrampelt. Das sind unheilvolle Anzeichen dafür, was vor uns liegen könnte. Die Repression wird sich wahrscheinlich an vielen Fronten verschlimmern, vielleicht sogar unter Einbeziehung des Militärs.“
„Macht keinen Fehler, während wir uns fest gegen die Unterdrückung durch einen zunehmend autoritären Staat und seinen faschistischen Verbündeten aussprechen, unterstützen wir die nationalistische Tagesordnung in keiner Weise.“
Die Aussage erklärt auch, daß CNT-Aktivisten „den Nationalisten Unannehmlichkeiten bereiten, und wirtschaftliche und soziale Fragen in den Vordergrund stellen, und die Menschen daran erinnern, daß die katalanische Regierung schon vor wenigen Jahren bereitwillig soziale Kürzungen durchgeführt hat.“
„Dies sollte kein Kampf sein zwischen den Nationen, sondern zwischen Klassen, zwischen einem unterdrückenden Regime und seinen faschistischen Verbündeten (ebenso ein Teil des ‚Volkes‘ wie jedes andere) und denen von uns, die für Freiheit und rebellische Würde stehen.
Wir erwarten, daß die Repression in den folgenden Wochen und Tagen ansteigt und wir werden unsere auserwählte Waffe, den Generalstreik, nutzen, um es der Polizei schwer zu machen, sich zu bewegen, Lieferungen zu erhalten und im Allgemeinen ihre Arbeit zu machen.“
Die Aussage schließt: „Als Revolutionäre glauben wir nicht, daß wir einfach untätig bleiben können, während die Polizei die Menschen auf den Straßen angreift und faschistische Banden unsere Städte frei durchstreifen.“
Quelle: General strike against state repression in Catalonia.
Der oben zitierte Artikel auf Libcom sagt weiter, daß eine Gruppe ‚alternativer‘ Gewerkschaften, unter denen die anarchosyndikalistische CNT und die ‚revolutionär-syndikalistische‘ CGT und katalanische Gewerkschaften die Initiative zum ‚Generalstreik‘ ergriffen haben. Die Hafenarbeiter-Koordination und die ‚reguläre‘ Gewerkschaften CCOO und UGT haben sich dem Generalstreik angeschlossen.
Typisch ist, daß dieser ‚Generalstreik‘ überhaupt keine Forderungen gestellt hat, die im Klasseninteresse der Proletarier Kataloniens oder besser noch ganz Spaniens wären.
Wer die Geschichte der Gewerkschaften kennt, besonders die der Haltung der CNT im Spanischen Bürgerkrieg,1 weiß aber daß sie sich in der barbarischen Dynamik von blutigem Streit zwischen kapitalistischen Fraktionen, ohne die jetzige, proletarisch anmutende, Zurückhaltung der CNT, entscheiden werden an der einen oder anderen Seite mitzukämpfen. Alle Gewerkschaften werden dann die Arbeiter überreden und notfalls zwingen ihren tagtäglichen Klassenkampf weiter aufzugeben zugunsten der Demokratie, der nationalen Einheit, oder welche sonstige bürgerliche Ideologie die das Proletariat an den bürgerlichen Staat ihrer kapitalistischen Ausbeuter kettet.
Trotzkisten, Stalinisten, Maoisten und das Recht auf Selbstbestimmung der Nationen (Lenin)
Es versteht sich von selbst, daß die sogenannten ‚Marxisten‘ die im Zweiten Weltkrieg wegen deren staatskapitalistischen Maßnahmen die Seite der Sowjetunion (und ihrer Verbündeten) verteidigt haben – sei es ohne Vorbehalte (Stalinisten und Maoisten) oder ‚kritisch‘, wie die Trotzkisten – in der heutigen Frage der Autonomie Kataloniens so oder so Lenins Selbstbestimmungsrecht der Nationen ansprechen. Ob man Lenins Nationalitätenpolitik vor und während des Ersten Weltkrieges zustimmt oder nicht2, es genügt hier darauf zu weisen daß der Separatismus der kleinen nationale Kapitale in der heutigen Phase der kapitalistischen Krise und der imperialistischen Kriege keinesfalls eine Schwächung des Imperialismus, sondern eine seiner meist rasanten Eigenschaften ist. Der Separatismus ist dagegen sehr wohl eine Schwächung der Arbeiterklasse. Die folgende, aus dem Spanischen übersetzte Zusammenfassung nimmt diesen Gedanken auf.
Katalanisches Referendum:
Und damit Basta!
Internationalistischer Klassenkampf, Sí!
Der politisch-ideologische Aspekt, unter dem dieses Referendum der Unabhängigkeit vorgestellt wird, ist ein Wettbewerb zwischen zwei Nationalismen: spanisch und katalanisch. Diese sind zwei Gifte gegen das Proletariat und die internationale soziale Revolution …
Jede bürgerliche Fraktion versucht, aus dem populären und demokratischen nationalistischen Netzwerk so viel Proletarier und kritische Elemente der Gesellschaft wie möglich zu fischen …
Was auch immer ihre Position ist, alle diese Kräfte in diesen beiden nationalistischen Projekten, sind Teil des feindlichen Lagers gegenüber dem Proletariat, wovon diese Nationalisten sich schamlos unterstützen lassen und von deren Ausbeutung sie profitieren …
… der katalanische Staat … ist seit langem Teil eines kapitalistischen Wirtschaftsrahmens … Die gegenwärtigen Konflikte zwischen dem spanischen Staat und dem katalanischen Staat sind das Produkt der wachsenden Widersprüche zwischen Bruchteilen der herrschenden Klasse … in einem historischen Muster, das gemeinhin als “Globalisierung” bezeichnet wird: eine intensive Internationalisierung des Kapitalismus, die Bewegungen und Kapazitäten des Kapitals auf nationaler und lokaler Ebene beschränkt.
Für die Arbeiterklasse ist Unterwerfung unter dem spanischen und/oder katalanischen Nationalismus konterrevolutionär und reaktionär … vor allem unter den Bedingungen der kapitalistischen Internationalisierung. Ein neuer unabhängiger katalanischer Staat wird nur dem katalanischen Kapital zugute kommen und was die Arbeiterklasse betrifft, wird er die wesentlichen Formen des kapitalistischen Imperialismus in keiner Weise schwächen. Es geht [in der Bildung eines katalanischen Staates] darum, den jeweiligen Anteil jedes nationalen Bruchteils des Kapitals zu bestimmen; es ist auch die Fähigkeit von jedem [Bruchteil], kapitalistische Allianzen im Rahmen eines internationalisierten Wettbewerbs zu bilden …
In der gegenwärtigen Funktionsweise des Kapitals nimmt die spanische und katalanische herrschende Klasse am Prozeß der kapitalistischen Akkumulation und der bürgerlichen Herrschaft über die Lohnarbeit Teil. Auf dem Spiel steht grundsätzlich die Frage nach dem jeweiligen Anteil der Macht sowie die Verteilung der überschüssigen Arbeitskraft. Die katalanische Bourgeoisie will, wenn sie ihre Unabhängigkeit erhält, den „ökonomischen Teil“ fallen lassen, und damit den Preis den sie [bis jetzt] zahlt für ihre Verantwortung in der gemeinsamen katalanisch-spanischen Herrschaft über das Proletariat in Spanien. Die katalanische Bourgeoisie will ihre eigenen Ressourcen – die sie auf dem Rücken der Proletarier angesammelt hat – für „ihre eigenen“ Wirtschaftsprojekte in den Bereichen Infrastruktur, Forschung und Entwicklung, Finanzen usw. nutzen. Sie will ein größeres Vermögen haben, den sichtbaren und unsichtbaren Teil des kapitalistischen Kuchens gegenüber der “madrilener Macht“ verwalten – sei es jener der Volkspartei oder der PSOE (und wir werden die von Podemos hinzufügen, falls sie an die Macht kommt) – die sie als „korrupter“ betrachtet als sich selber. … Sie will mehr Verfügungsgewalt um „soziales Dumping“ auf dem Gebiet der innerkapitalistischen Beziehungen frei zu machen, eine Welt des Wettbewerbs ohne Mitleid mit Kapital das weniger wettbewerbsfähig und vor allem ohne Mitleid mit den Ausgebeuteten, die immer mehr unterdrückt und verarmt werden.
Für das Proletariat gibt es nichts Positives von diesem Referendum zu erwarten!
Proletarier! Ihr dürft keine dieser Nationalismen, spanisch oder katalanisch unterstützen!
25. September 2017
Quelle: Blog Pantopolis Zusammerfassung in Französischer Sprache eines Textes auf dem spanischen Forum Inter-rev.
Die folgende Stellungnahme erschien bereits am 9. September, also einige Wochen vor dem Referendum. Der Text gibt eine gründliche Analyse der Situation aus proletarisch-internationalistischer Sicht. Wir übersetzen hier den ganzen Text, obwohl wir uns als Rätekommunisten von der am Ende des Textes vertretenen bordigistischen Partei-Auffassung distanzieren.
Referendum in Katalonien:
Gegen „nationale Einheit“!
Gegen jeden Partikularismus!
Gegen Klassenkollaboration!
Für einen unabhängigen Klassenkampf!
Am 1. Oktober beriefen die katalanische Generalitat und das katalanische Parlament ein Referendum ein über die mögliche Unabhängigkeit von Spanien der Gebiete der Autonomen Gemeinschaft Katalonien. Dies ist das zweite Referendum zu diesem Thema in den letzten Jahren: Im Jahr 2014 gab eine ähnliche Initiative ein weitgehend günstiges Ergebnis für das „Ja zur Unabhängigkeit“ der 2,3 Millionen Teilnehmer. Es war nur ein beratendes Referendum, während der erste Oktober mit einem ganzen Rechtsapparat organisiert wurde, der vom Regionalparlament sanktioniert wurde, und der behauptet in der Lage zu sein die Unabhängigkeit von Katalonien zu verkünden wenn, wie jeder vorhersagt, das Ja gewinnt.
Die spanische Regierung und alle staatlichen Institutionen, die in der territorialen Zuständigkeit verantwortlich sind (Verfassungsgericht, Justizministerium usw.), haben bereits gewarnt, daß sie die Abstimmung verhindern würden, und Präsident Rajoy hat in seinen jüngsten Erklärungen angedeutet, daß er Artikel 155 der Verfassung anwenden würde, der es ermöglicht, den autonomen Status der Regionen im Falle einer Verletzung verfassungsrechtlicher Bestimmungen in der einen oder anderen Weise zu suspendieren.
PROLETARIER !
Was mit dem Referendum des ersten Oktobers entschieden wird, ist nicht die Unabhängigkeit Kataloniens. Die Ursprünge, die Motivationen und die Ziele dieser Initiative unterscheiden sich sehr von dem, was die nationalistische Propaganda des katalanischen Kleinbürgertums, die Institutionen und Regierungsstellen der Autonomen Gemeinschaft und was der spanische Staat selbst behaupten. Die Realität ist, daß Katalonien eine harte Wirtschaftskrise durchmacht, die sich in der politischen Krise widerspiegelt in der das Referendum stattfindet. Die Krise die das Land seit Jahren verwüstet hat, ist die Ursache des Referendums sowie aller nationalistischen und demokratischen Agitation.
Seit 2007, der Anfang der kapitalistischen Krise, hat Katalonien, das historisch die wirtschaftlich günstigste Region Spaniens war, einen größeren Teil seiner ökonomischen Vorherrschaft über den Rest des Landes verloren in Sektoren wie den Export von Waren und Dienstleistungen, Industrie, dem privaten und öffentlichen Baugewerbe, usw. Katalonien sah seine Staatsschulden im Jahr 2012 bis zur Hälfte der spanischen Staatsschulden anwachsen. Schließlich gab es einen Rückfall der Auslandsinvestitionen, die in der Region traditionell sehr wichtig waren, bis hinter denen in anderen autonomen Regionen.
Das Ergebnis ist, daß der Lebensstandard der Bevölkerung, vor allem des Proletariats, der in der Regel höher ist als anderswo in Spanien, stark gesunken ist. Katalonien ist die Region, in der die Arbeitslosigkeit am stärksten angestiegen ist, sodaß es heute die Provinz ist mit der höchsten Zahl der Arbeitslosen, nach Andalusien und Extremadura.
Die außergewöhnliche Härte der Krise die Katalonien trifft, hatte ernsthafte Konsequenzen. Einerseits hat sich die katalanische Regierung – unabhängig davon welche Variante der nationalistischen Partei der katalanischen Bourgeoisie an der Spitze steht – gegen den in Spanien geltenden territorial-rechtlichen Rahmen und gegen die Grenzen der Autonomie aufgelehnt. Diese Konfrontation fand zunächst auf dem Gebiet der Steuern statt. Die katalanische Bourgeoisie forderte von der Zentralregierung mehr Kompetenz bei der Erhebung von Steuern und mehr Freiheit, die erzielten Einnahmen zu nutzen. Es war nicht so, daß eifrige katalanische Händler und Geschäftsleute mehr Lustgärten für sich wollten und weniger Schulen für Andalusien: In der kapitalistischen Welt ist der Staat grundsätzlich kein Agent der sozialen Wohlfahrt. Er ist aber der wichtigste wirtschaftliche Akteur, der einzige der in der Lage ist, die großen wirtschaftlichen Ressourcen zu mobilisieren, die notwendig sind um den reibungslosen Ablauf der Wirtschaft und des Marktes zu unterstützen. Investitionen in die Infrastruktur mit großräumiger Kapitalmobilisierung und Lösung von Logistik- und Transportproblemen für alle Kapitalisten in einer Region; öffentliche Kredite, die die Solvenz von Unternehmen in schwierigen Zeiten und ihre Expansion in Zeiten des Wohlstands garantieren; eine Sozialpolitik die die Belegschaft in einem nutzbaren Zustand für den Kapitalismus reguliert und pflegt, während sie den sozialen Frieden sichert… Alle diese Funktionen, die alle Kapitalisten interessieren, insofern keiner von ihnen sie alleine verwirklichen kann, erklären die enorme Bedeutung des Staates für die Volkswirtschaft. Durch den Kampf auf dem fiskalischen Gebiet, kämpfte die katalanische Bourgeoisie für mehr Chancen und größere Gewinne für ihr Geschäft, zum Nachteil des restlichen Spaniens. Es war nur ein Teil des kapitalistischen Profits: Steuern sind wesentlich nicht bezahlte proletarische Arbeit, ein Teil des Mehrwertes, der aus der Arbeiterklasse gepreßt wurde, der für das allgemeine kapitalistische Interesse bestimmt ist und der von den Unternehmen oder staatlichen Institutionen eingesammelt wird. Mit diesem Gewinnen stellt die Bourgeoisie sicher, daß ihre Angelegenheiten gut funktionieren werden, daß der Staat (Autonome Generalitat) das tun wird, was für ihn notwendig ist, um das Kapital in immer größerer Menge verfügbar und rentabel zu machen, usw.
Aber ein Kampf auf diesem Boden zu führen ist schwierig, vor allem, wenn die kapitalistische Krise die anderen bürgerlichen Fraktionen dazu drängt – die diesmal durch den Zentralstaat unterstützt werden – zu verhindern, daß ihnen einen Teil des Mehrwertes den sie begehren vorenthalten wird. In diesem Augenblick tritt die Konfrontation in eine Phase der offenen politischen Rivalität: Die einzige Absicht der katalanischen Bourgeoisie war es, die Steuergesetze zu ihren Gunsten zu ändern, um mit dem Zentralstaat eine günstigere wirtschaftliche Vereinbarung zu erlangen… Nachdem sie diese Schlacht verloren hatte im Namen der konstitutionellen Legalität, ging sie dazu über diese Legalität selbst zu bekämpfen. Der Kampf um die Unabhängigkeit Kataloniens deckt in Wirklichkeit nur eine Konfrontation zwischen Piraten um die Teilung der Beute ab. Natürlich nahm nicht die gesamte katalanische Bourgeoisie an diesen Unabhängigkeitsbewegungen Teil (eine Bourgeoisie, die immer die treibende Kraft der spanischen Bourgeoisie als Ganzes gewesen ist, und die den nationalen Markt benötigt als der Hauptabsatzmarkt für ihre Waren, die den Schutz des Zentralstaat benötigt gegen die Bourgeoisie anderer Länder usw.). Und in der Tat, als der Prozeß fortschritt, distanzierte ein großer Teil dieser Bourgeoisie sich davon, insbesondere die große Bourgeoisie, die durch unauflösliche Handelsbeziehungen eng mit Spanien verbunden ist, die Bourgeoisie, die die großen Finanzinstitute wie die CaixaBank kontrolliert, Elektrizitätsfirmen wie Gaz Natural, große Versicherungsgesellschaften wie Catalana Occidental oder die katalanische Arbeitgeberorganisation Fomento del Trabajo….
Das Referendum vom ersten Oktober, wie der gesamte Prozeß der Unabhängigkeit und die nationalistische, spanische oder katalanische, Ideologie die ihn umgibt, haben ihre Wurzeln in einem historischen Konflikt zwischen der katalanischen Bourgeoisie und dem Rest der spanischen Bourgeoisie. Ein Konflikt, der auf der Konkurrenz basiert, die der kapitalistischen Welt innewohnt: die Bourgeoisie hört nie auf zu kämpfen, zuerst gegen ihre feudalen Gegner, danach gegen andere Bourgeoisieen und [in allen Fällen] gegen das Proletariat. Das sind Worte, die von Marx und Engels in feurigen Buchstaben in das Manifest der Kommunistischen Partei geschrieben worden sind. Im Fall Kataloniens und Spaniens ist es ein Konflikt, der praktisch in die Gene des spanischen Staates und der kapitalistischen Entwicklung in diesem Teil des Planeten eingeschrieben ist. Jedenfalls gehorcht dieser Konflikt den unveränderlichen Gesetzen die das Leben der gesellschaftlichen Klassen in der kapitalistischen Welt regieren. Heute ist es nicht nur die traditionelle Bourgeoisie des Eixample [das Wirtschaftszentrum von Barcelona] und des Bezirks Salamanca [der gehobene Bezirk von Madrid], die einander gegenüberstehen, sondern auch die Mittelschichten, vor allem die katalanischen. Das liegt daran, daß die Wirtschaftskrise die letzteren getroffen hat, sie dazu geführt hat das Unabhängigkeitsprogramm als Abhilfe für ihre Schwierigkeiten zu betrachten: öffentliche Investitionen zur Wiederbelebung der katalanischen Wirtschaft, von denen sie die Begünstigten sind, Schutz ihrer Märkte, Anerkennung ihres Berufsstatus, usw. Die von der Krise am stärksten getroffenen Kleinbürger, die am stärksten von der Zunahme des Handelswettbewerbs betroffen sind, und die am wenigsten von der sogenannten wirtschaftlichen Erholung profitieren können, bilden, wie bei anderen Gelegenheiten, die soziale Grundlage des Bestrebens nach Unabhängigkeit, in gleicher Weise wie es im übrigen Spanien die soziale Basis war der ‚Kommunen des Wandels‘, der ‚demokratischen Regenerierung‘ und so weiter.
PROLETARIER !
Was auf dem Referendum am ersten Oktober entschieden wird, ist nicht die Unabhängigkeit Kataloniens. Wenn die Krise des Kapitalismus den wirtschaftlichen und kommerziellen Wettbewerb zwischen der katalanischen Bourgeoisie und dem übrigen Spanien wiederbelebt hat, zwischen der kleinen und der dem katalanischen Markt verbundenen Bourgeoisie und ihrer Konkurrenten im ganzen Land, dann haben sie auch die sozialen Spannungen wiederbelebt. Entlassungen, Arbeitslosigkeit, Lohnkürzungen, reduzierte Sozialleistungen, usw. sind das tägliche Brot der Proletarier Kataloniens, genau wie jener in Madrid oder Andalusien. Und zur gleichen Zeit, als es täglich diese Angriffe regnete, verbreitete die Bourgeoisie ihre ideologische Abdeckung, um die Angriffe im Namen eines für alle Klassen gemeinsamen Interesses zu akzeptieren. Und in Madrid wie in Barcelona wird die Lehre verbreitet vom gemeinsamen Interesse, von Demokratie, von Zusammenarbeit zwischen Klassen, von Wahlbeteiligung als einziges Mittel zur Verteidigung der Interessen des einen oder anderen, und so weiter.
In der Tat ist diese Demokratie die zentrale Achse des nationalistischen Prozesses und des Referendums. Wird die soziale Spannung die heute in den proletarischen Bezirken von Katalonien existiert, das ganze tägliche Elend, das die Proletarier sich anhäufen sehen; werden alle Übel die ihm von den Arbeitgebern zugefügt wird durch die Unabhängigkeit davon erlöst werden? Niemand hat es gewagt, so zu tun als ob! Und weder die an dem Prozeß beteiligten politischen Parteien, noch die Institutionen der Zivilgesellschaft (d.h. Institutionen der Bourgeoisie und des Kleinbürgertums, Vereinen von Händlern und „jungen Profis“) haben sogar die Unabhängigkeit versprochen. Das Wahlrecht steht am 1. Oktober auf dem Spiel! Es ist kein Zufall, daß die katalanischen Proletarier in den letzten drei Jahren dreimal zu Wahlen aufgerufen wurden! Am ersten Oktober sollen sie ihre Leiden vergessen, sollen sie die Kämpfe aufgeben, die sie als Klasse allein interessieren, sie sollen ihre eigenen Interessen beiseite stellen und Vertrauen in das Referendum haben, in dem Prozeß. Höhepunkte der Demokratie in denen, nach den Bürgerlichen und Kleinbürgerlichen, soziale Widersprüche zu lösen wären, und Arbeiter und Arbeitgeber, Bourgeois und Proletarier sich erlauben in das gleiche Boot zu steigen und in dieselbe Richtung zu rudern.
Am 1. Oktober behaupten die Unterstützer des Referendums von der katalanischen Nationalversammlung bis zur CUP (Partei der radikalen katalanischen Linken), einen großen Pakt zwischen den Klassen zu fördern, der den sozialen Frieden garantieren soll, während die Bourgeoisie über ihre Interessen mit dem spanischen Staat verhandelt. Alle Proklamationen des nationalistischen Kleinbürgertums sagen eigentlich dasselbe: “Das Wichtigste ist, daß die Leute abstimmen, danach werden wir schon weiter sehen.”
Und so ruft jeder einstimmig, ohne zu zögern oder zu fragen, danach sich zu beteiligen [am Referendum], um alle Interessen zu vergessen, außer denen „der Nation und der Gesellschaft“. Nach dem ersten Oktober, nach dem Referendum, würde ein vollkommener demokratischer Konsens erreicht werden, um auf dem sozialen Feld alle Maßnahmen zu legitimieren, alle Bestimmungen im Interesse der katalanischen nationalen Einheit, der Volkswirtschaft … Verteidigung exklusiver Kapitalinteressen.
Welche Unabhängigkeit, wenn überhaupt, erhoffen sich die Autoren des Referendums?
Von der Mas-Puigdemont-Partei wissen wir fast alles: Sie sind die Erben der katalanischen bürgerlichen Tradition und wenn sie dahin gekommen sind, liegt es daran, daß sie keine Mindestvereinbarung gefunden haben, die ihnen erlaubt hätte, diese Situation zu vermeiden. Sie werden so schnell wie möglich wieder zurück rudern.
Von der kleinbürgerlich-parlamentarischen, legalistischen und institutionellen CUP ist nichts Neues zu erwarten: Sie appellieren an das „Volk“ für eine friedliche und demokratische Unabhängigkeit, die durch Abstimmung und institutionellen Ungehorsam gewonnen wird. Sie wiederholen, daß es genügt einfach das „demokratische Entscheidungsrecht“ wirken zu lassen, und der spanische Staat würde resignieren. Kurz gesagt, sie verlangen, daß ihr „Volk“ sich verhaften, schlagen und mit leeren Händen und nackter Brust unterdrücken läßt.
Weder die PDeCAT (Katalanische Europäische Demokratische Partei) noch die CUP sucht etwas anderes als die Genehmigung der bürgerlichen Politik unter dem nationalistischen Schleier. Das Proletariat kann von diesen Parteien nur erwarten, daß sie es in unnötigen Schlachten erschöpfen, mit Hand und Fuß an seinen Klassenfeind fesseln will – das ist was das Referendum vom ersten Oktober erreichen will.
PROLETARIER !
Während die katalanische Eigentümlichkeit, die von der Bourgeoisie auf die Ebene des „Nationalismus“ erhoben wird, um das Proletariat am 1. Oktober an den Wagen der Demokratie zu fesseln, nutzt die spanische Bourgeoisie die Gelegenheit, einen Reigen nationalistischer Vorurteile innerhalb des Proletariat im Rest des Landes zu verbreiten. Im Angriff gegen den katalanischen Nationalismus, auch im Namen der Demokratie, versucht sie, die Ketten zu stärken, die das Proletariat an die Verteidigung der überlegenen Interessen der Nation fesselt. Sie will ihre Weigerung das Referendum anzuerkennen vorstellen als Verteidigung der Demokratie und des allgemeinen Interesses, wobei sie genau dieselben Argumente verwendet wie die Autonome Regierung. Demokratische Propaganda ist die Waffe auf beiden Seiten, um die bürgerliche Herrschaft über die proletarische Klasse zu stärken.
PROLETARIER !
Die katalanische Arbeiterklasse steht seit jeher an der Spitze des anti-bürgerlichen Kampfes in Spanien. Sie war es, die in der Tragischen Woche von 1909 gegen den Marokkokrieg aufstand, der von der katalanischen und spanischen Bourgeoisie ausgelöst wurde. Sie war es, die die große Klassengewerkschaft des spanischen Proletariats, die CNT, geschaffen und organisiert hat. Sie war es, die die größten Beispiele der revolutionären Militanz gab, und sie war es, die die Militärische Reaktion im Jahre 1936 stoppte. Und sie vollbrachte diese Handlungen immer auf der Grundlage der radikalen Ablehnung jeglicher Art von Nationalismus, jeder Art von nationaler bürgerlicher Einheit, weil sie die Einflüsse des radikalisierten und separatistischen Kleinbürgertums im Proletariat bekämpfte.
Das ist die Geschichte, das ist der Kampf und die Haltung, die spontan anti-bürgerlich (und wirklich antikapitalistisch, trotz des Hohns der Kleinkrämer der CUP) war, die die Arbeiterklasse von Katalonien ihren Klassenbrüdern im ganzen Lande zeigte und die sie auch morgen zeigen kann – wenn sie weiß, wie sie sich im Klassenkampf wieder zusammenschließt und ihre Klassenpartei wieder herstellt. Und das ist die Gefahr, die die nationalistische Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie durch die Berufung auf die nationale Einheit und die Demokratie abwehren wollen.
PROLETARIER !
Der erste Oktober entscheidet nichts. Aber die Organisation des Referendums und die Reaktion des spanischen Staates sind Symptome einer latenten gesellschaftlichen Krise, die sich in Zukunft nur verschärfen wird. In dieser Krise wird die Bourgeoisie versuchen, das Proletariat zu lähmen, um es an die Verteidigung der kapitalistischen Interessen im Namen der Nation zu binden. Sie wird es als Kanonenfutter in seinen Konfrontationen mit anderen Bourgeoisieen verwenden und wird es aufrufen um alle Opfer im Namen des “allgemeinen Interesses” zu akzeptieren.
Um diesem Schicksal zu entgehen, um sich der dunklen Zukunft entgegen zu stellen die sich abzeichnet, muß das Proletariat die Einheit mit der Bourgeoisie, die Zusammenarbeit und die Verteidigung der „nationalen Einheit“ ohne zögern ablehnen – ob es die Nation ganz Spaniens oder die eines unabhängigen Kataloniens ist. Weder die Groß- noch die Kleinbürger sind Verbündete des Proletariats: ihre politischen Programme bedeuten ihm nur Elend und Unterdrückung.
Nur indem es den Weg des Klassenkampfes zurückfindet, der kompromißlosen Verteidigung seiner Interessen, auf der unmittelbaren Ebene sowie auf dem allgemeinen politischen Terrain, mit eigenem Programm und eigener Perspektive und unter der Führung seiner revolutionären Klassenpartei, wird das Proletariat einen Ausweg aus der Ausbeutung und Unterdrückung finden können, die ihm von der Bourgeoisie aufgebürdet wird.
Gegen alle Nationalismen !
Gegen jeden Partikularismus !
Gegen die Verteidigung der nationalen Einheit !
Gegen die Zusammenarbeit zwischen den Klassen !
Internationale Kommunistische Partei
9 September 2017
1Sehe Die Holländische Kommunistische Linke von P. Bourrinet, Kapitel IX. – Die Internationalisten Hollands gegenüber den spanischen Ereignissen (1936-1937).
2Rosa Luxemburg, de Niederländische Linke um Gorter und Pannekoek, und die Deutsche Kommunistische Linke die sich zusammen fand in der Kommunistische Arbeiter Partei, haben sich alle Lenins Position widersetzt.
Übernahme bitte immer mit Quelle: arbeiterstimmen.wordpress.com