[Prag] Protest vor der Zentrale der STV GROUP wegen ihre Unterstützung des Massakers (nicht nur) in Gaza

Im Rahmen der Aktionswoche im Mai rufen wir zu einer Protestaktion am Montag, den 20. Mai 2024 vor dem Hauptsitz der STV GROUP a.s. in Prag auf. Die STV Group unterstützt materiell die israelische Armee, die die Bevölkerung von Gaza massakriert. Sie ist Teil einer Kriegsmaschinerie, die ein profitables Geschäft ist und gleichzeitig Zerstörung, Tod, Elend und Hunger bringt…

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[Prag] Protest vor der Zentrale der STV GROUP wegen ihre Unterstützung des Massakers (nicht nur) in Gaza

[Prag] Demonstration gegen kapitalistische Kriege und kapitalistischen Frieden


Das Kollektiv, das die Aktionswoche im Mai in Prag organisiert, ruft zu einer Antikriegsdemonstration auf, die am Freitag, den 24. Mai 2024 um 17:00 Uhr auf dem Palacký-Platz stattfinden soll.

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[Prag] Demonstration gegen kapitalistische Kriege und kapitalistischen Frieden

David Adam: Die Arbeitszeitrechnung und das Absterben des Staates. Beiträge zur Kritik gängiger Irrtümer

Neu bei Red & Black Books

Covertext

Marx und Engels haben die Grundprinzipien der Alternative zum Kapitalismus in Übereinstimmung mit ihrer Kapitalismuskritik klar formuliert:

  • Die Arbeitszeitrechnung ist die unvermeidliche ökonomische Grundlage der kommunistischen Gesellschaft.
  • Die Kommune ist die politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen kann.

Libertäre Kapitalismuskritiker mögen diese Alternative nicht. Sie wollen in einer Gesellschaft leben, aber frei von ihr sein. Die Theoretiker dieser modernen Form des utopischen Sozialismus reformulieren „die zentralen Kategorien der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie …, um die Grundlage für eine radikal-kritische begriffliche Neubestimmung des Wesens der zeitgenössischen kapitalistischen Gesellschaft zu schaffen.“ (Moishe Postone)

David Adam zeigt in den hier versammelten Aufsätzen, dass diese „Reformulierung der zentralen Kategorien der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie“ durch die Vertreter der sogenannten Wertkritik, schlicht auf einem falschen Verständnis der Marxschen Wertkritik beruht und dass über diese Revision der Marxschen Kapitalismuskritik zugleich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage der ökonomischen Lebensfähigkeit einer sozialistischen Gesellschaft verhindert wird, indem sie dazu verleitet, die „Selbstverwaltung“ auf der Grundlage der Arbeitszeitrechnung als eine Art kapitalistisches Programm zu betrachten.

Inhalt

  • Vorwort des Herausgebers
  • Marx‘ Kritik der sozialistischen Arbeits-Geld-Systeme und der Mythos vom Proudhonismus des  Rätekommunismus
  • Postones „Auflösung“ des imaginären Widerspruchs von Marx
  • Zur Revision des Begriffs der „abstrakten Arbeit“
  • Karl Marx und der Staat
  • Literaturverzeichnis

Vorwort des Herausgebers

Am 20. September 1884 schrieb Friedrich Engels an Karl Kautsky: „Ähnlich [wie Rodbertus] machst Du es mit dem Wert. – Der jetzige Wert ist der der Warenproduktion, aber mit Abschaffung der Warenproduktion ‚ändert‘ sich auch der Wert, d. h. der Wert an sich bleibt, wechselt nur die Form. – In der Tat aber ist der ökonomische Wert eine der Warenproduktion angehörige Kategorie und verschwindet mit ihr [Anti-Dühring, S. 278ff], wie er vor ihr nicht bestand. Das Verhältnis von Arbeit zu Produkt drückt sich vor der Warenproduktion und nach ihr nicht mehr in der Form von Wert aus.“[1]

Auf den Hinweis von Engels, dass der Wert begrifflich an die Eigentumsverhältnisse bzw. an die auf ihnen beruhenden Austauschverhältnisse gebunden und daher mit ihnen aufgehoben ist, antwortete Kautsky: „Namentlich sehr anregend war das, was Du mir bezüglich des Werts geschrieben hast. Unbewusst hängt unser einem immer noch hie und da eine Eierschale der metaphysischen Anschauungsweise an – freilich bedarf es nur eines Hinweises, um sie abzustreifen.“[2]

38 Jahre nachdem Kautsky die „Eierschale der metaphysischen Sicht“ abgestreift hatte, schrieb er in seiner Schrift „Die proletarischen Revolution und ihr Programm„: „… die Fortdauer des Gelds als Wertmaßstab für die Buchführung und die Berechnung der Austauschverhältnisse [wird] in einer sozialistischen Gesellschaft unentbehrlich sein. … Das Ausmaß der Produktion und die Höhe der Preise ist dort nicht Ergebnis des anarchischen Produzierens für den Markt. … Die Ziffern der Produktion und der Preise einzelner Waren können nun … abweichend von den aus der kapitalistischen Zeit übernommenen festgelegt werden.“[3]

Weitere 47 Jahre später, 1969, – als die Marxisten-Leninisten noch versuchten, das Wertgesetz auf dem „langwierigen und komplizierten Übergang zur kommunistischen Gesellschaft“ (Lenin) bewusst zum Wohle des Proletariats anzuwenden – schrieb Gilles Dauvè im Zuge der Studentenrevolte in Frankreich: „Lest nicht die Marxisten, lest Marx! … Der alte und der neue Reformismus haben immer die Reichen im Visier, aber es geht nicht um individuelle Profite, so ungeheuerlich sie auch sein mögen, sondern um den Zwang, die Orientierung, die der Produktion und der Gesellschaft durch ein System auferlegt wird, das vorschreibt, was und wie zu produzieren und zu konsumieren ist.“[4]

In Deutschland formulierte Robert Kurz, Mitherausgeber der Zeitschrift Krisis und Mitglied der gleichnamigen Gruppe, 1987 diese Kritik am sogenannten Traditionsmarxismus folgendermaßen:

„Kein Teil des theoretischen Gebäudes von Marx hat für die Marxisten weniger wirkliche Bedeutung gehabt als das Fundament der Werttheorie. Die meisten politischen, strategischen und programmatischen Schlussfolgerungen der Marxisten standen in keinerlei organischer Beziehung in der von Marx geleisteten Kritik des Wertes. … Zum einen war es nicht so sehr der Wert, was von elementarem Interesse schien, sondern vielmehr der MEHRWERT. … Wenn Kautsky oder später Lenin die  Arbeitswerttheorie  gegen die Grenznutzenschule oder andere bürgerliche Kritiker verteidigten, so immer sub specie der Affirmation des werteschaffenden Arbeiters, nicht etwa der Kritik des Werts als einer negativen, zerstörerischen Potenz. … Die Alternative zum Kapitalverhältnis schien nicht die Aufhebung des Werts als solchen zu sein, sondern eine genossenschaftliche Warenproduktion. … Zum zweiten aber war es das Wertgesetz, das für den traditionellen Marxismus im Unterschied zur Theorie des Werts selber sich als Gegenstand der Kritik und Auseinandersetzung be­währte. … Die Anarchie des Marktes wurde ebenso wenig wie der Mehrwert als das wirkliche Dasein des Werts selber begriffen, sondern als eine äußere, fehlerhafte Folge des auf Profit gerichteten Handelns der Kapitalisten. … Zentraler Ansatz der Kritik war jedoch grundsätzlich nicht die Wertkategorie selber, sondern vor allem der blinde Marktmechanismus. Wie es möglich schien, den werteschaffenden Arbeiter vom fehlerhaften Prinzip des Mehrwerts zu befreien, so auch die weiterhin auf dem Wert beruhende gesellschaftliche Reproduktion von der krisenhaften blinden Marktregulierung. … Wie die verkürzende Kritik des Mehrwerts den Genossenschaftssozialismus hervorgebracht hatte, so die ebenso verkürzende Kritik des blinden Marktes den Staatssozialismus. … eine revolutionäre Position … muss den Wert oder das Wertverhältnis selber als Vergesellschaftungsform beseitigen.“[5]

So weit, so gut, aber bei der entscheidenden Frage, was der Wert als ökonomische Kategorie ist, landeten beide Vertreter der sogenannten Wertkritik bei der abstrakten Arbeit. Allerdings nicht als bloßes Missverständnis, wie bei Kautsky, sondern als bewusste Neuinterpretation bzw. Kritik der Marxschen Analyse oder wie Moishe Postone es formuliert, als „Versuch, das kapitalistische Wesen neu zu bestimmen.“[6]

Worin diese Neuinterpretation der marxschen Kapitalismuskritik besteht, führt Julian Bierwith als Vertreter der Krisis Gruppe eindrucksvoll vor: 

„Es ist ein zentrales Charakteristikum des Kapitalismus, dass er die Menschen voneinander trennt und sie als ‚vereinzelte Individuen‘ (Marx) ihr Überleben sichern müssen. Daraus ergibt sich der merkwürdige Widerspruch, dass die Menschen sich vergesellschaften, indem sie ihre privaten Interessen verfolgen. Sie tun das aber, indem sie ihre privaten Arbeitsprodukte als Waren miteinander in Beziehung setzen. Aus diesem Grund kommt der Arbeit [?!] eine so zentrale Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft zu: Sie [die Arbeit!] ist das Prinzip der gesellschaftlichen Vermittlung.“[7]

Wie für die Krisis-Gruppe ist auch für Dauvé das gesellschaftliche Vermittlungsprinzip im Kapitalismus nicht der mit den Eigentumsverhältnissen verbundene Wert im Marxschen Sinne, sondern die abstrakte Arbeit. Dauvé schreibt: „Der Wert eines Produkts, unabhängig von seiner Verwendung, ist das in ihm enthaltene Quantum abstrakter Arbeit, d. h. das Quantum gesellschaftlicher Energie, das zu seiner Reproduktion notwendig ist.“[8] „Arbeit beinhaltet Zeitzählung und Zeitersparnis, was wiederum die Quantifizierung der durchschnittlichen Arbeitszeit impliziert, die für die Produktion dieses oder jenes Gegenstands erforderlich ist: mit anderen Worten, das, was Marx zu Recht Wert nennt.“[9]

Das ist falsch. Der Wert, um den sich im Kapitalismus alles dreht, ist mit den Attributen abstrakt und gesellschaftlich notwendig nicht hinreichend bestimmt. Abstrakte Arbeit ist die Substanz und gesellschaftlich notwendig der Maßstab des Wertes. Beide zusammen begründen aber kein Wertverhältnis. Nur auf der Grundlage der Eigentumsverhältnisse muss das gesellschaftliche Verhältnis der Arbeitsteilung indirekt durch den Tausch einander ausschließender Eigentümer hergestellt werden, indem die individuelle Arbeit auf den Märkten unter Abstraktion von der konkreten Tätigkeit nach der gesellschaftlich notwendigen (d.h. praktisch durchschnittlichen) Arbeitszeit bewertet wird. Auf der Grundlage kapitalistischer Eigentumsverhältnisse unterscheidet sich das Quantum Arbeit, das die Privatproduzenten in die Gesellschaft einbringen, gewöhnlich von dem Quantum gesellschaftlicher Arbeit, das sie dafür erhalten. Da ihre Leistungsfähigkeit in der Regel von der durchschnittlichen Leistungsfähigkeit der Gesellschaft abweicht, können die individuellen Arbeitszeiten der voneinander getrennten Privatarbeiten nicht als Grundlage des Austausches dienen, sondern in diesem muss notwendigerweise auf einen anderen Maßstab Bezug genommen werden. Dieser Maßstab ist die in den Produkten verkörperte gesellschaftlich notwendige Arbeit. Unter dieser Bedingung, und nur unter dieser Bedingung, wenn die Privatproduzenten in der Konkurrenz darauf verwiesen werden, ihre Arbeit gegen das einzutauschen, was sie wert ist, d.h., gegen ihr Äquivalent in Form gesellschaftlich notwendiger Arbeit, ver­wandelt sich die in den Produkten geronnene gesellschaftliche Arbeit in Wert, der als Grundlage für den Austausch der Waren durch die Privatproduzenten dient. Abstrakte Arbeit wird also nur dann zur Substanz der ökonomischen Wertkategorie, wenn es sich um Produkte getrennter, unabhängig voneinander geleisteter Privatarbeit handelt.[10]

Das ist keine Spitzfindigkeit. Auch wenn Geld- und Arbeitszeitrechnung über die gesellschaftliche Verrechnung von Güterbewegungen oberflächlich Ähnlichkeiten aufweisen, sind sie doch Ausdruck unterschiedlicher Produktionsverhältnisse. Mit der Durchsetzung der individuellen Arbeitszeit als Maßstab für den Anteil am gesellschaftlichen Arbeitsprodukt wird die in den Arbeitsprodukten enthaltene Arbeit nicht über den Umweg der Bewertung durch die Konkurrenz auf den Märkten oder durch staatliche Behörden bestimmt, sondern direkt als gesellschaftliche anerkannt. Für die Mitglieder der Gesellschaft bedeutet dies, dass sie mit ihrer individuellen Arbeitszeit unmittelbar ihren Anteil am gesellschaftlichen Reichtum bestimmen.

Während in der arbeitszeitvermittelten Güterzirkulation niemand etwas geben kann außer seiner Arbeit und nichts in das Eigentum des Einzelnen übergehen kann außer den individuellen Konsumtionsmitteln, können in der wert-(geld-)vermittelten Produktionsbeziehung Menschen ausgebeutet werden, indem die Differenz zwischen dem Wert der Arbeitskraft und dem Wert, den sie den Produkten hinzufügt, vom Käufer der Arbeitskraft angeeignet wird. Auf diesem Wege können nicht nur die individuellen Konsumtionsmittel, sondern auch die Produktionsmittel in das Eigentum des Geldbesitzers übergehen. Mit der Durchsetzung der individuellen Arbeitszeit als Maßstab für den Anteil am gesellschaftlichen Arbeitsprodukt wird diese Aneignung des Mehrwerts in der Lohnarbeit aufgehoben und damit die Herrschaft derjenigen beendet, die über den gesellschaftlichen Produktionsapparat und damit auch über seine Produkte verfügen. Mit dem Eigentum an den Produktionsmitteln verschwindet der auf Eigentum beruhende Warentausch und damit der Wert mit seiner allgemeinen stofflichen Form, dem Geld. Das Geld als allgemeine Zugriffsmacht und Zweck des Wirtschaftens (Kapitalakkumulation) ist aufgehoben.

Durch die Arbeitszeitrechnung, die das Verhältnis von Arbeitsaufwand und Ertrag für alle Gesellschaftsmitglieder transparent macht, ist zugleich die materielle Grundlage geschaffen, auf der eine Produktionsplanung möglich wird, in der die Menschen nach individueller Abwägung von Aufwand (individuelle Arbeitszeit) und Ertrag (gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit) selbst entscheiden können, was sie haben wollen. Auf dieser Grundlage, und nur auf dieser Grundlage, wird der emanzipatorische Gedanke, dass an die Stelle der Herrschaft über Personen die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen durch die freie Assoziation der Individuen tritt, von der Phrase zur materiellen Wirklichkeit. Jedes Gesellschaftsmit­glied kann so über seine individuelle Arbeitszeit und seinen Konsum selbst bestimmen. Die individuellen Bedürfnisse werden gegen den gesellschaftlichen Arbeitsaufwand abgewogen und über die Konsumwünsche und die ihnen entsprechende individuelle Arbeitsbereitschaft in den gesellschaftlichen Planungsprozess eingebracht. Über die Arbeitszeitrechnung löst sich somit die Frage von Produktion und Verteilung in der gemeinschaftlichen Produktionsplanung auf. Ob Arbeitszeitkonten dabei nur eine öffentliche Information darstellen oder (bei fehlender Solidarität hinsichtlich der für den eigenen Konsum notwendigen Arbeit) einen verpflichtenden Charakter bekommen, ist im Sinne dieser „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ eine zweitrangige Frage.[11]

Die für die Marxsche Analyse grundlegende Unterscheidung zwischen privater und unmittelbar gesellschaftlicher Arbeit wird von der Wertkritik nicht kritisiert, sondern schlicht ignoriert. Die Begriffe Tausch, Ware und Lohnarbeit werden zwar häufig verwendet, aber begrifflich nicht mit den ihnen zugrunde liegenden Eigentumsverhältnissen verbunden, sondern als Ergebnisse der allgemeinen Arbeitsteilung interpretiert, die in der „Reformulierung der Marxschen Kritik“ zum Aus­gangspunkt des Werts erklärt wird. Indem so unter­schiedliche Sachverhalte mit denselben Begriffen belegt werden, trägt die sogenannte Wertkritik zur intellektuellen Verwirrung bei. Dauvé schreibt:

„Solange Güter nicht getrennt produziert werden, solange es keine Arbeitsteilung gibt, vergleicht man die jeweiligen Werte zweier Güter nicht und kann sie auch nicht vergleichen, da sie gemeinsam produziert und verteilt werden. Der Moment des Tausches, in dem die Arbeitszeiten zweier Produkte gemessen und die Produkte entsprechend getauscht werden, gibt es noch nicht.“[12]

Da Dauvé seine eigene falsche Bestimmung des Werts Marx zuschreibt („Arbeit beinhaltet Zeitzählung und Zeitersparnis, was wiederum die Quantifizierung der durchschnittlichen Arbeitszeit impliziert, die für die Produktion dieses oder jenes Gegenstands erforderlich ist: mit anderen Worten, das, was Marx zu Recht Wert nennt“), kommt er zu dem Schluss, dass Marx hier etwas durcheinandergebracht hat:

„Er lieferte alle Elemente, um zu verstehen, dass der Wert in der Produktion entsteht und sich im Austausch manifestiert, aber er stellte den Austausch – den Markt – immer noch so dar, als würde er den gesamten Prozess bestimmen: Daher wäre eine Produktion ohne Markt, d.h. die assoziierte Arbeit, der Schlüssel zur Emanzipation.“[13]

Diese Vermengung von Arbeit mit Privatarbeit, von Arbeitsteilung mit Tausch führt Dauvè zu seiner falschen Einschätzung der Arbeitszeitrechnung: „… der Haken an der Sache ist, dass ein rationales Buchhaltungssystem in Arbeitszeit der Wertregel ohne das Medium Geld entsprechen würde, da der Wert die gesellschaftliche Arbeitszeit ist, die zur Produktion einer Sache notwendig ist.“[14] „… Marx befand sich im Widerspruch zu sich selbst, als er die gesellschaftliche Arbeitszeit als etwas vom Wert Verschiedenes und Gegensätzliches darstellte … .“[15]

In den in diesem Buch versammelten Aufsätzen von David Adam wird anhand der Marxschen Argumentation detailliert nachgewiesen, dass es sich bei der wertkritischen Neuinterpretation der Marxschen Wertkritik um eine Fehlinterpretation handelt. In seinem Fazit weist Adam zudem darauf hin, dass es sich dabei nicht nur um ein harmloses Missverständnis der Marxschen Kapitalismuskritik handelt, sondern dass diese Revision eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Frage der ökonomischen Lebensfähigkeit einer sozialistischen Gesellschaft verhindert, indem sie dazu verleitet, die Selbstverwal­tung auf der Grundlage der Arbeitszeitrechnung als eine Art kapitalistisches Programm zu betrachten.

Bevor sich der Leser in diesen Abgrund intellektueller Verwirrung begibt – den Versuch, wie Postone es ausdrückt, „die zentralen Kategorien der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie auf der grundlegendsten Ebene zu reformulieren, um die Grundlage für eine radikal-kritische begriffliche Neubestimmung des Wesens der zeitgenössischen kapitalistischen Gesellschaft zu schaffen“[16] -, lohnt es sich, einen kurzen Blick darauf zu werfen, wohin uns die Kritiker der Marxschen Werttheorie eigentlich führen wollen. Ein Blick also auf die Alternative zum Kapitalismus, die sich aus ihrer Wertkritik ableiten lässt.

Die Schlussfolgerung, die die Krisis-Gruppe aus ihrer Revision der Marxschen Werttheorie im Hinblick auf die von ihr angestrebte soziale Emanzipation zieht, sind unspezifisch und geben der Rhetorik den Vorzug vor der Substanz:

„Solange die Menschen sich über Waren und abstrakte Arbeit vermitteln, werden sie nicht frei über ihre gesell­schaftlichen Verhältnisse verfügen können … Daher kann die einzige Perspektive gesellschaftlicher Emanzipation nur in der Aufhebung dieser Vermittlungsform beste­hen. … Anzustreben ist der Aufbau eines neuen Sektors breiter gesellschaftlicher Selbstverwaltung, die sich, was die technische Seite betrifft, aller vorhandenen Produktivkraftpotentiale bedient, um dezentrale, aber global vernetzte Strukturen aufzubauen. Hauptsächlich wird es aber darum gehen müssen, neue Formen der gesellschaftlichen Vermittlung zu entwickeln [?!], in denen frei assoziierte Individuen bewusst über ihre Angelegenheiten entscheiden.“[17]

„An die Stelle der Warenproduktion tritt die direkte Diskussion, Absprache und gemeinsame Entscheidung der Gesellschaftsmitglieder über den sinnvollen Einsatz der Ressourcen. … Die entfremdeten Institutionen von Markt und Staat werden abgelöst durch ein gestaffeltes System von Räten, in denen vom Stadtteil bis zur Weltebene die freien Assoziationen nach Gesichtspunkten sinnlicher, sozialer und ökologischer Vernunft über den Fluss der Ressourcen bestimmen. … Die Parole der sozialen Emanzipation kann nur lauten: Nehmen wir uns, was wir brauchen! … Die Voraussetzung dafür ist die Kontrolle neuer sozialer Organisationsformen (freier Assoziationen, Räte) über die gesamtgesellschaftlichen Bedingungen der Reproduktion.“[18]

Das weltweite „emanzipatorische“ Produktionsverhältnis soll statt auf der materiellen Grundlage der Arbeits­zeitrechnung über ein höheres moralisches Prinzip geregelt werden: 

„… beim Kommunismus heißt es ‚ganz oder gar nicht‘. Er hat nicht eine humanere und vernünftigere Organisation des Kapitalismus anzubieten, sondern etwas ganz Neues, was bisher nur Wenigen vorbehalten war: die Freiheit, über die eigene Lebenszeit zu verfügen. Ein Ende von Selbstunterwerfung und Entfremdung, Zeit für Sorge, ‚travail attractif‘ (Marx), Raum für resonante, lebendige Weltbeziehung. Und noch etwas, das noch viel schwerer zu vermitteln ist und in commonistischen Keimformen aufscheint: Solidarität.“[19]

„Arbeitskritik zielt auf nichts weniger, als auf die Herstellung einer Gesellschaft, … in der jeder und jede nach seinen und ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten tätig sein kann. Mit anderen Worten, sie zielt auf die An­eignung des gesellschaftlichen Zusammenhangs durch frei assoziierte Individuen in der Gestalt einer allgemeinen gesellschaftlichen Selbstorganisation.“[20]

Im Vergleich zu diesem phrasenhaften Idealismus von „neuen Formen der sozialen Organisation (freie Assoziationen, Räte)“, für die noch „neue Formen der sozialen Vermittlung“ entwickelt werden müssen, weil sonst schlicht die Grundlage für einen von den Gesellschaftsmitgliedern selbstbestimmten Produktions- und Reproduktionsprozess fehlt, haben Dauvé und seine Anhän­ger mit ihrer umfassenden Kritik an Produktivität und Arbeitsteilung eine klarere politische Vision. Ihre Utopie ist in ihrer konsequenten Radikalität erschreckend.

„Nur wenn wir die gesellschaftliche Arbeitsteilung und alle Arten von Trennung aufheben, wird das tägliche Leben einen Punkt der Universalität erreichen, der nicht durch Waren vermittelt ist.“[21] … Im Gegensatz zu Marx versuchen wir, über die Grenzen der produktiven Sphäre hinauszugehen. Für uns übersteigt die „Gesamtheit der Fähigkeiten“ die Sphäre der Produktion und untergräbt das Konzept der Ökonomie selbst, indem wir die Zeitrechnung ablehnen und den Selbstgenuss direkt in das einbeziehen, was früher Produktion war. … Sein, nicht haben. … warum sollte der Hunger nicht auch Genuss sein, wie das Begehren im Vorfeld des Liebesaktes, das aktiv an der Befriedigung der Bedürfnisse der Liebenden beteiligt ist? … Für die Person, die keine Angst mehr vor dem Hunger hat, kann das Warten ein zusätzliches Vergnügen sein, so wie das Vorspiel ein angenehmer Teil des Liebesspiels ist.“[22]

Noten

[1] Friedrich Engels, Briefwechsel mit Karl Kautsky, Danubia Verlag 1955, S. 144, MEW 36, S. 210. Gedankenstriche und Hervorhebung wurden den Zitat hinzugefügt

[2] Ebenda, S. 146 (11 Oktober 1884)

[3] Karl Kautsky, Die proletarischen Revolution und ihr Programm, Stuttgart 1922, S. 318/322

[4] Gilles Dauvè, Eclipse and Re-emergence of the Communist Movement, Revised edition published in 2014, S. 13/41

[5] Robert Kurz, Abstrakte Arbeit und Sozialismus. Zur Marx’schen Werttheorie und ihrer Geschichte, S. 1ff

[6] Moishe Postone, Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft,    ça ira Verlag 2003, S. 11

[7] Julian Bierwith, Wie im Kapitalismus. Die Arbeitszeitrechnung stellt keine Alternative zum Kapitalismus dar. Hervorhebung und Kommentar in Klammern wurden den Zitat hinzugefügt.

[8] Gilles Dauvè, Eclipse and Re-emergence of the Communist Movement, S. 35

[9] Ebenda, S. 112

[10] Siehe hierzu: L.L. Men, Was ist Sozialismus, Red & Black Books 2023, S. 32

[11] Ausführlich dargelegt in: Gruppe Internationaler Kommunisten, Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung, Red & Black Books 2020

[12] Gilles Dauvè, Eclipse and Re-emergence of the Communist Movement, S. 37. Hervorhebung hinzugefügt.

[13] Ebenda, S. 112

[14] Ebenda, S. 95

[15] Ebenda, S. 119

[16] Moishe Postone, Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft, S. 11

[17] Norbert Trenkle, Die Arbeit in Zeiten des fiktiven Kapitals. Hervorhebung und Klammer wurden hinzugefügt.

[18] Gruppe Krisis, Manifest gegen die Arbeit (1999)

[19] Simon Sutterlütti, Die Arbeitszeitrechnung wäre nur eine Variation des realsozialistischen Staatskapitalismus

[20] Norbert Trenkle (Gruppe Krisis), Das Manifest gegen die Arbeit zwanzig Jahre später. Nachwort zur vierten Auflage

[21] Bruno Astarian and Gilles Dauve, Everything Must Go! The Abolition of Value, S. 140

[22] Ebenda, S. 121/122/124/173

David Adam: Die Arbeitszeitrechnung und das Absterben des Staates. Beiträge zur Kritik gängiger Irrtümer

Kriegsflüchtlinge willkommen:

  • Frauen und Kinder
  • Arbeitsmigranten
  • Kriegsdienstverweigerer und Deserteure

Was auch immer in Ihrem Reisepass steht:

  • Ukraine oder Russland
  • Israel oder Palästina

Forderungen:

  • Keine Zwangsrückkehr
  • Keine Abschaffung von Unterkünften und Einkommen, sondern deren Verbesserung
  • Gleiche Arbeitsbedingungen für alle Arbeiter, ungeachtet ihres Passes

‚Unser‘ Staat beteiligt sich an den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten mit:

  • Waffenlieferungen
  • militärischer Ausbildung
  • Milliarden an Hilfsgeldern

Die Arbeiter zahlen für diese Beteiligung „ihres“ Staates an Kriegen mit:

  • Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen
  • Senkung der Löhne und Sozialleistungen angesichts der Inflation
  • Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und der sozialen Dienste
  • im Krieg mit ihrem Blut, ihrem Leben oder lebenslangen Traumata

Die Antwort auf diese Angriffe von Staat und Kapital in ALLEN Ländern, die direkt oder indirekt an den Kriegen beteiligt sind, kann KEIN FRIEDEN ZWISCHEN DEN KLASSEN sein.

Die Antwort der internationalen Arbeiterklasse in Gaza, im Westjordanland, in Israel, in der Ukraine, in Russland, im Iran, in China, in den USA, in der Europäischen Union, überall, kann nur sein:

  • der Kampf der Arbeiter als Verteidigung gegen die Verschlechterung unserer Lebensbedingungen
  • Arbeiterkampf, auch wenn er zur Niederlage „unseres“ Staates im Krieg führt
  • Arbeiterkampf, auch wenn er dazu führt, dass die Staatsmacht durch die Macht der in Räten organisierten Arbeiterklasse ersetzt wird (wie das Ende des Ersten Weltkriegs gezeigt hat)

STREIKT! STREIKT! STREIKT! STREIKT! STREIKT!

Verbreite diesen Aufruf über „soziale“ Medien, den Kopierer am Arbeitsplatz oder in der Schule, in Briefkästen und auf Plakaten

Quelle: https://leftdis.wordpress.com/2024/02/26/welcome-war-refugees/ in vielen Sprachen

Kriegsflüchtlinge willkommen:

Karl Korsch, „Über einige grundsätzliche Voraussetzungen für eine materialistische Diskussion der Krisentheorie“ (1933)

Proletarier. Zeitschrift für Theorie und Praxis des Rätekommunismus Nr. 1 – Februar 1933

English, Spanish, Dutch

I. [Krisentheorie der Reformisten und Revolutionären]

Ein grosser Mangel der Form, in der die Krisendiskussion bisher, besonders in den Kreisen der linken und linkesten Richtungen der Arbeiterbewegung, geführt werden ist, besteht darin, dass man in diesen Kreisen häufig nach einer an sich „revolutionären“ Krisentheorie gesucht hat, so ungefähr wie man im Mittelalter nach dem Stein der Weisen suchte. Es lässt sich aber sehr leicht an historischen Beispielen zeigen, dass der Besitz einer solchen vermeintlich höchst revolutionären Krisentheorie wenig besagt für den tatsächlichen Entwicklungsgrad des Klassenbewusstseins und der revolutionären Tatbereitschaft derjenigen Gruppe oder Einzelperson, welche sich zu dieser Theorie bekennt.

„Karl Korsch, „Über einige grundsätzliche Voraussetzungen für eine materialistische Diskussion der Krisentheorie“ (1933)“ weiterlesen
Karl Korsch, „Über einige grundsätzliche Voraussetzungen für eine materialistische Diskussion der Krisentheorie“ (1933)

AWW und Communaut im Trotzkismus gefangen und ohne Ausweg?

English, Spanish

Die AWW hat kürzlich einen zweiten Diskussionstext zur Organisation aus dem deutschen Communaut ins Englische übersetzt: „Dilemma ohne Ausweg? – Fortführung der Organisationsdebatte“: https://www.angryworkers.org/2024/01/31/dilemma-with-no-way-out/
Nach einigem Suchen habe ich das deutsche Original auf der Website von Communaut gefunden:
https://communaut.org/de/organisationsdebatte.
Das deutsche Original vom 24.3.2022 hatte ich damals nicht gesehen. Da mein früherer Artikel, „Bolschewismus als Alternative zur selbstgewählten Ohnmacht?“ :
https://leftdis.wordpress.com/2021/11/26/bolshevism-as-an-alternative-to-self-imposed-powerlessness/, in „Dilemma ohne Ausweg“ begrenzte Zustimmung, größtenteils Ablehnung erfährt, hier eine kurze Antwort im Lichte einiger seitheriger Ereignisse.

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AWW und Communaut im Trotzkismus gefangen und ohne Ausweg?

Ist die Gründung eines palästinensischen Staates eine Lösung für das Proletariat?

Von Aníbal

Blinken und Abbas

English

Eine Vielzahl von bürgerlichen Kräften und Persönlichkeiten befürworten die Schaffung eines palästinensischen Staates. Der Zeitpunkt, zu dem sie dies tun, und die Bedingungen in der Region und in den internationalen zwischenimperialistischen Machtverhältnissen sind nicht von untergeordneter Bedeutung. Der Gazastreifen ist dem Erdboden gleichgemacht worden. Im Westjordanland gibt es unzählige jüdische Siedlungen, schwer bewaffnet, mit terroristischen Aktivisten, die von den israelischen Sicherheitskräften unterstützt werden. Von Ost-Jerusalem hieß es kürzlich in der Presse, es stehe „kurz vor der Explosion“.

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Ist die Gründung eines palästinensischen Staates eine Lösung für das Proletariat?

Anzeichen von Kriegsmüdigkeit auf beiden Seiten der Front in der Ukraine

Ukrainer demonstrieren wider den Krieg in Sofia, Bulgarien

English, Spanish, Dutch

Nach mehr als zwei Jahren dauert der Krieg in der Ukraine länger als Putin mit seiner „Spezialoperation“, mit dem Einmarsch in die Ukraine, wohl gerechnet hat. Inzwischen scheint sich die Strategie des russischen Imperialismus auf den langen Krieg eingestellt zu haben, zu dem er vom US-Imperialismus unter Biden verführt wurde. Russland setzt seine Hoffnungen auf seinen gewaltigen Überschuss an Soldaten, der seine militärischen Siege gegen Napoleon und Hitler besiegelte. Das Ziel der Vereinigten Staaten in diesem Krieg ist es, Russland, den Verbündeten des US-Herausforderers China, militärisch zu erschöpfen. China, als aufstrebende wirtschaftliche und damit politische und militärische imperialistische Weltmacht, wurde von Trump und später von Biden zu ihrem Hauptfeind erklärt. China ist in seinem besten imperialistischen Interesse gezwungen, die USA von ihrer Position als Nummer eins in der Welt zu verdrängen. Der Krieg vor Ort zeigt die gleiche Pattsituation wie der Schützengrabenkrieg im Ersten Weltkrieg. Russland war in der Lage, Tausende in diesen ‚Fleischwolf‘ zu werfen, 300.000 Tote oder Verwundete, die meisten Soldaten werden aus Sibirien und dem fernen Osten Russlands rekrutiert, aus armen Verhältnissen und ethnischen Minderheiten, weit weg von Moskau, und aus Gefängnissen mit dem Versprechen, nach sechs Monaten Dienst frei zu sein.

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Anzeichen von Kriegsmüdigkeit auf beiden Seiten der Front in der Ukraine